Verkehrspsychologe verrät: Darum halten wir uns selbst für den besten Autofahrer

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Wer als Autofahrer seinen Führerschein verliert, der sitzt bei der Medizinisch-Psychologischen Untersuchung (MPU) ihm gegenüber: Ralf Buchstaller (63) ist seit 30 Jahren Verkehrspsychologe beim TÜV Nord. Mit der MOPO hat er darüber gesprochen, warum wir uns selbst immer für den besten Autofahrer halten, ob das Klima im Hamburger Straßenverkehr aggressiver geworden ist und welche Gruppe am häufigsten bei ihm im Büro sitzen muss.

MOPO: Herr Buchstaller, warum halten wir uns selbst eigentlich immer für den besten Autofahrer weit und breit?

Ralf Buchstaller: (lacht). Es ist ja durchaus positiv, ein gutes Selbstbild von sich zu haben. Dass man sich dann aber überhöht, hat mit einem Effekt aus der Psychologie zu tun: Wenn eine andere Person falsch handelt, also zum Beispiel trotz Rückstau in eine Kreuzung reinfährt, dann schreibe ich ihr zu, dass sie sich genauso immer verhält und schlecht Auto fährt. Wenn ich das wiederum selbst mache, denke ich: Oh, das war jetzt nicht vorhersehbar. Eigentlich fahre ich gut, aber in dieser Situation habe ich jetzt aus Versehen einen Fehler gemacht. Das ist der Unterschied.

Was sollten wir also ändern?

Tatsächlich hilft es in solchen Momenten, den anderen Fehler zuzugestehen. Damit wäre schon viel gewonnen, weil sich dadurch keine Spirale aufbauen kann, in der ich auf ein vermeintlich aggressives Verhalten wiederum entsprechend reagiere.

Im Alltag wird auf Hamburgs Straßen viel gehupt und gepöbelt, Vorfahrten werden ignoriert und auf andere wird oft wenig Rücksicht genommen. Ist das Klima im Straßenverkehr aggressiver geworden?

Die objektiven Zahlen im Verkehrsbericht der Polizei belegen das erst einmal nicht. Tempoüberschreitungen sind in den vergangenen Jahren immer weiter zurückgegangen, genauso wie die schweren Verletzungen. Aggression ist ja ein gezieltes Verhalten mit der Absicht, einen anderen zu schädigen – also wenn ich beispielsweise extra knapp in eine Lücke auf der Fahrspur reinfahren würde, mit dem einzigen Ziel, dem Hintermann oder der Hinterfrau eins auszuwischen. Das ist meines Erachtens nicht der Fall. 

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Sondern?

Die meisten fahren beziehungsweise laufen entweder unbedacht oder sind in dem Moment von etwas abgelenkt. Trotzdem sind wir sehr schnell damit, anderen Absicht zu unterstellen nach dem Motto: Er oder sie hat das absichtlich gemacht, um mich zu ärgern. 

Laut einer ADAC-Umfrage stellen Baustellen eine der Hauptursachen für Frust hinter dem Steuer dar. Halten Sie das für nachvollziehbar?

Klar. Diese Reaktion sieht man schon bei kleinen Kindern: Werden sie festgehalten, dann kommt eine Gegenbewegung zurück. Man wird in seinem Fluss gestört, das führt natürlich zu Verärgerung. Allerdings: Viele der Baustellen, auch in Hamburg, bleiben ja für länger, deshalb kann man sich auch entsprechend darauf einstellen. Anders sieht es zum Beispiel bei spontanen Versammlungen oder Veränderungen aus: Da kommt dann nicht nur der Frust, sondern auch noch teilweise Hilflosigkeit dazu.

Muss man mit so etwas nicht aber auch umgehen können, wenn man einen Führerschein besitzt?

Natürlich. Man braucht fürs Autofahren eine gewisse Frustrationstoleranz. Es wird immer Situationen geben, in denen ich nicht zufrieden bin oder in denen andere – und auch ich selbst – Fehler machen.

Wer zu viele Fehler macht, sitzt dann aber auch irgendwann vor Ihnen, bei der Medizinisch-Psychologischen-Untersuchung (MPU). Wer kommt da am häufigsten?

Die Hauptuntersuchungsgruppe sind diejenigen, die mit Alkohol aufgefallen sind, die zweithäufigste Gruppe diejenigen mit Drogen. Man muss klar sagen: In beiden Gruppen überwiegen die Männer, die Frauen sind absolut in der Minderheit. 

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Woran könnte das liegen?

Alkoholkonsum wird bei Männern, im Gegensatz zu Frauen, oft noch sehr positiv wahrgenommen, nach dem Motto: Das ist ein toller Typ, wenn er viel verträgt. Gerade bei jungen Männern ist das häufig der Fall.

Worauf kommt es dann in der MPU an, damit jemand seinen Führerschein wieder bekommt?

Zur MPU komme ich überhaupt erst, wenn ich 1,6 Promille beim Autofahren erreicht habe. Ein 1,80 Meter großer Mann mit 80 Kilo muss dafür auf fünf Stunden verteilt etwa fünf Liter Bier trinken. Da muss demjenigen dann hinterher klar sein, dass solche Trinkmengen nicht dem Durchschnitt entsprechen. Woher kommt dieses Verhalten und viel wichtiger: Hat er Maßnahmen, wie eine Therapie, eingeleitet, um daran dauerhaft etwas zu ändern?

Sind denn viele einsichtig?

Heute mehr als früher, ist mein Eindruck. Es gibt inzwischen so viel Literatur, auch im Internet, mit der sich die Leute vorbereiten können. Diejenigen, die sagen, sie wissen überhaupt nicht, warum sie hier gelandet sind, gibt es zwar – aber nur noch selten. 

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