Tayfun und sein ganz besonderes Kiez-Kaufhaus

Tayfun und sein ganz besonderes Kiez-Kaufhaus

Die Wertschätzung, die Traditionen, das Pflegen der Kultur. Für die türkischstämmige Familie von Tayfun Bayanbas von großer Bedeutung. Eigentlich auch für den 32-Jährigen. Doch er wollte sein eigenes Ding machen. Vier Geschwister, sechs Tanten und Onkel mit jeweils drei bis vier Kindern, die wiederum auch schon Kinder hatten. Zu viele Menschen. Zu viele Meinungen. Tayfun suchte sein Glück in den USA. Gefunden hat er es schließlich dort, wo alles begann. Im „Aladin Center“ an der Reeperbahn – dem seit knapp 25 Jahren bestehenden Kiez-Kaufhaus.

Die Geschichte der Familie Bayanbas in Deutschland begann in den 70ern. Tayfuns Opa kam als Gastarbeiter aus der Türkei. Die Familie blieb in der Heimat. Vorerst. Er war im In- und Exportgeschäft, vertrieb Geschenkartikel. Bis er zehn Jahre später auf dem Kiez sesshaft wurde und die Familie nachholte. Zwei Läden links neben dem „Aladin Center“ eröffnete der Großvater ein kleines Geschäft – „San Elektronik“. Damals eines der wenigen Fachgeschäfte für Elektroartikel in Hamburg.

Tayfun hat keine Erinnerungen an den Laden und auch nur eine Ahnung von seinem Großvater. Er war drei Jahre alt, als sein Opa verstarb. Sein Vater jedoch erzählt häufiger von den alten Zeiten, wie schnell der Kiez gewesen sei, wie wild. Keine Gegend für Familien. „Das hat sich heute geändert. Aber es ist wegen der Menschenmassen auch sehr viel dreckiger geworden. Es ist ekliger von der Optik her“, sagt Tayfun. Er erinnert sich gut an den Kiez der 90er. An die Nachmittage mit seinen Jungs auf dem Sportplatz an der Silbersackstraße. An das „Aladin“, ein 1954 eröffnetes Filmtheater, vor dessen Fassade er mit großen Augen stand. Rein durfte er nicht. Es wurden Western, Abenteuerfilme oder deutsche Heimatfilme gezeigt. Kein Ort für einen kleinen Jungen. „Aber manche Kunden erzählen mir heute noch, wie sie ihren ersten Film dort gesehen, den ersten Kuss bekommen haben. Das ist total schön.“

„Das Happy Meal war für uns das Highlight der Woche“

1998 flimmerte der letzte Film über die in die Jahre gekommenen Leinwand. Doch der Laden blieb das „Aladin“. Wenn auch als Kaufhaus – von Tayfuns Vater vor fast 25 Jahren eröffnet. Auch „San Elektronik“ ging nicht verloren. Der Name wurde als Marke eingetragen und prangt heute noch auf Artikeln, die die Familie selber herstellen lässt und an der Reeperbahn und in der zweiten Filiale am Steindamm anbietet. Von Schlüsselanhängern und Magneten bis hin zu Modeschmuck, größtenteils aus Asien.

Schon mit elf Jahren stand Tayfun an den Wochenenden mit im Laden und sortierte Waren ein. Mit seinen Brüdern und Cousins. Nicht, weil er es gemusst hätte. „Wir kamen sowieso freitags nach Schulschluss immer alle her und spielten Gameboy im Büro.“ Das Größte sei aber das Happy Meal von McDonalds gewesen. „Damit wir uns eins kaufen konnten, halfen wir halt im Laden mit und bekamen dafür Taschengeld. Das war für uns das Highlight der Woche“, sagt er schmunzelnd.


