Hamburger Arche-Chef warnt: Die Jugendkriminalität eskaliert!

Hamburger Arche-Chef warnt: Die Jugendkriminalität eskaliert!

Arche-Leiter Tobias Lucht ist nicht irgendwer Er kennt sich aus wie kaum ein zweiter mit den Heranwachsenden der Stadt. Und wenn er warnt, dass die Jugendkriminalität eskaliert, dann sollte man aufhorchen. Raub, Körperverletzung und Nötigung, Drogenhandel: Immer häufiger gingen sie von Jugendlichen aus. In einigen Brennpunktstadtteilen stünden manche Heranwachsende dermaßen unter Druck, dass „eine kleine Provokation für sie ausreicht, um zuzuschlagen“, warnt der Arche-Leiter. Und geht noch einen Schritt weiter: Teile von Jenfeld seien zu einem „rechtsfreien Raum“ geworden, sagt er. Was sagt die Polizei dazu?

„Einige Mädchen in Jenfeld gehen nachts nur noch mit Messer auf die Straße und sind auch bereit, das einzusetzen“, sagt Tobias Lucht der MOPO. Es ist einer von vielen Sätzen, die einem während des Gesprächs einen kalten Schauer über den Rücken jagen. Das Kinder- und Jugendhilfswerk Arche hat jeweils einen Standort in Billstedt, Jenfeld und Harburg und erlebe durch die Bank weg eine Häufung von Gewalttaten durch Jugendliche.

Druck, Platzmangel, Corona: Gründe für die Kriminalität

Lucht hat vor dem Interview mit der MOPO mit einigen Kolleginnen gesprochen, die seine Einschätzung mit eigenen Erfahrungen untermauert haben. „Eine erzählte mir, es gehöre beinahe zum Alltag, dass sie auf dem Nachhauseweg wegen Schlägereien unter Jugendlichen die Polizei rufen muss.“ Alle sagten, dass die Situation sich verschlimmert habe.

Aktuelle Zahlen liegen noch nicht vor – die Polizeiliche Kriminalstatistik erscheint stets zum Jahresende. Für 2023 zeigte sie bei der Jugendkriminalität in Hamburg einen Anstieg um mehr als zehn Prozent. Fast 5700 Tatverdächtige wurden gezählt – einen „Anlass zur Sorge“ nannte die Hamburger CDU das.

Und auch die allgemeine Zahl der Straftaten stieg zwischen 2022 und 2023 in allen drei Stadtteilen an: in Jenfeld um 12,8 Prozent auf 2260, in Billstedt um 3,3 Prozent auf 7198 und in Harburg um 5,7 Prozent auf 8062.

Tobias Lucht, Regionalleiter Arche Hamburg. (Archivbild)
dpa

Tobias Lucht, Regionalleiter Arche Hamburg. (Archivbild)

„Die Kinder und Jugendlichen stehen teilweise so unter Druck, dass die kleinste Provokation ausreicht, damit sie zuschlagen“, sagt Tobias Lucht. Die Gründe dafür seien vielfältig: „Viele haben keine Aussicht auf einen Schulabschluss und damit keine berufliche Perspektive. Zahlreiche Familien wohnen mit vier bis sechs Kindern auf zweieinhalb Zimmern. Es gibt keinen Rückzugsort für Jugendliche, keinen Ort für die Hausaufgaben. Dann erzeugen viele Eltern mit Migrationshintergrund einen hohen Druck, wenn sie ihren Kindern sagen, dass sie ihretwegen ihr Heimatland verlassen haben und dafür schulischen oder beruflichen Erfolg erwarten – den Kindern dabei aber nicht helfen können.“

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Und wie in so vielen Bereichen hat auch hier die Corona-Pandemie ihre Spuren hinterlassen. „Viele haben psychische Auffälligkeiten bis hin zu suizidalen Gedanken. Sie haben keine Streitkultur kennengelernt. Und es gibt kein Konzept, das richtig anzugehen.“

Problemstadtteile: Polizei sieht die Situation anders

Hier nimmt Tobias Lucht auch die Hamburger Polizei in die Pflicht, die sich in einigen Ecken von Jenfeld „nur noch auf die Straße traue, wenn mindestens drei bis vier Streifenwagen vor Ort sind“, wie er sagt. Die Pressestelle sieht das anders: „Die Behauptung, Jenfeld werde nachts zu einem rechtsfreien Raum und die Polizei traue sich nur mit mehreren Streifenwagen in bestimmte Ecken, weise ich entschieden zurück“, so der Sprecher Florian Abbenseth.

Um zu beweisen, dass die Situation weniger schlimm ist als von Lucht dargestellt, hat die Polizei andere Zahlen parat: „Die Anzahl der Tatverdächtigen unter 21 Jahren sank im Langzeitvergleich von 18.576 in 2004 um 25,9 Prozent auf 13.763 in 2023. Noch stärker sank zeitgleich die sogenannte Tatverdächtigenbelastungszahl (Zahl der ermittelten Tatverdächtigen, errechnet auf 100.000 des entsprechenden Bevölkerungsanteils) der unter 21-Jährigen – nämlich von 8991 in 2004 um 33 Prozent auf 6026 in 2023“, heißt es.

Hier geht es zwar um das gesamte Hamburger Stadtgebiet. Aber die Zahlen machen tatsächlich klar: Vor zwanzig Jahren gab es eben schlicht mehr Straftaten. Man muss also den Teufel nicht an die Wand malen. Dennoch scheint auch die Polizei Handlungsbedarf zu sehen,. Man habe etwa das Handlungskonzept „Handeln gegen Jugendgewalt“ eingeführt, was angeblich auch zu einer rückläufigen Entwicklung der Jugendkriminalität beigetragen habe.

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Wie kommt es überhaupt zu Jugendgewalt? Zur Problematik würde laut Lucht auch der exzessive Konsum von Social Media beitragen. „Da gibt es Zehnjährige, die Siebenjährige dazu überreden, sich für Klicks vor der Kamera zu schlagen. Es braucht dringend ein Schulfach, in dem Medienkompetenz vermittelt wird“, sagt der Arche-Leiter.

„Was die Drogenproblematik betrifft, können wir als Arche nur an der Oberfläche kratzen“, so Lucht weiter. „Wir hören aber, dass es in Hinterzimmern von Kiosken und Geschäften richtige Lager gibt, in denen die Jugendlichen übernachten, um ihre Depots zu bewachen. Wenn man keine Perspektive hat, kann der Drogenhandel eine verlockende Geldquelle sein.“

„15 bis 20 Sozialarbeiter fehlen in jedem Stadtteil“

Wichtig sind Lucht die eigenen Erfolgserlebnisse in der Arche: „Die erzielen wir, wenn wir Jugendliche über Jahre begleiten können. Am besten, wenn sie schon ab dem Alter von acht oder neun Jahren zu uns in die Arche kommen. Eines unserer Kinder ist beispielsweise Jahrgangsbester geworden und jetzt in der Ausbildung. Er sagt, er habe das nur geschafft, weil er jahrelang den gleichen Ansprechpartner im Hintergrund hatte.“

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Aber: „Diese Kraftanstrengung muss von vielen Parteien geleistet werden, das schafft die Arche nicht allein. In Wandsbek und Harburg fehlen jeweils 15 bis 20 Sozialarbeiterstellen allein in der offenen Kinder- und Jugendarbeit.“ Und auch die Polizei müsse handeln – dafür muss sie jedoch erst einmal den Bedarf sehen.

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