Giorgia Meloni als Verbündete? Diese Küsse sind gefährlich

Giorgia Meloni als Verbündete? Diese Küsse sind gefährlich

Italiens Regierungschefin Giorgia Meloni gibt sich bürgerlich, geht etwa auf Distanz zur AfD. Zu radikal seien ihr die Rechtspopulisten aus Deutschland. Das könnte aber nur ein Deckmantel für ihre wahren innenpolitischen Vorhaben sein. Es ist eine Szene, die noch vor einigen Jahren undenkbar gewesen wäre. Am 1. März war die italienische Ministerpräsidentin Giorgia Meloni zu Gast im Weißen Haus in Washington . Ihr Verhältnis zu US-Präsident Joe Biden ist ausgesprochen gut, das wird bei jedem Aufeinandertreffen der beiden deutlich. Ihre Umarmungen sind innig, oft fassen sie sich bei Presseterminen gegenseitig an die Hände. Bei Melonis Besuch in den USA lobte Biden nicht nur ihre Führungsstärke, er gab ihr sogar einen Kuss auf die Stirn – vor laufenden Kameras. Ein Küsschen für eine Neofaschistin. Melonis Machtübernahme 2022 löste bei Italiens Verbündeten heftige Bauschmerzen aus. Wie sollte der Westen mit einer rechtsradikalen Regierungschefin umgehen? Aber Meloni schaffte es schnell, diese Sorgen zu zerstreuen. Sie gibt sich im Amt pragmatisch, steht im Umgang mit dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine fest an der Seite der Nato . Die italienische Regierungschefin verzichtet auf faschistische Parolen und sie distanziert von rechtsradikalen Parteien wie der deutschen AfD . Es ist keine Überraschung, dass Meloni sich in dieser Woche für den Ausschluss der AfD aus der rechten ID-Fraktion (“Identität und Demokratie”) im Europäischen Parlament aussprach. Ähnlich wie Marine Le Pen in Frankreich zeichnet sie für die Öffentlichkeit von sich ein bürgerliches Bild. Die AfD steht momentan wegen SA-Parolen, SS-Verharmlosung und ihren Verbindungen nach China und Russland in der Kritik. Damit möchte Meloni nichts zu tun haben, besonders drei Wochen vor einer Europawahl nicht. Denn Italiens Ministerpräsidentin hat es trotz ihres politischen Hintergrundes geschafft, dass andere Staats- und Regierungschefs ihr mittlerweile vertrauen. Westliche Diplomaten äußern sich bei internationalen Gipfeln oft begeistert: Mit Meloni sei alles viel besser gekommen, als man befürchtet habe – so die gängige Meinung. Aber stimmt das auch? Ein Blick auf ihre Innenpolitik lässt auf jeden Fall Zweifel an dieser Darstellung zu. Sammelbecken der “Duce”-Anhänger Meloni hat einen kometenhaften Aufstieg hinter sich. Seit 2014 ist sie Vorsitzende der postfaschistischen Partei Fratelli d’Italia, Brüder Italiens. Der Begriff “postfaschistisch” ist etwas irreführend. Denn im Grunde genommen ist die gesamte italienische Gesellschaft nach der Herrschaft des Diktators Benito Mussolini bis 1943 postfaschistisch. Meloni und ihre Partei nehmen für sich in Anspruch, sich als Partei vom historischen Faschismus distanziert zu haben. Aber ganz stimmt das nicht. Die Brüder Italiens gelten vor allem deswegen als neofaschistische Partei, weil ihre Vorgängerpartei in der Nachkriegszeit zum Auffangbecken für die Anhänger Mussolinis und der Schwarzhemden – Mitglieder paramilitärischer Milizen der italienischen Faschisten – wurde. Noch heute hat die Partei einen neofaschistischen Flügel und ihr Wappen – eine Flamme in den Farben grün-weiß-rot – ist das Kennzeichen der Postfaschisten. Für sie ist es das Zeichen, dass die Flamme des “Duce” in den Köpfen der Postfaschisten weiterbrennt. Eine Auffassung, die Meloni zumindest in einem Teil ihrer politischen Karriere teilte. In einem Interview aus dem Jahr 1996 mit dem französischen Nachrichtensender Soir 3 bezeichnete sie Mussolini als den besten Politiker der vergangenen 50 Jahre. Da war sie erst 19 Jahre alt, gestand später ein, dass der Faschismus in Italien auch Fehler gemacht habe. Melonis Wurzeln im Faschismus Trotzdem wurde der Umgang mit dem Faschismus für Meloni auch als Parteivorsitzende zu einem Spagat. Im Februar 2018 entschied sich sie für einen Wahlkampfauftritt in Latina, einer Stadt 70 Kilometer von Rom . Latina wurde von Mussolini am Reißbrett geplant, sie sollte zum Bollwerk des