Ukraine: Sanitäterin stirbt in Charkiw – ihr bewegender Abschiedsbrief

Ukraine: Sanitäterin stirbt in Charkiw – ihr bewegender Abschiedsbrief

Als Sanitäterin arbeitete sie seit 2014 immer wieder im ukrainischen Kriegsgebiet. Jetzt ist Irina Tschubuch tot, sie starb bei einem russischen Angriff. Mit einem Brief nimmt sie Abschied. Sie wurde nur 25 Jahre alt und hinterlässt dennoch große Fußstapfen. Die durch ihr Engagement und Medienauftritte bekannt ukrainische Sanitäterin Irina Tschubuch ist bei einem russischen Angriff im Gebiet Charkiw im Nordosten der Ukraine getötet worden. Schon vor der tödlichen Attacke hatte Tschubuch, deren Kampfname “Tscheka” war, einen Abschiedsbrief verfasst, den ihr Bruder nun veröffentlichte. “Ich bin jetzt voller Leere”, schrieb ihr Bruder dazu auf Instagram. Aber seine Schwester habe etwas zu sagen, “sie hat einen Abschiedsbrief hinterlassen”. Darin findet die Sanitäterin bewegende Worte zum Umgang mit dem Tod und ihrem Alltag in Zeiten des russischen Angriffskriegs. “Die Meinung anderer interessiert mich am Ende nicht, ich bin tot” “Hallo, bitte nimm mein Beileid an, ich mag es nicht, euch traurig zu sehen”, beginnt Tschubuch ihren Brief. Die Verzweiflung um ihren Tod werde vergehen, so die Sanitäterin: “Also verschwendet keine Zeit mit Leiden, lebt weiter.” Tschubuch verfasste die Zeilen bereits vor mehr als einem Jahr, wie sie schreibt – offenbar wohl wissentlich, dass sie jederzeit in dem Krieg ums Leben kommen kann: “Es ist 19.19 Uhr, Samstag, 8. April 2023, wir arbeiten mit der 5. Mannschaft für die 80. Aufklärungsbrigade, im Hintergrund läuft ‘Dream On’ von Aerosmith und ich habe beschlossen, dass es dieses Jahr so viele Gelegenheiten zum Sterben gab, dass wir wenigstens eine finden können, um einen Abschiedsbrief zu schreiben.” Aktuelle Entwicklungen zum Krieg in der Ukraine lesen Sie im Newsblog. Dann schlägt Tschubuch nachdenkliche Töne an: Sie nennt es traurig, “dass wir so schwach leben, so abhängig von der öffentlichen Zustimmung für das Leben, dass nur der Tod es uns erlaubt, in absoluter Freiheit zu leben”. Die Sanitäterin schreibt weiter: “Das Problem ist jedoch, dass das Leben vorbei ist und diese Freiheit keinen Sinn mehr hat.” Es sei heute egal, was jemand über sie und ihren Text sage. “Ob diese Sätze Gefallen oder Ablehnung finden, die Meinung anderer interessiert mich am Ende nicht, ich bin tot.” Tschubuch arbeitete seit 2014 im Kriegsgebiet Freiheit sei der höchste Wert, fährt die junge Frau fort. “All die bald 25 Jahre vergingen oft in Komplexen und Ängsten. Aber meistens hatte dieser Lärm keinen Platz vor meiner Freiheit.” Als Tschubuch die Zeilen verfasste, stand sie kurz vor ihrem 25. Geburtstag. Am 1. Juni 2024 – also nur drei Tage nach ihrem Tod – wäre sie 26 Jahre alt geworden. In ihrem Schreiben dankt sie sich selbst, ihren Eltern, ihrem Bruder sowie Familie und Freunden dafür, dass sie ihr erlaubt hätten, frei zu sein und das Leben zu leben, das sie wollte. Die letzten zehn Jahre ihres Lebens waren von Krieg geprägt. Schon seit 2014, als prorussische Milizen mit Unterstützung Russlands einen Krieg in der ostukrainischen Region Donbass begannen, arbeitete sie freiwillig immer wieder für die Organisation Hospitallers. Außerdem arbeitete sie mit Kindern und drehte einen Film über Kinder, die in den kriegsgeplagten Regionen Donezk und Luhansk aufwuchsen. Nach der russischen Vollinvasion in die Ukraine am 24. Februar 2022 meldete sie sich dann als Freiwillige und arbeitete dauerhaft als Sanitäterin im Kriegsgebiet. Die großangelegte Invasion Russlands habe sie dazu gebracht, “nicht mehr Sklave meiner Ängste zu sein”, schreibt Tschubuch in ihrem Abschiedsbrief. Sie habe sich nicht vollständig von ihren Ängsten trennen können, sie hoffe aber, dass ihr das gelinge und der Brief ihr dabei helfe. “Wenn ich kann, werde ich dich vom Himmel aus unterstützen” “Heute, hier in der Region Donezk, bin ich auf meinem Weg, ich bin ich selbst und tue, was ich will”, schreibt sie. Es gebe nichts Wichtigeres, “deshalb ist dieser Brief so einfach – in diesem Moment, und auch wenn es passiert, tut es mir nicht leid zu sterben, weil ich endlich das Leben lebe, das ich möchte”. Aber um diese “unverzichtbare, wahre Freiheit zu spüren, werde ich mehr als eine weitere Therapiesitzung, Ängste und Tränen durchmachen müssen”. Dazu richtete sie noch einige handgeschriebene Zeilen an ihren Bruder. “Wenn ich kann, werde ich dich vom Himmel aus unterstützen”, heißt es dort. “Aber worauf es wirklich ankommt, ist, dass wir uns geliebt haben und wunderbare Geschwister waren, als ich noch lebte. Das waren gute Zeiten.” Ihr Bruder Jurij solle sich von diesen Erinnerungen wärmen und motivieren, aber nicht davon verärgern lassen. “Nur die Mutigen finden Glück und es ist besser zu sterben, als lebend zu verrotten.” “Ich wollte nie im Krieg sein” Bereits im Juli 2022 gab sie der ukrainischen Ausgabe der Zeitschrift “Elle” ein Interview und wurde auch auf dem Cover abgebildet. Damals sagte sie, dass Kriege durch große “Freizügigkeit” gekennzeichnet seien. Der russische Angriffskrieg sei ein “Kampf ohne Regeln”, fügte sie hinzu. “Russland setzt alles ein – die Invasoren brennen das Land nieder und zerstören ganze Dörfer und Städte.” “Ich wollte nie im Krieg sein. Ich hasse alles, was mit uns geschieht”, sagte Tschubuch der “Elle”. Sie beschrieb sich als “ein Mädchen, das gerne reist und Bildungsprojekte für Kinder durchführt”. Sie sei keine Person, die ihr Leben lang davon geträumt hätte, Sanitäterin zu sein. “Aber die russische Aggression zwang mich, mein Land zu verteidigen.” Hospitallers Paramedics, die Organisation, für die Tschubuch arbeitete, widmete der Sanitäterin einen Beitrag auf Facebook. “Es scheint wie ein Traum”, ist dort zu lesen. “Tscheka” sei während der Rotation an der Front im Gebiet Charkiw gestorben. “Es ist ein unbeschreiblicher Schmerz und ein unglaublicher Verlust nicht nur für das Bataillon, sondern für die ganze Ukraine.”