Volksleiden Einsamkeit: Ich bin jung, weiblich – und allein

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„Deine Bildschirmzeit betrug in der letzten Woche acht Stunden und neun Minuten pro Tag.“ Jede Woche schickt mir mein Handy ungefragt diese Nachricht. Es ist das erste Mal seit etwa einem Monat, dass ich sie mir überhaupt noch durchlese und das auch nur, um diesen Artikel zu schreiben. Ich schäme mich. Ich fühle einen Knoten in meinem Magen, wenn ich darüber nachdenke, wie ich mein Leben auf TikTok und Instagram verschwende. Ich ekel mich vor mir selbst, wenn ich stundenlang im Bett vor mich hinrotte und endlos weiter scrolle. Doch es ist einfacher, in sozialen Medien zu ertrinken und der Illusion von Zugehörigkeit im Internet zu verfallen, als meiner Realität ins Auge zu blicken. Ich bin einsam. Und das schon seit einer Weile. 

Ich bin vor ungefähr zwei Monaten nach Hamburg gezogen. Ganz allein. Keine Freunde, keine Familie, nur ich. Ein bisschen stolz bin ich schon, mit 20 ausgezogen zu sein und mir momentan meinen eigenen Weg durchs Leben zu bahnen. Nur hätte ich nicht gedacht, dass man sich als frischgebackene Erwachsene seine sozialen Kontakte so hart würde erkämpfen müssen. Ich kannte dieses Gefühl bisher nicht. Ich hatte immer meinen Freundeskreis und meine Familie. Wirklich allein war ich noch nie.

Ich mache „Picknick for one“ an der Elbe

Ich mag meine eigene Gesellschaft. Ich brauche niemanden, ich bin schließlich eine selbstständige junge Frau. „I can buy myself flowers!“, wie Miley Cirus das so schön singt. Bei sonnigem Wetter kaufe ich mir manchmal ein fancy Getränk und mache ein „Picknick for one“ an der Elbe. Ich sehe zu, wie die Containerschiffe vorbeiziehen und wenn ich Glück habe, kann ich beobachten, wie die Sonne rot hinter dem Horizont versinkt. Um das zu genießen, brauche ich niemand anderen. 

Das Problem hierbei ist nur, dass es nicht eine Self-Care Maßnahme ist, sondern, dass ich niemanden habe, mit dem ich solche Momente teilen könnte. Das ist der Unterschied zwischen einfach mal allein sein – und einsam sein. Einsamkeit sucht man sich nicht aus. Darum tut es so weh, einsam zu sein. Dieses Verlangen, irgendjemanden zu haben, mit dem man seine Zeit teilen könnte, ist sowohl in schönen wie auch in schwierigen Momenten überwältigend. Und ich weiß, das klingt hier so, als wäre ich verzweifelt auf Partnersuche und sollte mich vielleicht einfach einmal mit Tinder vertraut machen und aufhören rumzuheulen, doch so einfach ist das nicht. Ich suche nicht nach der Liebe meines Lebens. Ich suche Freunde. Und das fällt mir verdammt schwer.

Einsamkeit sucht man sich nicht aus

Das Ironische an der Sache ist, dass ich mit meiner Einsamkeit nicht allein bin. Rund die Hälfte (46 Prozent) der jungen Erwachsenen zwischen 18 und 30 fühlt sich einsam. Zu diesem Schluss kam Mitte Juni eine Studie im Auftrag der Bertelsmann-Stiftung. Besonders betroffen sind 19- bis 22-Jährige. Außerdem sollen Frauen einsamer sein als Männer. Bingo! Da scheint jemand meinen Steckbrief gelesen zu haben.

Ich versuchte mir diese Tatsachen, sehr egoistisch, zunutze zu machen. Viele Dating-Apps, darunter auch „Bumble“, haben eine Einstellung, in der man Freunde finden kann. Das Swiping-Konzept ist dasselbe wie sonst auch. Gamification von Menschen und Gesichtern. Moralisch verwerflich, doch wenn man nicht zu sehr darüber nachdenkt, kann man dem unangenehmen Gefühl, das einem beim Hin- und Herwischen von Personen beschleicht, für eine Weile entgehen. Wenn ich also alles nach rechts swipe und somit mein Interesse bekunde, dann muss doch mindestens eine Freundschaft dabei rausspringen. Du bist allein, ich bin allein, lass uns doch gemeinsam nicht mehr allein sein. 

Nach mehreren gescheiterten Versuchen, mich mit wildfremden Frauen zum Kaffee zu treffen und viel hin und her Geschreibe, das immer irgendwann versandete, gab ich „Bumble Friends“ wieder auf. Ich musste leider feststellen, dass die virtuelle Welt es nur sehr selten aus meinem Handy raus ins echte Leben schafft.

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Und damit bin ich wieder am Anfang. Ich muss es einsehen: Echte Freunde findet man online nicht, und all meine Versuche, mich von meinem einsamen Leben abzulenken, machen mich nur noch einsamer. Vorgegaukelte Freundschaften auf TikTok ersetzen solche im echten Leben nun mal nicht. Bald ist mein Praktikum vorbei und ich fahre nach Hause. Ich habe viel gelernt in Hamburg. Nicht nur, wie sich Einsamkeit anfühlt.

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