Warum hassen so viele die Grünen, Herr Tjarks?

Warum hassen so viele die Grünen, Herr Tjarks?

Die Grünen sind in der Krise. In Umfragen abgesackt, vor allem aber werden sie von allen Seiten angefeindet und regelrecht bekämpft. Was ist da los – und was denken die Grünen selbst darüber? Das will die MOPO von Anjes Tjarks wissen, Stratege und Vordenker der Hamburger Grünen, der als Verkehrssenator die Stadt umbaut und dabei selbst heftige Kritik einstecken muss. Ein Gespräch über grünen Populismus, Migration, die AfD, „Degrowth“-Spinnereien, das Problem mit der CDU, warum wir mehr Geld für Autobahnen brauchen in Hamburg alles besser läuft.

MOPO: Die Grünen sind vom Liebling der Republik zum Feindbild und Hassobjekt geworden. Wie fühlt man sich da als Grüner in Verantwortung?

Anjes Tjarks: Wir erleben leider, dass immer mehr Teile der Gesellschaft versuchen, andere Teile der Gesellschaft abzuwerten. Und da machen leider auch einige Protagonisten der CDU und der CSU kräftig mit. Die Frage ist: Will man in diesen zumeist unsachlichen politischen Unterbietungswettbewerb einsteigen oder nicht? 

Die Grünen haben stets kräftig gegen CDU und CSU ausgeteilt, da kann man sich doch jetzt nicht ungerecht behandelt fühlen.

Nehmen Sie Markus Söder und wie der täglich über bestimmte Gruppen der Gesellschaft redet. Er wertet sie ab. Wie soll man da zusammen Politik machen? Ich will da nicht mitmachen, im Gegenteil. Die demokratische Mitte muss sich um die Mitte kümmern, muss trotz programmatischer Unterschiede Gemeinsamkeiten suchen, um dieses Land zukunftsfähig zu machen.

„Es gibt große Kräfte, die versuchen, die Grünen als Partei der Freiheit kaputt zu reden“

Söder ist ein Dampfplauderer aus Bayern, weiter nördlich hört sein Einfluss ganz schnell auf. Die Ablehnung der Grünen – nur die AfD wird in Umfragen noch stärker abgelehnt – kommt ja nicht wegen Herrn Söder.

Nach der Regierungsübernahme im Bund ist ziemlich viel passiert in der Welt, was die Sache nicht leichter gemacht hat.  Und die Ampel-Regierung betont deutlich zu häufig das Trennende. In Hamburg zeigen wir, wie es anders geht: Die Menschen werden vernünftig regiert und wissen, dass der Laden läuft. Und dann gibt es große Kräfte, die versuchen, die Grünen als Partei des liberalen Bürgertums und der Freiheit in Deutschland kaputt zu reden, weil wir eine klare Position vertreten etwa gegenüber Putins Russland.


MOPO

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Diese Woche u.a. mit diesen Themen:
– Warum hassen so viele die Grünen, Herr Tjarks?
– Helikopter-Eltern: Jetzt helfen nur noch Stahl-Poller!
– Mein buntes Idyll im Touri-Viertel: MOPO-Reporterin über „ihre“ HafenCity
– 20 Seiten Sport: Wie St. Pauli in der Bundesliga bestehen will, welche Chancen der Kiezklub tatsächlich hat
– 24 Seiten Plan7: Das „Logo“ feiert Jubiläum, Kevin Costners Westernsaga läuft in den Kinos und viele Ausgeh-Tipps

Beispiele?

Natürlich hat die Bundesregierung ein großes Interesse an einer diplomatischen Lösung,  Herr Putin allerdings nicht. Das ist leider die bittere Realität. Wenn man also nicht möchte, dass viele Millionen Menschen aus der Ukraine vor dem Krieg hierherflüchten, muss man Waffen an die Ukraine liefern, damit sie den Krieg mindestens nicht verliert. Ein weiteres Beispiel: Der Klimaschutz: Jede Problemlösung, die eine Veränderung beinhaltet, wird diffamiert, ohne selbst eine Lösung anzubieten. Da frage ich mich oft: Geht es hier noch um Inhalte oder nur noch darum, Probleme zu kreieren, sie als unlösbar darzustellen und dann den Grünen die Schuld zu geben?

Und schuld sind Merz und Söder?