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Anfangs lebte die Familie noch auf dem Kiez, später zog sie nach Bramfeld. Die Kinder bekamen nur noch die Welt des „Aladin Centers“ mit, wurden sie doch mit dem Auto bis vor die Tür gefahren. Selbst die Clubs auf dem Kiez kennt Tayfun nicht. „Ich bin 32 Jahre alt und war noch nie auf dem Kiez feiern.“ Echt jetzt – warum nicht? „Vermutlich aus Prinzip. Weil wir hier ein Kaufhaus haben und ich wahrscheinlich unterbewusst immer dachte, dass sich das nicht gehört. Auch vor meiner Familie.“

Mit seiner Familie arbeiten, das Geschäft übernehmen – das konnte sich Tayfun ohnehin nicht vorstellen. Zu viel Nähe, zu viele Meinungen. Er wollte auch mal etwas Anderes sehen – die Welt kennenlernen. In der zwölften Klasse machte er sein erstes Auslandspraktikum. In China. „Da habe ich gemerkt, dass ich nicht immer mit meiner Familie zusammen sein will.“ Nach dem Abitur entschied Tayfun: Er muss weg. Innerhalb von zwei Wochen war alles organisiert. Er wanderte nach Texas aus, studierte „International Business und Management“ und arbeitete nebenbei. „Das hat mich immer weiter weggedrängt von dem Unternehmen in Hamburg.“ Er wollte nicht zurück. Zum Unmut seiner Familie.

„Ich schaffte es nicht, mich einzuleben und musste wieder weg“

Als er mit dem Studium fertig war, wurden die Anrufe häufiger. Die Bitten seiner Familie drängender. Tayfun kam. Und blieb. Allerdings nur ein Jahr. „Ich schaffte es einfach nicht, mich einzuleben und musste wieder weg.“ Er ging nach China, arbeitete mit den Geschäftspartnern seiner Familie. Dann kam Corona und Tayfun zurück nach Hamburg. Eine schwere Zeit für die Familie. Es war das erste Mal, dass das „Aladin Center“ geschlossen hatte. „Sonst war das Licht 365 Tage im Jahr an.“ Corona brachte den Generationswechsel. „Mein Vater wollte die Verantwortung abgeben. Es gab monatelang Gespräche.“ Manche schön, andere weniger. Vor drei Jahren lenkte Tayfun ein. Er wollte es einfach versuchen. Er stieg als Geschäftsführer mit ein. Allerdings mit der Sicherheit, jederzeit wieder aussteigen zu können.

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Seitdem hört er nahezu jeden Tag den Spruch: „Aladin Center? Wo sind denn hier die Teppiche?“ Tayfun ignoriert das mittlerweile. Zu nervig. Auch die Junggesell:innen mit Bauchläden, die jedes Wochenende in den bis 23 Uhr geöffneten Laden stolpern und ihren Schnaps gegen Souvenirs eintauschen wollen, findet er wenig lustig. „Die finden das jedes Mal urkomisch. Sie erleben das einmal in ihrem Leben, wir gefühlt fast jeden Tag.“

Es gibt so einiges, was der Geschäftsführer „gefühlt täglich“ erlebt. Obdachlose, die mit ihren großen Tüten voller Pfandflaschen durch die Gänge streifen. Drogenabhängige, die durch den Laden irren. „Einmal kam direkt nachdem wir aufgemacht hatten ein stark schwitzender Mann rein. Er steuerte auf die Schuhabteilung zu und fing an, die Schnürsenkel zu binden.“ Eine Schleife, noch eine. Tayfun fragte ihn: „Moin junger Mann. Brauchst du Hilfe?“ Der Mann schüttelte den Kopf. „Nein, ich sorge nur für Ordnung.“ Tayfun bedankte sich, erwiderte aber, dass er das lassen könne. „Das gehört so.“ Der Mann stürzte wütend raus. Und steckte vor der Tür eine Mülltonne in Brand. „Das war schon heftig.“ Normalerweise gäbe es selten Ärger. „Wir bitten die Leute zu gehen und das machen sie dann auch.“

Tayfun (r.) mit seinem jüngeren Bruder im Laden. Auf etwa 700 Quadratmetern werden größtenteils Souvenirs verkauft.
Marius Röer

Tayfun (r.) mit seinem jüngeren Bruder im Laden. Auf etwa 700 Quadratmetern werden größtenteils Souvenirs verkauft.

