Zwischen Tradition und Diaspora: So schmeckt die jüdische Küche Hamburgs

Zwischen Tradition und Diaspora: So schmeckt die jüdische Küche Hamburgs

Nur wenige Juden aus Hamburg haben den Holocaust überlebt. Sie entkamen der nationalsozialistischen Vernichtungsmaschinerie, weil sie rechtzeitig in die USA, nach Palästina, Südamerika oder China flüchteten. Mitnehmen konnten sie nur das Nötigste. Erstaunlich: Bei einigen gehörten dazu die Familienrezepte. „Das Jüdische Kochbuch aus Hamburg” erzählt diese Geschichten.

Judith Landshut steht in ihrer Küche im 10. Stock eines Hochhauses in Harvestehude und kocht. Doch es sind nicht die Zwiebeln, die ihr die Tränen in die Augen treiben. Es ist die Rührung über den Schatz, den sie und ihre beiden Mitautorinnen zusammengetragen haben.

Aus den USA oder England wurden uralte Familien-Kochbücher von Hamburger Familien geschickt

„Ich könnte weinen: Diese Menschen haben Deutschland verlassen und ihre Rezepte mitgenommen. Sie haben sie aufgehoben und an die nächste Generation weitergegeben”, sagt die 74-Jährige.

Als Landshut, Gabriela Fenyes und Barbara Guggenheim anfingen, ihre Idee für ein jüdisches Kochbuch aus Hamburg zu entwickeln, nahm die Sache bald eine Dynamik an, mit der sie nicht gerechnet hatten. „Da kamen uralte Rezeptbücher bei uns an. Handgeschrieben. Einige in Sütterlin. Diese deutschen Juden – die hatten eine Ordnung!”, lacht Judith Landshut, die selbst aus der Slowakei stammt und seit Anfang der 70er Jahre in Hamburg lebt.

Die Rezeptsammlung von Eva Oppenheim fängt zum Beispiel mit „Wachsbohnen“ und „Schwenkkartoffeln“ an. Später, nach einiger Zeit im britischen Exil, wechselte sie ins Englische. „Roast Beef“ oder „Marinated Steak“ heißt es dann.

Mehr als nur eine Rezeptesammlung: „Das Jüdische Kochbuch aus Hamburg“ erzählt Geschichten über Tradition, Flucht und Exil.
Nina Gessner

Mehr als nur eine Rezeptesammlung: „Das Jüdische Kochbuch aus Hamburg“ erzählt Geschichten über Tradition, Flucht und Exil.

Auch Judith Landshut hat noch eine vergilbte Zettelsammlung mit den Rezepten ihrer Mutter. Die 1926 in der Nord-Slowakei geborene Gertrud Polak, verheiratete Sternlicht, hatte das Konzentrationslager Sered überlebt und nach dem Krieg eine Leidenschaft fürs Einmachen von Gartenfrüchten entwickelt. Als ihre Tochter Judith nach dem Prager Frühling das Land verließ, schickte die Mutter ihr die heimischen Rezepte zu.

„Das Jüdische Kochbuch aus Hamburg“ erzählt die Geschichte von Tradition, Flucht und Leben in der Diaspora

„Die Gerichte meiner Mutter waren wegen ihrer Herkunft ungarisch angehaucht”, berichtet Judith Landshut. So wie der Pörkölt (Gulasch) mit Nockerln, der noch immer zu den Leibgerichten der 74-Jährigen zählt. Die Rezepte, die Judith Landshut zu dem Kochbuch beigesteuert hat, tragen den Geschmack ihrer Heimat – genau wie viele andere Gerichte in der Sammlung, welche die traditionellen Speisen der Hamburger Jüdinnen von vor dem Krieg ergänzen und aus dem Leben in der Diaspora erzählen.

Die Mutter von Judith Landshut, Gertrud Sternlicht, in ihrer Küche im slowakischen Halič .
Nina Gessner

Die Mutter von Judith Landshut, Gertrud Sternlicht, in ihrer Küche im slowakischen Halič .

„Das Jüdische Kochbuch aus Hamburg“ ist daher mehr als nur eine Rezeptesammlung. Es ist ein Buch über die Geschichte der jüdischen Küchen in der Hansestadt vor dem Nationalsozialismus – und nach dem Nationalsozialismus. Vor dem Faschismus galt die Tradition. Mit Mahlzeiten wie „Gefilte Fisch“. Hinterher wird es bunt. Denn nach 1945 erlebte die Jüdische Gemeinde in Hamburg eine Neugründung, die im Laufe der Jahre zu großen Veränderungen in der Zusammensetzung führten.

Die Jüdische Küche in Hamburg ist heutzutage eine bunte Mélange mit Einflüssen aus aller Welt

Lange Jahre prägten die persischen Juden die Gemeinde. Nach dem Ende der Sowjetunion kamen die Russen dazu, die Ukrainer, die Litauer. Inzwischen leben auch viele Israelis in Hamburg. So wie Landesrabbiner Shlomo Bistritzky, dessen Ehefrau Chani mit einem Rezept für „Blintzes“ in dem Kochbuch auftaucht – mit Quark gefüllte Pfannkuchen, welche nach einer neuen Tradition in der Gemeinde Müttern nach der Geburt eines Kindes gebracht werden.

Das könnte Sie auch interessieren: Lokale, Lebensmittel, Lesungen: Wird der Grindel wieder zum jüdischen Viertel?

Die russischen Einflüsse wiederum lassen sich in Rezepten wie „Borschtsch mit Fleisch“ von Rada Biller, der Mutter des Schriftstellers Maxim Biller, ablesen. Die persischen in Gerichten wie „Addas Polo“ (Linsenreis) von der aus einer Teheraner Familie stammenden Sonia Roubeni.

„Wenn man den persischen Jüdinnen beim Kochen half, mussten immer Berge von Kräutern geschnippelt werden“, erinnert sich Judith Landshut an früher. Aktuell ist sie im Stress. Sie kocht Marmeladen ein. So wie einst ihre Mutter. „Ich muss mich beeilen. Jetzt gibt es deutsche Erdbeeren. Die schmecken am besten.“

Zwischen Tradition und Diaspora: So schmeckt die jüdische Küche Hamburgs wurde gefunden bei mopo.de