Vier AfD-Politiker boykottierten Selenskyj nicht: “Minimum an Höflichkeit”

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Die AfD wollte der Rede des ukrainischen Präsidenten fernbleiben. Vier Abgeordnete erschienen trotzdem. Andere üben Kritik – aber nicht öffentlich. Denn die Strategie für die nächsten Monate steht. Es war eine Aktion, ausgelegt auf einen internationalen Affront: Die AfD-Fraktion boykottierte am Dienstag in großen Teilen die Rede des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj im Deutschen Bundestag. Die überwiegende Mehrheit der AfD-Abgeordneten folgte damit einer Empfehlung, die erst die Fraktionsspitze und dann die Fraktion selbst ausgesprochen hatte. Sie taten es damit dem Bündnis Sahra Wagenknecht gleich, das dem Plenum geschlossen fernblieb . Vier AfD-Politiker aber verweigerten sich der Empfehlung und machten von ihrem freien Mandat Gebrauch. Sie erschienen dennoch im Plenum und klatschten zu Selenskyjs Rede. Und hinter den Kulissen gibt es durchaus auch von anderen in der Fraktion deutliche Kritik an dem Boykott. Allerdings: nur hinter vorgehaltener Hand, zu sehr fürchten viele, zur Zielscheibe der eigenen Putin-freundlichen Kollegen zu werden. Nur knapp äußern sich im Gespräch mit t-online dann auch zwei der AfD-Abgeordneten, die im Plenum erschienen. “Für mich persönlich ist das das Minimum an Höflichkeit”, sagt Joachim Wundrak. “Da gesessen zu haben, ist Statement genug”, sagt Norbert Kleinwächter. Ehemaliger Drei-Sterne-General erschien im Plenum Die vier Abgeordneten, die Selenskyj lauschten, sind für ihre Haltung gegen den diktatoren- und russlandfreundlichen AfD-Kurs bereits bekannt: Norbert Kleinwächter kritisierte 2022 öffentlich eine Rede seines Parteikollegen Steffen Kotré im Bundestag als “widerliche Putin-Propaganda” und löste damit heftige Gegenreaktionen in der Partei aus. Joachim Wundrak war Drei-Sterne-General der Luftwaffe . Er ist der ranghöchste ehemalige Soldat in der AfD-Fraktion, war in seinen 44 Jahren bei der Truppe unter anderem Teil des Nato-Kommandos in Afghanistan . Seit 2022 ist er Mitglied der Parlamentarischen Versammlung der Nato . Im sonst mehrheitlich russlandfreundlichen “Arbeitskreis Außen” der AfD gilt Wundrak als Außenseiter. Der bayerische Abgeordnete Rainer Kraft hat im März im Bundestag für die Lieferung deutscher Taurus-Marschflugkörper an die Ukraine gestimmt, AfD-Mitgründer Albrecht Glaser hat sich bei der Frage enthalten. Sie waren damit die einzigen Abweichler in der Fraktion: 65 AfD-Abgeordnete stimmten gegen die Lieferung, 11 nahmen an der Abstimmung nicht teil. Kritik am Boykott nur unter der Hand Die vier AfD-Politiker trauten sich am Dienstag, was andere ihrer Kollegen nicht wagten, obwohl auch sie den Selenskyj-Boykott ablehnen. “Kindisch” oder “undemokratisch” sei die Aktion, heißt es von einigen in der Fraktion. Zuzuhören sei eigentlich das Mindeste. Verärgert ist mancher auch darüber, dass die Partei- und Fraktionschefs Alice Weidel und Tino Chrupalla noch während Selenskyjs Rede eine scharfe Mitteilung veröffentlichten, die zuvor nicht mit der Fraktion abgestimmt wurde. Darin bezeichnet das Führungsduo Selenskyj unter anderem als “Redner im Tarnanzug” und “Kriegs- und Bettelpräsidenten”. Doch die Stimmen, die