Für Stress sorgen allerdings die Diebe, die fast jeden Tag zuschlagen. In dem hell beleuchteten, etwa 700 Quadratmeter großen Laden hängen etliche Überwachungskameras. Ein Mitarbeiter sitzt permanent vor einem großen Bildschirm und beobachtet die Kunden. Mal sind es Frauen, die zuschlagen, mal Männer. „Aus allen Schichten.“ Die Polizei wird nicht alarmiert. „Das dauert zu lange.“ Tayfun und sein Team halten die Diebe fest, fordern die Waren zurück. Mal sind es Souvenirs, mal Klamotten, manchmal auch nur eine Postkarte. Wenn die Diebe sich weigern, wird mit der Polizei gedroht. „Das funktioniert eigentlich immer.“ Wie vor einigen Tagen. „Da kam ein englischer Tourist. Er wollte Zigaretten. Auf dem Weg nach draußen nahm er einfach Badelatschen vom Ständer und spazierte weiter.“

Klingt irgendwie nach einem wenig spaßigen Job. Tayfun lacht. „Ja, manche Momente sind schon nicht schön.“ Aber die meisten Kunden seien nette Leute. Hamburger, die schnell noch ein Geschenk brauchen. Touristen, die Souvenirs wie Schlüsselanhänger und Beutel oder etwas aus der FC St. Pauli-Ecke kaufen. Häufig auch Badelatschen, weil die Hotels keine auf den Zimmern haben. Oder Frauen, die ihre High Heels nicht mehr ertragen und sich flache Schuhe zum Feiern kaufen.

„Ich glaube, ich bin in der Heimat angekommen“

Besonders stolz ist Tayfun auf seine „Mismatching“-Socken, die links und rechts unterschiedliche, aber zueinander passende Motive haben. Während Corona arbeitete er zwei Jahre lang mit einer Designerin daran. „Manche kaufen sechs, sieben Paar auf einmal. Das macht mich richtig stolz.“ Besonders mag er die Fastfood-Socken. Auf der linken Seite sind Burger, rechts Pommes. „Die verkaufen wir auch über den Großhandel.“

Sechs Tage die Woche ist der Geschäftsführer im Laden. Dazu kommen Auslandsreisen wegen der Herstellung und Entwicklung neuer Produkte. „Es ist häufig anstrengend“, sagt der unverheiratete Mann. Aber Tayfun hat seinen Frieden gemacht. Er will zur Ruhe kommen. Langsam mal Fuß fassen. „Ich glaube, ich bin in der Heimat angekommen.“ Obwohl es das war, was er eigentlich nie wollte.

Tayfun Bayanbas
Marius Röer

Tayfun Bayanbas

Steckbrief Tayfun Bayanbas  (32)

Spitzname und Bedeutung: Mein kleiner Bruder sagt manchmal Tayf und eine Zeit lang haben Leute auf Türkisch immer Amerikaner gesagt, weil ich dort gelebt habe. Aber eigentlich habe ich keinen Spitznamen.

Beruf/ erlernte Berufe: Geschäftsführer des „Aladin Centers“ an der Reeperbahn, studiert habe ich Internationales Business und Management.

St. Pauli ist für mich… ein Ort, der niemals schläft. Nonstop Leben.

Mich nervt es tierisch, wenn… ich eine Sache zweimal wiederholen muss, weil die Leute nicht richtig zuhören.

Ich träume davon… beruflich erfolgreich zu sein und irgendwann eine Familie zu gründen.

Wenn mir einer blöd kommt,… dann versuche ich das ganz entspannt zu regeln.

Zum Abschalten… fliege ich spontan in den Urlaub, wenn die Arbeit es zulässt. Schon häufig habe ich abends Flüge gebucht und bin morgens losgeflogen.

Als Kind… wollte ich entweder Arzt oder Lehrer werden.

Meine Eltern… sind für mich die wichtigsten Menschen in meinem Leben. Man kann jeden Menschen ersetzen, nur die Eltern nicht.

Vom Typ her bin ich… zielstrebig, kreativ und ich versuche immer, das Beste aus allem herauszuholen.

Tayfun und sein ganz besonderes Kiez-Kaufhaus wurde gefunden bei mopo.de

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