Faschismus werden. Bei ihrem Auftritt stand sie am Ende Hand in Hand mit Rachele Mussolini auf der Bühne, einer Enkelin von Mussolini. Der ehemalige Diktator wird in Italien in rechten Kreisen weiterhin gefeiert, seine Nachfahren machen unter ihrem Familiennamen Politik. Meloni war sich der historischen Bedeutung dieses Ortes bewusst. Sie rief ihren Anhängern zu: “Wir wollen diesen für die Geschichte der italienischen Rechten so symbolischen Ort zurückerobern”. Niemand solle mehr illegal nach Italien kommen. “Wenn wir eine Seeblockade durchführen müssen, werden wir eine Seeblockade durchführen. Wenn wir Schützengräben ausheben müssen, werden wir Schützengräben ausheben”, sagte Meloni. Es war Wahlkampf und ihre Partei war noch unbedeutend, lag in den Umfragen immer zwischen drei und fünf Prozent. Doch die Brüder Italiens geben den Nachfahren Mussolinis weiterhin eine Plattform. Rachele Mussolini sitzt im Stadtrat von Rom, ihre Halbschwester Alessandra Mussolini im Europaparlament. Sie sorgte in einem Fernsehinterview für Aufregung, weil sie erklärte: “Es ist besser, ein Faschist zu sein als eine Schwuchtel.” Mit diesen umstrittenen Gestalten ist Meloni in einer Partei, sie gehören zu ihrer Machtbasis. Deswegen kann sie als “Postfaschistin” bezeichnet werden, auch wenn sie wahrscheinlich erkannt hat, dass sie bürgerlicher werden muss, um in Zukunft noch Wahlen zu gewinnen. Deutsche Politiker sind gern an Melonis Seite Bei der italienischen Parlamentswahl 2022 feierten die Brüder Italiens mit 26 Prozent der Stimmen einen deutlichen Sieg und Meloni konnte zusammen mit den anderen großen rechten Parteien, der Lega von Matteo Salvini und der Forza Italia des inzwischen verstorbenen Silvio Berlusconi , eine Koalition schmieden. In Europa befürchtete man das Schlimmste: Meloni hatte sich zuvor im Europaparlament einer ähnlichen Sprache bedient wie der Flügel der AfD, sprach von “Globalisten” oder von einer “Klimadiktatur”. Und Salvini machte bereits in seiner vorherigen Funktion als Innenminister auf sich aufmerksam, weil er Schiffe mit geretteten Geflüchteten nicht in Häfen einfahren ließ. Doch kaum war sie an der Macht, überraschte Meloni. Sie schaffte es in der ersten Phase als Ministerpräsidentin, die eigene Koalition zusammenzuhalten, was in Italien alles andere als selbstverständlich ist. Außenpolitisch stellte sie sich hinter die Ukraine und soll unter anderem dafür verantwortlich sein, dass der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán dem EU-Hilfspaket Anfang 2024 zugestimmt hat. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) schätzt sie als verantwortungsvolle Partnerin, mit EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (CDU) besuchte sie Nordafrika und Lampedusa. Der bayerische Ministerpräsident Markus Söder (CSU) sieht nach einem Treffen mit Meloni viele Gemeinsamkeiten und verkündete öffentlich, nun ihre Handynummer zu haben. Es ist ein Wandel in Rekordzeit, von der faschistischen Ideologin zur Staatsfrau. Hat sich Meloni im Amt tatsächlich verändert oder ist es nur Fassade? “Italy first” Skepsis ist angebracht, denn Meloni scheint Italien immer weiter nach rechts rücken zu wollen. Sie setzt die Axt an, an die italienische Demokratie, die Frauenrechte und die Pressefreiheit. Und sie will ausgerechnet die Geschichte Mussolinis umschreiben lassen. Im Zentrum dieser innenpolitischen Vorhaben Melonis steht eine geplante Verfassungsänderung. Die Regierungschefin soll demnach künftig direkt von der Bevölkerung gewählt werden können, womit das Parlament viele Befugnisse verlieren würde. Außerdem soll die Partei mit den meisten Stimmen mehr Parlamentssitze erhalten und der Staatspräsident als unabhängige Instanz nahezu entmachtet werden. Meloni nennt dafür den Vorwand, Italien stabiler machen zu wollen. Ein Regierungschef oder eine Regierungschefin wäre praktisch nicht mehr durch ein Misstrauensvotum abwählbar. Davon würden natürlich in erster Linie die Brüder Italiens aktuell profitieren. Verfassungsänderungen brauchen auch in Italien eine Zweidrittelmehrheit. Aber sollte es eine einfache Mehrheit