Von wegen Tor zur Welt: Wie Hamburg in den Ruf kam, schmutzig und verkeimt zu sein

Von wegen Tor zur Welt: Wie Hamburg in den Ruf kam, schmutzig und verkeimt zu sein

Wir erinnern uns alle ganz genau: Während der Corona-Krise standen Hamburgs Gastronomen und Hoteliers vor dem Aus, mussten mit Staatshilfen vor dem Zusammenbruch bewahrt werden. Dass es schon einmal eine ähnliche Situation gab, nämlich vor rund 130 Jahren, dürfte den meisten unbekannt sein: Während der verheerenden Cholera-Epidemie 1892 verloren nicht nur knapp 10.000 Einwohner ihr Leben – auch das Image der Stadt nahm so großen Schaden, dass die Touristen viele Jahre lang Hamburg mieden. Tor zur Welt, Venedig des Nordens? Von wegen! Die Hansestadt hatte mit einem Mal weltweit den Ruf, dreckig, schmutzig, verkeimt und ansteckend zu sein.

Hamburgs Tourismus hat es geschafft, diese Krise zu meistern. Dafür hat vor allem der Verein zur Förderung des Fremdenverkehrs gesorgt, der am 17. Februar 1899, also vor 125 Jahren, gegründet wurde – der Vorläufer des heutigen Tourismusverbandes Hamburg. Sein Auftrag: das Image der Stadt wieder aufzupolieren und Fremde anzulocken.

Hamburg-Panorama von 1912: Titelbild eines „Wegweisers durch Hamburg“ für Touristen. Zu sehen ist die Binnenalster mit dem Jungfernstieg.
Tourismusverband Hamburg

Hamburg-Panorama von 1912: Titelbild eines „Wegweisers durch Hamburg“ für Touristen. Zu sehen ist die Binnenalster mit dem Jungfernstieg.

„Die Thatsache ist nicht wegzuleugnen“, so schrieb 1899 die Zeitung „Hamburgischer Correspondent“, „daß der Fremdenverkehr in unserer Stadt auf einer niedrigeren Stufe steht, als man bei Hamburgs geographischer Lage, seinen Instituten und Sehenswürdigkeiten, bei den vielfachen Anregungen, die der Weltverkehr in der Stadt und im Hafen bietet, bei den landschaftlichen Schönheiten der näheren und ferneren Umgebung erwarten sollte.“

Berühmte Hamburger wie Carl Ferdinand Laeisz, Edmund Siemers und Albert Ballin gründeten den Verband

Deshalb begrüßte das Blatt ausdrücklich die Gründung des Vereins. Die konstituierende Sitzung fand in einem Saal im Gebäude der Patriotischen Gesellschaft statt. Berühmte Hamburger wie Reeder Carl Ferdinand Laeisz, Kaufmann Edmund Siemers und Gastronom Jacob Emden bildeten den Vorstand.

Ein vierter Platz wurde freigehalten für Hapag-Generaldirektor Albert Ballin, damals die Lichtgestalt der Hamburger Wirtschaft. Er war am fraglichen Tag verhindert, auf ihn verzichten wollten sie trotzdem nicht: Sein Name und sein Sitz im Vorstand sollten dem Verein zusätzliches Gewicht verleihen.

Das „Vier Jahreszeiten“ um 1900. Hamburgs berühmtestes Hotel warb mit „renommierter Küche“, „Personenaufzug“ und „Bädern im Haus“.
Tourismusverband Hamburg

Das „Vier Jahreszeiten“ um 1900. Hamburgs berühmtestes Hotel warb mit „renommierter Küche“, „Personenaufzug“ und „Bädern im Haus“.

Der Tourismus ist keine Erfindung des 20. Jahrhunderts. Schon vor 400 Jahren war in Adelskreisen die sogenannte „Grand Tour“ in Mode. Grafen, Barone und Herzöge schickten ihren Nachwuchs auf meist mehrjährige Reisen – zumeist nach Italien – wo die Söhne ihre Bildung und Sprachkenntnisse erweitern, Kontakte knüpfen sowie Prestige und Weltläufigkeit erwerben sollten.

Im Zeitalter der Romantik (1795-1840) fand dann auch das Bürgertum Gefallen am Reisen. 1827 gründete Karl Baedeker den ersten deutschen Verlag für Reisehandbücher. Thomas Cook organisierte 1841 die erste touristische Gruppenreise. Das erste Reisebüro Deutschlands wurde 1863 in Breslau eröffnet. Schließlich war es der schon erwähnte Hapag-Generaldirektor Albert Ballin, der 1891 die Kreuzfahrt erfand.

