Warum kann man die Kalifat-Demo nicht einfach verbieten?

Warum kann man die Kalifat-Demo nicht einfach verbieten?

Für kommenden Samstag hat die islamistische Organisation „Muslim Interaktiv“ erneut eine „Kalifat“-Demonstration in Hamburg angekündigt. Diese wird unter Auflagen stattfinden. Die MOPO sprach mit Marion Albers, Professorin für Öffentliches Recht an der Uni Hamburg, über Demo-Verbote und die manchmal knifflige Aufgabe der Polizei.

MOPO: Frau Professor Albers, was war ihr erster Gedanke, als Sie die erste Kalifats-Demo Ende April in Hamburg gesehen haben?

Marion Albers: Wie wohl die meisten Menschen fand ich die Art des Aufmarsches und einige Parolen erschreckend.

Viele erheben nun die Forderung, die für kommenden Samstag angekündigte zweite Hamburger Kalifats-Demo zu verbieten. Ganz grundsätzlich gefragt: Geht das überhaupt so einfach?

Die Versammlungsfreiheit ist ein Grundrecht. Unter bestimmten Voraussetzungen ist sie einschränkbar. Eine Demo muss nicht durch die Behörden genehmigt, sondern nur im Regelfall angemeldet werden. Diese Anmeldung dient aber vor allem dazu, dass die Behörden schauen können, ob Straßen abzusperren sind oder wie der Verkehr reguliert werden muss. Ein Versammlungsverbot hat im Versammlungsgesetz hohe Voraussetzungen. Nach den erkennbaren Umständen, also auf der Basis belegbarer Tatsachen, muss die öffentliche Sicherheit bei Durchführung der Versammlung gefährdet sein, etwa weil Straftaten absehbar sind. Die Polizei ist aber dem Verhältnismäßigkeitsprinzip verpflichtet. Heißt: Sie muss zunächst mildere Mittel wählen als das Verbot, um etwaige Straftaten abzuwenden. Also beispielsweise Auflagen verhängen oder den Anmelder bzw. Veranstaltungsleiter der Demo verpflichten, beispielsweise dafür zu sorgen, dass keine Plakate mit rechtswidrigen Sprüchen gezeigt werden.

Einige Politiker betrachten aber Sprüche und Plakate wie „Das Kalifat ist die Lösung“ oder „Deutschland ist eine Wertediktatur“ durchaus als Straftat, genauer als Volksverhetzung. Wie sehen Sie das?

Nein, das ist keine Volksverhetzung. Diese meint, vereinfacht gesprochen, die Aufstachelung zum Hass gegen religiöse oder ethnisch bestimmte Gruppen oder deren Verächtlichmachung. Im Fall der Kalifat-Demo wäre eher an so genannte Staatsschutzdelikte zu denken, also etwa an die Verunglimpfung und Verächtlichmachung des Staates und unserer verfassungsmäßigen Ordnung.

… was aber auch Interpretationssache ist …

Ja. Parolen sind oft schillernd und interpretationsbedürftig. Das gilt auch für den Spruch: „Das Kalifat ist die Lösung“ – Was genau ist mit Kalifat gemeint? Lösung wofür? Und nach der Kalifat-Demo wurde von interessierter Seite ein Kalifat als völlig harmlos dargestellt. Motto: Ein Kalif ist so wie euer Papst jemand, der uns zu einem besseren Leben anleitet …

Marion Albers ist Professorin für Öffentliches Recht an der Uni Hamburg.
Uni Hamburg

Marion Albers ist Professorin für Öffentliches Recht an der Uni Hamburg.

… was allerdings die dunklen Seiten der real exisitierenden Kalifate wie zwischenzeitlich im Irak oder Afghanistan völlig ausblendet: strikte Geschlechtertrennung, Unterdrückung der Frau, drastische Körperstrafen oder die Erlaubnis, „Ungläubige“ zu töten …

Die Polizei und die Versammlungsbehörde müssen sich bei Demos die Deutungen der Veranstalter nicht zu eigen machen. Parolen sind aus objektiver Sicht im konkreten Kontext zu interpretieren. Ein Plakat „Das Kalifat ist die Lösung“ ist aber für sich genommen noch nicht sonderlich aussagekräftig. Und „Wertediktatur Deutschland“ kann je nach Kontext durch die Meinungsfreiheit genauso gedeckt sein wie der Begriff „Lügenpresse“. Werden aber gleichzeitig von der Bühne herab staats- und gesellschaftsverachtende Reden gehalten, stellt sich die Situation schon anders dar. Was Parolen auf extremistischen Demos betrifft: Die meisten Anmelder wissen heute sehr genau, wie weit ihre Anhänger mit den Losungen in der Öffentlichkeit gehen können. Das macht es für die Polizei nicht einfacher.

Hat die Hamburger Polizei Ihrer Meinung nach auf die erste Kalifats-Demo angemessen reagiert? Einige fanden das Vorgehen der Beamten zu defensiv.

Das, was ich darüber weiß, lässt mich vermuten: Ja, das Vorgehen war im Großen und Ganzen angemessen. Die Hürden für ein „hartes Durchgreifen“ sind wie erwähnt hoch. Sicher kann das Vorgehen noch verbessert werden, vor allem, wenn man Erfahrungen mit dem Veranstalter und Demonstrationen dieser Art in Hamburg sammelt und diese Erfahrungen künftig als Tatsachenbasis für behördliche Maßnahmen nutzen kann.

Das Versammlungsrecht ist also zeitgemäß? Oder sehen Sie Änderungsbedarf?

Soweit es um Straftaten auf Versammlungen geht, muss man berücksichtigen, dass das Strafrecht stark auf Einzeltaten ausgerichtet ist. Also beispielsweise strafbare Parolen. Weniger greifbar ist es, wenn die Art des Aufmarschs oder aggressives Gebrüll durch eher symbolische Wirkungen bedrohlich und einschüchternd wirken. So etwas wird im Versammlungsrecht vor allem durch das so genannte Uniformverbot erfasst.

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Dahinter steht die historische Erfahrung mit Aufmärschen der SA und SS in Uniformen, mit Stiefeln und Fackeln, die allein wegen ihrer Form eine enorme Bedrohungswirkung ausstrahlten. Deswegen ist in der heutigen Praxis beispielsweise bei einer Neonazi-Demo das Tragen von Springerstiefeln untersagt worden, und das war eine durchaus effektive Auflage. Ich glaube, dass man im Falle solcher Wirkungen von Versammlungen die vorhandenen Einschränkungsmöglichkeiten ausschöpfen und ggf. über neue Möglichkeiten nachdenken sollte.

Warum kann man die Kalifat-Demo nicht einfach verbieten? wurde gefunden bei mopo.de

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