geben, könnte die Regierung eine Volksbefragung durchführen. Ob es tatsächlich dazu kommen wird, ist unklar. Es ist in Italien üblich, dass die bekanntesten Politiker als Spitzenkandidaten antreten, selbst wenn sie nicht ins Parlament einziehen werden. Trotzdem nutzt Meloni ihre Kandidatur bei der Europawahl auch, um ihre eigene Beliebtheit zu testen. Sie wird definitiv nicht ihre Machtposition für einen Abgeordnetenposten in Brüssel aufgeben. Deshalb ist ihre Kandidatur vor allem eine große Show. Angriff auf Medienlandschaft Für Meloni ist die Europawahl ein Stimmungstest, denn nicht immer kommen ihre Maßnahmen gut in der Bevölkerung an. Vor allem in der Wirtschaft wirkt das Regierungshandeln in Teilen dilettantisch. Mit Francesco Lollobrigida gibt es zum Beispiel einen “Minister für Lebensmittel-Souveränität”, der italienische Restaurants dazu verpflichten wollte, mit italienischem Käse zu kochen. Das scheiterte am Widerstand der Köche. Nun befindet sich Lollobrigida im Kampf gegen alkoholfreien Wein – was Weinbauern verärgert. Diese protektionistischen Vorhaben sind teilweise peinlich für Melonis Regierung. Vielleicht möchte die Ministerpräsidentin auch deswegen die Medien mehr unter ihre Kontrolle bringen. “Wir bemerken, dass die Regierung alle Stimmen der Kritik aus dem Fernsehen entfernt”, sagte die Juristin und Universitätsdozentin Vitalba Azzolini dem Nachrichtensender n-tv. “Die Talkshows haben nur noch weichgespülte Gäste, die zwar dagegen sein dürfen, aber wenn sie mit Fakten argumentieren, werden sie nicht wieder eingeladen. Wir sehen eine schleichende Gleichschaltung der Medien.” Das wird für Italien zunehmend zum Problem. Das Land hat drei große staatliche Fernsehsender: Rai 1, Rai 2 und Rai 3. Traditionell wird der größte Sender Rai 1 indirekt von der Regierungsmehrheit kontrolliert. Rai 2 soll eigentlich gemischt berichten, während Rai 3 der aktuell linken Opposition folgen soll. Doch Melonis Regierung schöpft weitere Instrumente aus, um diesen Proporz noch mehr zu ihren Gunsten zu verändern, indem wichtige Posten in den Sendern mit Gefolgsleuten besetzt werden. Es kommt erschwerend hinzu, dass die kleinste Regierungspartei Forza Italia durch das Erbe von Silvio Berlusconi und dessen Firma Mediaset ein Viertel des italienischen TV-Marktes kontrolliert. Demnach versucht Meloni also insgesamt, mit einer bürgerlichen Fassade und einer Implementierung von autoritären Instrumenten ihre Macht zu in Italien zu zementieren. Faschistische Verbrechen vergessen machen Im Visier stehen besonders italienische Frauen. Meloni trommelt nicht nur gegen das Gendern, sondern auch gegen Abtreibungen. Zwar sind diese noch erlaubt, aber ultrakatholische Abtreibungsgegner werden künftig Zugang zu den Beratungszentren haben, um Frauen davon zu überzeugen, ihre Kinder zu bekommen. Im italienischen Staatsfernsehen werden die Maßnahmen in Talkshows gerechtfertigt, die ausschließlich mit Männern besetzt sind. Die Kontrolle über die Medien wirkt sich auch auf das Gedenken an die eigene faschistische Geschichte aus. Anlässlich der Gedenktage wird im Fernsehen an die Judenverfolgung oder an die Opfer der Besatzung durch Nazideutschland erinnert. Doch die Mitverantwortung der italienischen Faschisten an diesen Massakern wird im Fernsehen totgeschwiegen, Schriftsteller wie Antonio Scurati, die in ihren Büchern über diese Verbrechen in der Mussolini-Zeit schreiben, werden quasi zensiert. Meloni ist erst seit zwei Jahren im Amt und in Italien ist vieles im Umbruch. Fest steht, dass die westlichen Partner Italiens momentan wegschauen. Sie möchten Meloni im Kampf gegen Wladimir Putin und im Ringen mit China an ihrer Seite wissen. Viele Staats- und Regierungschefs scheinen zu denken: Wähle deinen Kampf. In der Abwägung ist dann die italienische Innenpolitik weniger wichtig als die italienische Unterstützung bei den gegenwärtigen geopolitischen Veränderungen und Kriegen. Doch mit Blick, was Meloni in ihrem Land tut, sind es gefährliche Küsse, gewagte Lobeshymnen und Umarmungen. Der Schuss könnte für den Westen am Ende nach hinten losgehen.