Hamburg-Rundfahrt um 1900: ein Pferdewagen der Hammonia-Rundfahrt-Gesellschaft.
Sammlung Günter Zint

Hamburg-Rundfahrt um 1900: ein Pferdewagen der Hammonia-Rundfahrt-Gesellschaft.

Der Hafen und die 1842 in Dienst gestellte erste Eisenbahn Norddeutschlands trugen mit dazu bei, dass Hamburg zu einem beliebten Ziel von wohlhabenden Touristen wurde. Die Stadt an Elbe und Alster war schon damals ein Sehnsuchtsort der Deutschen. Hafenrundfahrten, Kutschfahrten durch die Stadt und ein Besuch der Lokale und Theater an der Reeperbahn waren bei den Fremden sehr beliebt.

Bakteriologe Robert Koch beim Besuch in Hamburg 1892: „Vergesse, dass ich in Europa bin“

Dann aber brach die Cholera aus und alle Welt erfuhr, dass sich der Erreger über das Trinkwasser nur deshalb so schnell ausbreiten konnte, weil Hamburgs Stadtväter zu geizig gewesen waren und sich beim Wasserwerk den Einbau einer Filtrieranlage gespart hatten. Vor allem in den Elendsquartieren der Gängeviertel starben dadurch die Menschen wie die Fliegen, und dem Bakteriologen Robert Koch, Chef des Instituts für Infektionskrankheiten in Berlin, entfuhr der Stoßseufzer: „Ich vergesse, dass ich in Europa bin“.

Klar, dass all das nicht gerade förderlich für den Tourismus war. Hatte die Stadt 1891 rund 354.000 Gäste gezählt, sank die Zahl im Cholera-Jahr auf deutlich unter 300.000 und fiel weiter bis auf 280.000.

Um den Tourismus zu fördern, stellte der Verein dann einiges auf die Beine. Er kooperierte mit Fremdenverkehrsvereinen in- und ausländischer Städte, ließ Stadtpläne und Reiseführer drucken, schaltete Anzeigen, klebte Werbeplakate und eröffnete im Jahr 1900 in den Räumen des „Weltreisebüros Thomas Cook & Son“ am Alsterdamm (heute Ballindamm) 39 die erste Touristen-Information. In der sogenannten „Auskunftsstelle“ erhielten Besucher gezielt Informationen über Unterkünfte und Geschäfte und nahmen Werbematerial in Empfang.

Die Maßnahmen zeigten Wirkung. Der Abwärtstrend bei den Besucherzahlen konnte nicht nur gestoppt, sondern dank der Arbeit des Fremdenverkehrsvereins ins Gegenteil verkehrt werden.  Im Jahr 1900 zählte Hamburg 320.000 Besucher, 1908 waren es 463.000 und 1910 sogar schon 481.000. 

Wer um die Jahrhundertwende verreiste, hatte eine Menge Gepäck dabei: Vor dem Hauptbahnhof wuchten Träger Schrankkoffer auf eine Kutsche.
Staatsarchiv Hamburg

Wer um die Jahrhundertwende verreiste, hatte eine Menge Gepäck dabei: Vor dem Hauptbahnhof wuchten Träger Schrankkoffer auf eine Kutsche.

Ein regelrechtes Geschenk fiel der Hamburg-Werbung 1928 in den Schoß, als das Schlagwort „Hamburg – Tor zur Welt“ populär wurde. Der Fremdenverkehrsverein nahm den Slogan bereitwillig auf, galt er doch Hamburgs zentraler Sehenswürdigkeit, dem Hafen. „Besucht das schöne Hamburg – Deutschlands Tor zur Welt“, hieß es in einer 1930 überregional geschalteten Werbeanzeige. Parallel dazu gab es erstmals auch einen Slogan für St. Pauli: „Ankerplatz der Freude“. 

„Kraft durch Freude“: So kaperten die Nazis Hamburgs Tourismus

In Hamburg legten in der NS-Zeit die „Kraft-durch-Freude“-Dampfer ab: Hier das KdF-Kreuzfahrtschiff „Robert Ley“.
Tourismusverband Hamburg

In Hamburg legten in der NS-Zeit die „Kraft-durch-Freude“-Dampfer ab: Hier das KdF-Kreuzfahrtschiff „Robert Ley“.