Wir regieren sehr erfolgreich in einigen Bundesländern mit der CDU, andere Teile der Union diffamieren uns regelrecht.  Das passt nicht zusammen. Bei allem Trennenden, das es gibt und  das benannt werden muss,  ist es Aufgabe der gesellschaftlichen Mitte, Gemeinsamkeiten zu definieren, um politikfähig zu sein und die Frage zu beantworten: Wo wollen wir mit diesem Land, mit dieser Stadt hin? Abgesehen davon: Bei den Europawahlen waren wir in Hamburg immer noch stärkste Kraft, so schlimm scheint es um die Grünen also nicht zu stehen.

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Die Grünen waren aber auch größter Verlierer.

Und haben trotzdem gewonnen.

Könnte der Grund für die Ablehnung der Grünen nicht auch sein, dass zentrale Versprechungen nicht wahr wurden? Von einem „grünen Wirtschaftswunder“ ist nichts zu sehen. Statt „die Sonne schickt keine Rechnung“ werden wir auf Jahre oder gar Jahrzehnte hohe Strompreise haben, weil der Netzumbau so teuer ist. Sie erklären den Klimaschutz zum Allerwichtigsten und schalten CO2-freie Atomkraftwerke ab. Bei der Migration gibt es statt einer bunten Regenbogengesellschaft massive Probleme – und man hat nicht das Gefühl, dass die Grünen das ernst nähmen. Sind die Grünen nicht auch Opfer ihres eigenen Populismus?

Wir liegen immer noch deutlich über unseren Zustimmungswerten von vor zehn Jahren, wir haben in der Ampel mit Abstand am wenigsten an Zuspruch verloren. Deshalb wehre ich mich gegen die These, das war alles grüner Populismus, der uns jetzt auf die Füße fällt. Im Gegenteil: Uns wird mit viel Populismus begegnet. Und trotzdem muss man sich bei Themen ehrlich machen.

„Deutschland muss einen AfD-Ministerpräsidenten unter allen Umständen verhindern“

Zum Beispiel?

Nehmen wir die Migration: Jedes zweite Schulkind in Hamburg hat eine Migrationsgeschichte. Ohne Migranten wäre diese Stadt älter und ärmer.  Wir sollten klar sein, dass viele Menschen mit Migrationsgeschichte unsere Stadt bereichern und ihr eine Zukunft geben. Gleichzeitig ist aber auch klar: Es wird immer Menschen geben, die Probleme verursachen. Und davon haben auch  welche Migrationshintergrund.  Und da muss man dann unabhängig von der Herkunft der Menschen hinsehen und handeln, wie etwa  mit der Sicherheitsoffensive am Hauptbahnhof, die wir als Verkehrsbehörde sehr unterstützen, weil wir wollen, dass sich alle im ÖPNV wohlfühlen.

Den Grünen wird vorgeworfen, im Grunde immer noch offene Grenzen zu wollen.

Wir wollen Humanität, aber auch Ordnung. Das ist nicht einfach, und die Grünen haben den Ordnungsaspekt manchmal etwas unterbetont.

Wir werden jetzt drei Wahlen im Osten haben, bei denen AfD und BSW wohl hohe Ergebnisse einfahren. Auch wenn es unwahrscheinlich ist: Was würde ein AfD-Ministerpräsident bedeuten?

Dieses Land täte gut daran, dies unter allen Umständen zu verhindern.

„Degrowth führt zu nichts. Wir brauchen Wachstum“

Was wäre so schlimm daran?

Dass eine Partei, die vom Verfassungsschutz als gesichert rechtsextremistisch eingestuft wird, Zugriff auf den Sicherheitsapparat bekommt.

In Hamburg werden die Grünen vor allem wegen ihrer Verkehrspolitik bekämpft, regelrecht angefeindet.

Das nehme ich nicht in meinem Alltag wahr. Es wird vor allem  von der CDU forciert, die aber nur wenige eigene Vorschläge mit Substanz macht. In der Praxis werden Jungfernstieg und Steinstraße ohne größere Konflikte umgebaut, während in Berlin der Umbau der Friedrichstraße gescheitert ist. Es entstehen an vielen Orten völlig unstrittig Fahrradwege, die U5 wird unter Hochdruck gebaut, was viele Stadtteile auch belastet. Und dennoch passiert der Bau selbst im Konsens. Wir elektrifizieren die Taxis, ohne dass groß gemeckert wird, die S-Bahn wird modernisiert und erweitert, der Süden besser angebunden. Klar kann man sich in einer Großstadt über viele Dinge aufregen, aber wir haben eine ganze Menge Projekte, die wir gut und  im Konsens hinkriegen.

