Türkei will BRICS-Mitglied werden: Erdoğan wendet sich ab

RMAG news

Der Nato-Partner Türkei möchte dem Brics-Bündnis beitreten, in dem auch Russland und China sind. Doch wie gefährlich ist die Allianz für den Westen? Eigentlich ist es um Recep Tayyip Erdoğan in der internationalen Politik zuletzt eher ruhig geworden. Abgesehen von der türkischen Unterstützung für die Terrororganisation Hamas im Krieg gegen Israel suchte sich der türkische Präsident zumindest keine neuen größeren Konflikte mit der Nato oder mit anderen westlichen Partnern. Im Gegenteil: Im Frühjahr mutmaßten westliche Diplomaten sogar, dass sich die Beziehungen zwischen der Türkei und der Europäischen Union verbessern könnten. Doch die Hoffnungen scheinen zumindest vorerst vergebens zu sein – das wurde in diesem Sommer klar. Im Juli erteilte Erdoğan der EU im Zypern-Konflikt eine Absage , ließ stattdessen Kriegsschiffe und Kampfflugzeuge in der Türkischen Republik Nordzypern aufmarschieren. Und nun kündigte die türkische Regierung an, der Allianz der Brics-Staaten beitreten zu wollen. Das Bündnis von Schwellenländern möchte insbesondere ein Gegengewicht zur wirtschaftlichen Dominanz des Westens sein. Ein Betritt des Nato-Partners Türkei wäre also ein neuer Tiefpunkt in den Beziehungen des Westens zur Türkei. Denn das Brics-Bündnis wird vor allem von China dominiert. Mit dem Antrag auf eine Mitgliedschaft wagt sich Erdoğan jetzt aus der Deckung. Ein riskantes Spiel – zumal eine Aufnahme der Türkei keineswegs ausgemacht ist. Vor allem Kremlchef Wladimir Putin könnte dem türkischen Präsidenten am Ende einen Strich durch die Rechnung machen; die Beziehungen zwischen Moskau und Ankara haben sich in diesem Jahr verschlechtert. Erdoğan möchte unabhängiger werden Die Gründe für das Interesse Erdoğans an einer Brics-Mitgliedschaft sind klar: Die Türkei steckt noch immer in einer massiven Wirtschaftskrise mit hoher Inflation . Die Verbraucherpreise stiegen im Juli um durchschnittlich 52 Prozent im Vergleich zum Vorjahresmonat, wie das türkische Statistikamt mitteilte. Sie schwächt sich damit zwar etwas ab, der Währungsverfall der türkischen Lira geht jedoch weiter. Vor zehn Jahren bekam man für einen Euro noch etwa 2,8 Lira, mittlerweile ist ein Euro knapp 38 Lira wert. Die Folge: Alle Güter, die die Türkei importieren muss, werden teurer. Ein immer größerer Teil der türkischen Bevölkerung gibt der politischen Führung die Verantwortung für die zunehmende Armut im Land. Erdoğan steht daher deutlich unter Druck, fand in den vergangenen Jahren aber kaum Lösungen. Deshalb möchte er die Wirtschaftsbeziehungen der Türkei nun breiter aufstellen und die eigene Wirtschaft widerstandsfähiger machen, weil sie sehr anfällig für externe Schocks ist. Unvergessen in der türkischen Führung ist das Drama um den US-Pastor Andrew Brunson im Jahr 2018 . Die türkischen Behörden hatten den US-Bürger wegen des Verdachts auf Terror und Spionage unter Hausarrest gesetzt. Die bloße Androhung von Sanktionen durch den damaligen US-Präsidenten Donald Trump aus, um die Lira abstürzen zu lassen. Die dürfte Erdoğan zu der Erkenntnis geführt haben, sich nach weiteren großen Handelspartner umsehen zu müssen und gleichzeitig die türkische Abhängigkeit vom US-Dollar zu vermindern. Das ist ein Grund, warum die türkische Regierung in das Brics-Bündnis strebt. Zudem erwägt Erdoğan eine Mitgliedschaft in der von China dominierten Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit, die sich mit sicherheitspolitischer Zusammenarbeit sowie Wirtschafts- und Handelsfragen befasst. Putin und Xi locken mit neuer Weltordnung Die Türkei könnte sich davon mehr Investitionen und mehr Handel mit den Brics-Staaten versprechen. Aber das ist nicht alles. Putin und der chinesische Präsident XI Jinping streben eine neue multipolare Weltordnung an. Und hier möchte Erdoğan einen Platz am Tisch haben, wenn Länder wie Indien oder China viele westliche Länder wirtschaftlich überholen. Es ist