Der Tourismus verlor seine Unschuld, als die Nazis mit der Organisation „Kraft durch Freude“ (KdF) den größten deutschen Reiseveranstalter schufen. Die vielen Angebote beinhalteten Wandertouren, gemeinsame Naherholung sowie Kurz- und Auslandsreisen. Hamburg spielte eine große Rolle, denn hier legten die KdF-Kreuzfahrtschiffe ab, die das propagandistische Aushängeschild der Organisation waren. Die Anzahl an Touristen, die die Organisation KdF in die Hansestadt brachte, war nicht unerheblich: Im Jahr 1935 waren es beispielsweise 88.500 „Hochseefahrer“, 40.000 Tages- und 15.500 Wochenendgäste.

Bemerkenswert war auch das Olympia-Jahr 1936: Viele ausländische Besucher der Spiele in Berlin reisten über den Hamburger Hafen an. Der Fremdenverkehrsverein zählte 1,2 Millionen Übernachtungen deutscher und 286.000 ausländischer Besucher, stellte sich ganz in den Dienst der Nazis und wirkte dabei mit, den Fremden ein weltoffenes und freundliches Deutschland vorzugaukeln. Nichts sollten sie mitbekommen vom Terror- und Unterdrückungsstaat. Tourismus als propagandistisches Ablenkungsmanöver.

Postkarte aus den 60er Jahren mit den bekannten Etablissements auf Hamburgs sündigster Meile.
Junius-verlag

Postkarte aus den 60er Jahren mit den bekannten Etablissements auf Hamburgs sündigster Meile.

Mit dem beginnenden Wirtschaftswunder startete Hamburgs Tourismus in den 50er Jahren ganz neu durch. Die Menschen hatten mit einem Mal wieder Geld, und konnten sich eine Reise leisten. In dieser Zeit kam Anton Luft als Geschäftsführer des Fremdenverkehrsvereins auf die Idee, den berühmten Wasserträger zum Werbemotiv für Hamburg zu machen. „Hummel“ fand sich überall wieder: als Plakat, Koffermarke oder Plakette. 

1986 erlebte Hamburg eine bis heute für den hiesigen Tourismus bedeutsame Premiere: die deutsche Uraufführung des Musicals „Cats“ von Andrew Lloyd-Webber, das auf riesiges Interesse stieß und sich schnell zu einem zusätzlichen touristischen Magneten entwickelte. Weitere Musicals wie „Das Phantom der Oper“ und „König der Löwen“ folgten. Der Fremdenverkehrsverband versprach sich davon einen spürbaren Aufschwung und wollte deshalb das Profil Hamburgs als „Musicalstadt“ weiter schärfen. Prompt wurde 1987 zum Rekordjahr des Hamburg-Tourismus mit 3,14 Millionen Übernachtungen. 

In den 80er Jahren wurde Hamburg zur Musicalstadt: „Phantom der Oper“, „König der Löwen“

Nach dem Fall der Mauer und der Wiedervereinigung erweiterte Hamburg seinen geografischen und touristischen Wirkungskreis, die Zahl der Gäste wuchs und wuchs. In den 1990er und 2000er Jahren bekam die Stadt mit der HafenCity und der Elbphilharmonie neue Attraktionen, was die Zahl der Übernachtungen auf mehr als 15 Millionen im Jahr 2019 ansteigen ließ.

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Dann der Einbruch durch Corona. Die Mobilität der Menschen reduzierte sich drastisch und entzog der Tourismuswirtschaft die Grundlagen ihrer Tätigkeit. „Nichts war mehr so wie zuvor“, so Wolfgang Raike, der Chef des Tourismusverbandes.

Tourismus-Werbung 1990: Urlauber auf der Suche nach dem berühmten „Tor zur Welt“. Wo isses nur?
Tourismusverband Hamburg

Tourismus-Werbung 1990: Urlauber auf der Suche nach dem berühmten „Tor zur Welt“. Wo isses nur?

Historisch betrachtet hat sich für den Tourismusverband ein Kreis geschlossen. Gegründet wurde er 1899, um dem Tourismus in der Stadt nach der Choleraepidemie wieder auf die Beine zu helfen. 125 Jahre später hat er mit großem Erfolg erneut daran mitgewirkt, eine schwere Krise zu meistern. 2023 zählten die Beherbergungsbetriebe in Hamburg fast 16 Millionen Übernachtungen – das sind mehr als im Vor-Corona-Jahr 2019. „Wir haben turbulente Zeiten gemeinsam überwunden und sind in den letzten Jahren noch mehr zusammengewachsen“, so Wolfgang Raike. 100.000 Beschäftigte hat der Tourismus in Hamburg heute. Er macht sechs Milliarden Euro Umsatz jährlich.

Von wegen Tor zur Welt: Wie Hamburg in den Ruf kam, schmutzig und verkeimt zu sein wurde gefunden bei mopo.de

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