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„Es hat noch niemand geschafft, Verkehrspolitik ohne Widerspruch zu machen“

Den Hauptärger gibt es auch eher in den Bezirken, in den Stadtteilen. Anwohnerparken, der Wegfall von Parkplätzen, Baumfällungen für den Straßenumbau. Auch bei den Koalitionsverhandlungen formiert sich vielerorts eine Front gegen die Grünen, in Nord wird wohl der grüne Bezirkschef abgesägt.

Es hat noch niemand in einer Großstadt geschafft, Verkehrspolitik ohne Widerspruch machen. Aber an vielen Stellen wird die Stadt umgebaut, ohne dass es groß Klagen gäbe, ob Max-Brauer-Allee, Königstraße, Louise-Schroeder-Straße. Das liegt daran, dass die Mobilitätswende mehr Lebensqualität bedeutet und das wollen viele Menschen. Die CDU dagegen will alles  und kritisiert alles gleichzeitig: mehr Platz für Fußgänger, geschützte Radwege, keine Baumfällungen und Erhalt aller Parkplätze. Wie soll das gehen bei begrenztem Platz?  Das ist Populismus ohne reale Substanz.

Die Hamburger CDU kann man nicht ernst nehmen?

Man muss jede Partei ernst nehmen, aber die Hamburger CDU ist mal mit der „wachsenden Stadt“ angetreten und nun wollen sie als Allererstes das größte Wohnungsbauprojekt Hamburgs, Oberbillwerder,  verhindern – das passt nicht zusammen. Daran sieht man, dass die nötige Verantwortung fehlt.

Wird man in 20 Jahren noch mit dem Auto in die Innenstadt fahren können?

Natürlich, so steht es auch in unserem Verkehrskonzept.

Läuft es für die Grünen in Hamburg nicht auch deutlich besser, weil hier die Wirtschaftslage noch sehr gut ist. Woanders schrumpft die Industrie und viele werfen den Grünen vor, das auch noch gut zu finden, Stichwort „Degrowth“. So wird man auch zum Hassobjekt.

Degrowth führt zu nichts. Wir brauchen eine Wachstumsagenda für Deutschland. Wir müssen sehr viel Geld in die Hand nehmen. Die Infrastruktur muss dem drittgrößten Industrieland der Welt angemessen sein, sowohl was die Bahn als auch die Autobahnen angeht. Das zweite Thema …

Entschuldigung, mehr Geld für die Autobahnen? 

Wir brauchen dringend mehr Geld für die Sanierung der Bahn, aber auch sehr viele Autobahnbrücken, sind kaputt. 12 Jahre Union mit Herrn Ramsauer, Herrn Dobrindt und Herrn Scheuer haben bei der Bahn und bei der Autobahn erhebliche Verschleißspuren hinterlassen. Die haben schlicht zu wenig investiert, um Deutschlands Infrastruktur in Schuss zu halten.  

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Was wollen Sie noch finanzieren? 

Zunächst einmal: Mit der Bahn und der Autobahn ist es ja noch nicht getan: Die Bundeswehr braucht langfristig mehr Geld, die Digitalisierung, der Bürokratieabbau, die Transformation der Wirtschaft …

… und wo soll das Geld herkommen? Wollen Sie auch die Schuldenbremse abschaffen, oder gibt es für jedes Projekt ein Sondervermögen?

Ich würde zunächst dazu raten, nicht über die grundsätzliche Abschaffung der Schuldenbremse zu diskutieren. Hierfür gibt es keine politische Mehrheit. Wichtig ist, dass man sich auf Themenfelder einigt, und dass man versteht, dass mehr staatliches Geld sehr relevant, aber nicht alles ist. Wir brauchen auch mehr private Investitionen, mehr Digitalisierung und einen umfassenden Bürokratieabbau. Dann sollte man das sinnvollste Instrument wählen und schauen, ob das ein Sondervermögen, ein Fonds oder eine Reform der Schuldenbremse ist.

Warum hassen so viele die Grünen, Herr Tjarks? wurde gefunden bei mopo.de

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