Wirtschaft: Chancenkarte soll Ausländer nach Deutschland locken

Wirtschaft: Chancenkarte soll Ausländer nach Deutschland locken

Ohne Arbeitskräfte aus anderen Ländern würde die deutsche Wirtschaft nicht funktionieren. Die Bundesregierung hat nun eine Maßnahme eingeführt, die noch mehr ausländische Fachkräfte nach Deutschland holen soll. Die Arbeitskräfte-Lücke in Deutschland droht, um Millionen offene Stellen zu wachsen. In vielen Berufsfeldern funktioniert der Arbeitsmarkt nur dank Menschen mit ausländischen Wurzeln und die Fachkräftelücke wächst trotzdem. Ab Samstag können sich Migrantinnen und Migranten auf dem Weg zu einem Job in Deutschland um eine sogenannte Chancenkarte bemühen. Doch was ist das und was soll das bringen? Ein Überblick: Wie viele Fachkräfte fehlen in Deutschland? Sieben Millionen Fachkräfte müssten wegen des Älterwerdens der Gesellschaft bis 2035 ersetzt werden, sagte Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) bei einem Fachkräftekongress der Regierung unter Berufung auf das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung. Besonders gravierend ist der Mangel unter anderem in der Pflege und der Gastronomie. In vielen Unternehmen und Behörden fehlen allerdings auch IT-Fachleute. Was ist eine Chancenkarte? Die Chancenkarte tritt ab dem 1. Juni in Kraft und wurde im vergangenen Jahr mit dem Fachkräfteeinwanderungsgesetz beschlossen. Sie richtet sich an Menschen, die nicht aus der Europäischen Union stammen. Dieses neue Instrument im Aufenthaltsgesetz soll den Zuzug von qualifizierten Arbeitskräften nach Deutschland erleichtern. Ein Vertrag mit einem Arbeitgeber in Deutschland ist hier keine Voraussetzung. Wie funktioniert die Chancenkarte? Grundvoraussetzung ist eine mindestens zweijährige Berufsausbildung oder ein Hochschulabschluss im Herkunftsland sowie Sprachkenntnisse in Deutsch oder Englisch. Je nach Sprachkenntnis, Berufserfahrung, Alter und Deutschlandbezug bekommen Interessierte Punkte, die sie zum Erhalt der Chancenkarte berechtigen. Auch für Qualifikationen in Engpassberufen, also Berufen in einem Bereich, in dem ein besonderer Engpass an Fachkräften besteht, gibt es Punkte. Mit der Karte können Nicht-EU-Ausländer dann nach Deutschland kommen und haben ein Jahr lang Zeit, sich einen festen Job zu suchen. Unter bestimmten Voraussetzungen ist eine einmalige Verlängerung um zwei Jahre möglich. Warum haben bisherige Maßnahmen nichts gebracht? Tatsächlich hat Deutschland schon seit März 2020 ein Fachkräfteeinwanderungsgesetz, das die schwarz-rote Koalition beschlossen hatte, um den Zuzug von qualifizierten Arbeitskräften aus Nicht-EU-Staaten zu fördern. Nach Einschätzung von Experten blieb seine Wirkung allerdings einerseits wegen der Reisebeschränkungen durch die Corona-Pandemie begrenzt, andererseits aber auch wegen des nach wie vor hohen bürokratischen Aufwands für die Erwerbsmigranten. Welche Regelungen gibt es neben der Chancenkarte? Ab Samstag werden auch die Möglichkeiten für Arbeitskräfte aus den Westbalkanstaaten ausgeweitet, für einen Job nach Deutschland zu kommen. Die Regelung erleichtert den Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt für Staatsangehörige aus Albanien , Bosnien und Herzegowina, dem Kosovo, Nordmazedonien , Montenegro und Serbien – auch Ungelernte können profitieren. Allerdings müssen alle, die über die sogenannte Westbalkanregelung einreisen wollen, vorab einen Arbeitsvertrag nachweisen. Bislang werden für Arbeitskräfte aus diesen Staaten, die eine Jobzusage haben, von der Bundesagentur für Arbeit pro Jahr 25.000 Genehmigungen vergeben. Dieses Kontingent soll auf 50.000 Zustimmungen jährlich verdoppelt werden. Seit März gibt es außerdem die Aufenthaltsmöglichkeit für Ausländer aufgrund berufspraktischer Erfahrung – ein Herzstück des Gesetzes zur Fachkräfteeinwanderung. Fachkräfte mit Abschluss und Berufserfahrung können ohne vorheriges Anerkennungsverfahren einreisen und in Deutschland arbeiten. Sie müssen also noch keine in Deutschland anerkannte Ausbildung vorweisen. Das soll Bürokratie einsparen und Verfahren verkürzen. Das Jobangebot aus Deutschland muss für die Aufenthaltsmöglichkeit allerdings ein Bruttojahresgehalt von mindestens 40.770 Euro zusichern. Zahlt der Arbeitgeber nach Tarif, genügt eine Entlohnung entsprechend dem Tarifvertrag. Was bringen die Reformen? Für eine Bewertung der Wirkung ist es noch zu früh, da die Neuerungen erst seit Kurzem gelten. Allerdings gibt es neben den teils hohen Anforderungen und bürokratischen Hindernissen noch andere Hemmnisse, die Erwerbsmigranten von einem Umzug nach Deutschland abhalten. Dazu gehören beispielsweise hohe Steuern- und Abgabelasten und der Wohnraummangel in Ballungsräumen. Grünen-Politikerin Misbah Khan glaubt dennoch, dass die Chancenkarte hilft: “Angesichts des eklatanten Arbeitskräftemangels von über 400.000 Menschen pro Jahr ist die Chancenkarte in erster Linie eine Chance für Deutschland”. Es liege nun an Deutschland als Gesellschaft und Wirtschaftsstandort, die neuen gesetzlichen Änderungen mit Leben zu füllen und als Einwanderungsland noch attraktiver zu werden. Der Arbeitsmarktforscher Holger Bonin sieht die Chancenkarte hingegen kritisch. “Das System ist viel zu kompliziert”, sagte der Forschungsdirektor des Instituts zur Zukunft der Arbeit (IZA) dem “Mediendienst Integration”. Für die Überprüfung der geforderten Kriterien müsse eine umfangreiche Bürokratie aufgebaut werden, was auf potenzielle Arbeitskräfte abschreckend wirken könne, meint er.