mit diesem Kurs einverstanden sind, sind lauter – und in der AfD schon lange in der Mehrheit. So bezeichnete der Abgeordnete Steffen Kotré Selenskyjs Rede als “perverse Veranstaltung”, “Zirkusveranstaltung” und “Ausplünderungsveranstaltung”. Es gehe nur darum, “deutsches Geld wieder locker zu machen”, sagte er in einem Video auf der Plattform X. Selenskyj in Fraktionssitzung als “Kriegstreiber” verunglimpft Abgeordnete wie Kotré, aber auch dessen Gegner, meldeten sich vor dem Boykott in einer Fraktionssitzung der AfD zu Wort. Eine halbe Stunde lang diskutierte man direkt vor der Selenskyj-Rede, interessierte Teilnehmer erhielten eine Minute Redezeit. Zunächst aber wurde die Haltung des Fraktionsvorstands verkündet. Der hatte nämlich schon am Tag zuvor eine Empfehlung zum Boykott beschlossen – doch die wurde so schlecht kommuniziert, dass viele Abgeordnete davon noch nichts wussten. Scharfe Kritik wurde nach Informationen von t-online im Anschluss von mehreren Rednern an Selenskyj geäußert, die Fakten wild verdreht. Als “Kriegstreiber” wurde der Präsident der von Putin angegriffenen Ukraine da bezeichnet, ihm die Legitimität als Präsident abgesprochen – oder auch sein Kleidungsstil kritisiert. Andere argumentierten strategisch für den Boykott und führten die im Herbst anstehenden Landtagswahlen in drei ostdeutschen Bundesländern an. Man dürfe nicht Selenskyj lauschen, wenn das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) fernbleibe. Das sei ein fatales Signal an die Wähler im Osten. Das BSW gilt als größte Konkurrenz für die AfD im Osten. Beide Parteien verfolgen einen strikt russlandfreundlichen Kurs und versuchen, sich als “Friedensparteien” zu verkaufen. AfD-Chefin Alice Weidel warnte in der Vergangenheit mehrfach davor, dass Wähler abwandern könnten . FPÖ und SVP als Vorbilder im Ausland Mit der österreichischen FPÖ und der Schweizer SVP verwiesen Redner außerdem auf rechtspopulistische Vorbilder im europäischen Ausland, die mit Protest gegen Selenskyj große Schlagzeilen machten. Die FPÖ-Abgeordneten hatten Ende März 2023 bei einer Videoansprache von Selenskyj im österreichischen Parlament zunächst Schilder mit der Aufschrift “Platz für Frieden” oder “Platz für Neutralität” gezeigt und verließen dann geschlossen den Saal. Die SVP hatte Anfang Juni 2023 mit Anträgen versucht, eine Rede von Selenskyj in der Bundesversammlung in Bern zu verhindern, und blieb der Veranstaltung dann ganz fern. Dennoch sprachen sich hinter geschlossenen Türen auch mehrere AfD-Politiker gegen den Boykott aus. Sie plädierten zum Beispiel für Demokratie und Diplomatie, auf die die AfD mit Blick auf den Ukraine-Krieg eigentlich so sehr dringt. Beim anschließenden Votum aber schlug sich die Kritik nicht nieder: Ohne Gegenstimmen, nur mit einigen Enthaltungen, stimmte die Fraktion nur wenige Minuten vor Start der Selenskyj-Rede dafür, zu empfehlen, fernzubleiben. Ein Teil der Abweichler saß da schon auf ihren Plätzen im Plenum. Es ist ein deutliches Signal: Dem lange umstrittenen Pro-Putin-Kurs ordnet sich in der AfD im Bundestag inzwischen die absolute Mehrheit gefügig unter. Und mit Blick auf die Wahlen im Osten dürfte sich dieser Kurs in den kommenden Monaten noch verschärfen – und die letzten internen Kritiker verstummen.