„Wir bezahlen für den Gas-Hunger der Deutschen mit unserem Leben“

„Wir bezahlen für den Gas-Hunger der Deutschen mit unserem Leben“

Hamburg baut ein neues Gaskraftwerk. Die Anlage auf der Dradenau soll zum einen die von Russland unabhängige Wärmeversorgung sicherstellen, zum anderen springt sie ein, sollte es zu einem größeren Stromausfall kommen. Doch woher kommt das Gas dafür eigentlich? Die MOPO traf Elida Castillo und John Beard, zwei US-Amerikaner aus Texas, wo der für Deutschland so wichtige Rohstoff gefördert wird – per Fracking. Sie berichten von verheerenden Folgen des deutschen Gas-Hungers für ihre Heimat und ihre Familien.

Elida Castillo ist alles andere als eine Öko. „Ich war nie eine Aktivistin oder Umweltschützerin“, sagt die 44-Jährige aus Corpus Christi. Auch John Beard hat sich sein Leben lang nicht sehr für das Klima interessiert. Der 67-Jährige aus Port Arthur hat 38 Jahre in der Öl-Industrie gearbeitet, unter anderem bei Exxon Mobile.

Gesundheitsgefahren durch LNG: „Wenn Sie nach Port Arthur kommen, fängt ihr Hals an zu kratzen“

Doch seit er in Rente ist, macht sich Beard genauso wie Elida Castillo für seine Kommune stark. Denn dort geht es den Menschen immer schlechter. „Wenn Sie nach Port Arthur kommen, merken Sie bald, dass Ihr Hals anfängt zu kratzen. Die Haut juckt, die Nase läuft. Vielleicht kriegen Sie Nasenbluten“, sagt Beard.

Für die Bewohner von Port Arthur sind diese Gesundheitsprobleme allgegenwärtig. Seit ein paar Jahren sind Krankheiten wie Krebs, Asthma und COP in die Höhe geschnellt. Auch viele Kinder sind betroffen. Bei John Beards eigener Tochter wurde ein Neuroblastom (ein hochmaligner embryonaler Tumor) entdeckt, das zum Glück rechtzeitig entfernt werden konnte.

Die Bewohner von Port Arthur und vieler anderen Ortschaften am Golf von Mexiko machen dafür die Flüssiggas (LNG)-Industrie verantwortlich. Texas ist innerhalb der USA der größte Produzent nicht nur von Öl und Strom, sondern auch von Erdgas.

Fracking: In Europa verboten, in den USA erlaubt

Dabei wird größtenteils die umstrittene Fracking-Methode angewendet, die in Europa verboten ist. Um das Gas aus dem Gestein zu lösen, werden Chemikalien mit Hochdruck in die Erde gepumpt. Das führt zu Verunreinigungen des Grundwassers und damit zur Gesundheitsgefährdung der Bevölkerung. Die ewig brennenden Fackeln auf den Gasfeldern im Westen von Texas wiederum sorgen für eine starke Luftverschmutzung.

Schilder in Port Arthur warnen vor den Gas- und Öl-Pipelines.
hfr

Schilder in Port Arthur warnen vor den Gas- und Öl-Pipelines.

Seit Europa sich vor zwei Jahren vom russischen Gas abgewendet hat, wurde die Produktion massiv angekurbelt. Das US-Gas gilt gerade in Deutschland als Heilsbringer. In den letzten Wintern drohte hierzulande vorübergehend eine massive Gasknappheit. Die Politik zog alle Register, um die Lücke zu füllen. Als Kanzler Olaf Scholz (SPD) dafür nach Saudi-Arabien reiste, brannte eine moralische Diskussion über Deals mit Diktaturen auf.

Die USA schienen die vermeintlich „sauberste“ Lösung. Laut Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft kommen heute 83 Prozent der LNG-Lieferungen aus den USA. Weil es keine Pipelines durch den Atlantik gibt, muss das Gas verflüssigt per Tanker transportiert werden. Dafür wird es auf Minus 160 Grad heruntergekühlt, was die Menge um das 600-fache reduziert. Anschließend wird es auf riesigen Tankern verschifft – zum Beispiel nach Wilhelmshaven, Stade oder Brunsbüttel, wo es dann wieder in seinen Gaszustand versetzt wird.

Damit die LNG-Tanker passieren können, wird die Küsten-Ökologie zerstört – Flut-Gefahr!

Elida Castillo zeigt ein Foto eines solchen Tankers, wie es vor der Küste ihrer Heimat vorbei fährt. „Sie entfernen das Seegras im Meer, damit die Schiffe passieren können. Ohne diese natürliche Barriere kommt es verstärkt zu Überflutungen in den Küstenorten. Gerade jetzt in der Hurrikan-Saison werden so Häuser zerstört.“ Hinzu kämen die Erdbeben, die ebenfalls eine typische Begleiterscheinung des Frackings sind.

Ein LNG-Tanker fährt vor der Küste von Corpus Christi entlang.
hfr

Ein LNG-Tanker fährt vor der Küste von Corpus Christi entlang.

„Ist das gerecht?“, fragt John Beard. „Wenn etwas falsch für Deutschland ist, warum ist es dann nicht auch falsch für Texas? Wir bezahlen für den Gas-Hunger der Deutschen mit unserem Leben und mit dem Leben unserer Kinder. Ist euch das egal?“

Für Castillo und Beard hat die umstrittene Gas-Förderung einerseits eine Umwelt- und Klimadimension, andererseits eine Menschenrechtsdimension. „Sie bauen die Gas-Felder nicht in Dallas, wo die Millionäre wohnen. Sie bauen sie dort, wo die arme Bevölkerung lebt. Weil sie wissen, dass sich dort niemand zu wehren weiß“, sagt John Beard. Vor allem Schwarze Gemeinden seien betroffen. „Es geht hier auch um Rassismus.“

Niemand weiß, woher das norddeutsche Gas eigentlich genau kommt

Alle Versuche, politisch etwas zu erreichen, seien gescheitert. „Für unsere Politiker sind Profite wichtiger als Menschen“, sagt Beard. Deshalb hätten er und Castillo sich entschlossen, durch Europa zu reisen und zu erzählen, wie es bei ihnen zu Hause aussieht.

Ein Kinderspielplatz in Corpus Christi mit Gas-Fackel im Hintergrund.
hfr

Ein Kinderspielplatz in Corpus Christi mit Gas-Fackel im Hintergrund.

Doch wer hat in Hamburg überhaupt das Desaster jenseits des Atlantiks im Blick? Die Umweltbehörde verweist an Gasnetz Hamburg. Gasnetz sagt, sie würden nur die Leitungen bereitstellen. Die Versorger wie Eon oder Vattenfall sagen, sie würden das Gas auf dem Großhandelsmarkt als Mix einkaufen. Wer die LNG-Importeure sind, kann niemand sagen. Es ist ein verschachteltes System, das jeden Teilnehmer aus der Verantwortung entlässt und sogar ermöglicht, dass sie sich das Qualitätsmerkmal „Nachhaltigkeit“ auf die Fahne schreiben.

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John Beard zeigt noch mehr Fotos. Die Skyline von Port Arthur wird nicht von Hochhäusern bestimmt, sondern von Metallrohrsystemen und Dampfwolken. Ein Bild zeigt einen Kinderspielplatz, direkt dahinter die brennende Fackel eines Gasfeldes. „Einmal gab es dort eine große Explosion. Sie geschah nachts. Wenn es tagsüber passiert wäre, hätte es Tote gegeben.“

„Wir bezahlen für den Gas-Hunger der Deutschen mit unserem Leben“ wurde gefunden bei mopo.de

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