somit auch eine Wette auf die Zukunft, die wenig überraschend kommt, denn der türkische Präsident will sein Land zu einer Regionalmacht entwickeln. Nicht umsonst hat er in den vergangenen Jahren mithilfe von Schaukeldiplomatie zwischen dem Westen und Russland versucht, von Beziehungen zu allen Großmächten zu profitieren. Und eben mit diesem Angebot locken Putin und Xi andere Länder in das Brics-Bündnis: Es soll in der Allianz um wirtschaftliche Zusammenarbeit gehen. Es ist explizit kein Wertebündnis. Dabei spielt es also keine Rolle, wie Staatsführungen ihre Länder regieren, der Handel und der Austausch von Innovation soll weitergehen. Die Einhaltung von Menschenrechten nach westlichem Maß wird dagegen abgelehnt. Eben dieses Angebot spricht auch viele autokratische Regime an, die in den vergangenen Jahrzehnten westliche Sanktionen fürchten mussten. So das Mullah-Regime im Iran , das saudische Königshaus oder der belarussische Machthaber Alexander Lukaschenko, der auch an einem Brics-Beitritt interessiert ist und mit Putin einen gewichtigen Förderer hat. Oder eben Erdoğan, der in der Türkei auch immer autoritärer regiert. Nehmen die Brics-Staaten die Türkei überhaupt auf? Die türkische Bewerbung für eine Brics-Mitgliedschaft kann also durchaus als ein Schritt Erdoğans weg vom Westen gewertet werden. Aber sie ist auch nicht mehr. Das Brics-Bündnis ist kein Gegenmodell zur Nato, keine strategische Partnerschaft in sicherheitspolitischen Fragen. Das können die Brics-Staaten auch gar nicht sein, weil in der Allianz auch Nationen Mitglieder sind, die sich gegenseitig als Feinde sehen – Indien und China oder der Iran und Saudi-Arabien zum Beispiel. Trotzdem bietet die wirtschaftliche Zusammenarbeit mit Großmächten wie China oder Russland einen effektiven Hebel. Würde sich Erdoğan an westliche Sanktionen halten oder würde er sie untergraben, wenn er nun gleichzeitig auf gute Zusammenarbeit im Brics-Bündnis setzt? Das ist unklar, der türkische Präsident versucht hier einen schwierigen Spagat. Es ist der Versuch der Türkei, sich der neuen Blockbildung zu entziehen und gleichzeitig mit beiden Seiten gute wirtschaftliche Beziehungen aufzubauen. Dabei hat die türkische Führung bereits gemerkt, dass das äußerst kompliziert sein kann. Im vergangenen Jahr verärgerte Erdoğan den russischen Präsidenten, als er betonte, die Ukraine gehöre in die Nato. Außerdem verkauft die Türkei Drohnen und Haubitzen an die ukrainische Armee und sie hat ihren Widerstand gegen den Nato-Betritt von Schweden und Finnland aufgegeben: eine Erweiterung der westlichen Allianz, die Russland als Sicherheitsrisiko empfindet. Hinzu kommt, dass türkische Banken in diesem Jahr ihre Kooperation mit Russland zurückfuhren – aus Angst vor US-Sanktionen. All das hat Putin nicht gefallen und er rächte sich, indem er Erdoğan die Chance nahm, international als Brückenbauer auftreten zu können. So wollte der türkische Präsident erneut Verhandlungen zwischen Russland und der Ukraine oder einen neuen Getreidedeal ermöglichen. Der Kreml erteilte ihm eine Absage, die geplanten bilateralen Treffen von Putin und Erdoğan in Ankara oder in Moskau wurden verschoben. Auch im restlichen Brics-Bündnis soll es Zweifel geben, heißt es in diplomatischen Kreisen. Immerhin – so die Befürchtung – steckt die Türkei in einer Wirtschaftskrise und Erdoğan könnte für die Schwellenländer-Allianz eher zum Klotz am Bein werden. Ob die Türkei also überhaupt in die Brics-Allianz aufgenommen wird, ist also offen – obwohl dieser Schritt den Westen wahrscheinlich weiter schwächen und spalten könnte. Vielleicht zeigte sich Putin genau deswegen erfreut über die türkische Bewerbung. “Wir begrüßen das Interesse der Türkei an der Arbeit der Brics. Wir werden den Wunsch, mit den Ländern dieser Union zusammenzuarbeiten, sicherlich auf jede erdenkliche Weise unterstützen”, sagte der Kremlchef im Juni. Eine Zusage ist das aber noch nicht.

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