Nach antisemitischer Attacke in der Uni Hamburg: Jetzt spricht das Opfer

Nach antisemitischer Attacke in der Uni Hamburg: Jetzt spricht das Opfer

Als „abscheulich“ bezeichnete die Zweite Bürgermeisterin den Angriff. „Absolut inakzeptabel“ nannte sie der Uni-Präsident. Am Mittwoch wurde eine 56-Jährige nach einem Vortrag in der Uni brutal zusammengeschlagen – Hintergrund der Tat: mutmaßlich Judenhass. Die Frau wurde schwer verletzt, musste in die Notaufnahme. Mittlerweile ist sie wieder zu Hause – und spricht exklusiv mit der MOPO über den Angriff.

Kurz vor 19 Uhr am Mittwochabend. Raum 221 im Ostflügel der Universität Hamburg. Claudia Niemann (Name geändert, d. Red.) setzt sich in die Mitte des Hörsaals. Es ist der einzig freie Platz im Raum. Rund 200 Menschen sind gekommen, um die Vorlesung „Sinn und Unsinn von Antisemitismus-Definitionen“ zu besuchen.

Dass sie kurze Zeit später brutal zusammengeschlagen wird, ahnt Niemann zu diesem Zeitpunkt nicht. Ihr Mann hat die Veranstaltung mit organisiert. Die Stimmung im Raum ist angespannt. Während der Diskussionsrunde am Ende der Vorlesung gibt es immer wieder Zwischenrufe.

Politische Statements statt Fragen – danach eskaliert es

Anstatt Fragen zu stellen, stehen Menschen aus dem Publikum auf, um politische Statements zu äußern. Die Beiträge richten sich vor allem gegen Israel. „Mit der wissenschaftlichen Auseinandersetzung von Antisemitismus, um die es eigentlich bei der Vorlesung ging, hatte das überhaupt nichts mehr zu tun. Das war reine Pro-Palästina-Propaganda“, sagt Claudia Niemann.

Das Hauptgebäude der Uni Hamburg (Archivbild).
IMAGO/Markus Matzel

Das Hauptgebäude der Uni Hamburg (Archivbild).

Nach der Veranstaltung kommt es auf dem Flur vor dem Hörsaal zur Eskalation. Frauen, die sich vorher pro-palästinensisch positioniert hatten, schreien herum. „Kindermörder“, rufen sie laut Niemanns Schilderung. Plötzlich zeigt eine dieser Frauen auf Claudia Niemann. Woher die Frau wusste, dass Claudia Niemann die Frau von einem der Veranstalter ist, weiß sie nicht. Vielleicht habe sie Niemann und ihren Mann vorher zusammen gesehen.

Frau beleidigt Niemann und schlägt dann zu

„Du bist so hässlich wie eine Hexe“, habe die Frau zu ihr gesagt, berichtet Claudia Niemann. Der Blick der Frau sei hasserfüllt gewesen. „Dir ist wahrscheinlich ein Lkw übers Gesicht gefahren. Und wenn nicht, dann muss meine Faust in dein Gesicht.“ Claudia Niemann nimmt ihr Handy in die Hand und möchte die Äußerungen aufnehmen. „Ich habe sogar die Frau gefragt, ob ich das darf – rückblickend ist das ja total naiv“, sagt sie. Dann kommt es zur Attacke. Die Frau schlägt Claudia Niemann erst auf die Hand – „dann fing sie mich an zu würgen“. Die 56-Jährige wehrt sich. Um sich aus dem Würgegriff zu lösen, beißt sie der Frau in die Hand.

Polizei ermittelt gegen beide Frauen

Die Angreiferin schlägt mit voller Wucht zu, trifft Niemann im Gesicht, reißt sie auf den Boden und tritt weiter auf sie ein. Niemanns Brille wird zerstört, der Inhalt ihrer Handtasche verteilt sich auf dem Boden des Flurs. „Die Leute, die drum herum standen, sind nicht eingeschritten. Die haben einfach zugeschaut, wie die Frau mich zusammenschlägt“, sagt Niemann. Fassungslosigkeit ist in ihrer Stimme zu hören.

Als Niemanns Mann dazu kommt, lässt die Angreiferin von der 56-Jährigen ab. Der Wachdienst der Uni trennt die beiden Parteien. Die Polizei teilt am Freitagmorgen mit, dass es sich bei der Angreiferin um eine 26-jährige Somalierin handele und Strafverfahren wegen des Verdachts der Körperverletzung gegen beide Frauen eingeleitet wurden.

Niemann wird nach der Attacke im Rettungswagen behandelt und von ihrem Mann in eine Notaufnahme gefahren. Dort bleibt sie bis Freitagnacht. Nun ist Claudia Niemann wieder zu Hause. Während sie von den letzten Tagen berichtet, scheint draußen die Sonne. Niemann liegt in ihrem Bett. Neben ihr steht eine Tasse Tee. „Meine Familie kümmert sich rührend um mich“, sagt sie.

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Als Claudia Niemann von der Attacke berichtet, hört sie manchmal mitten im Satz auf zu sprechen. Sie hat noch starke Schmerzen. Vor allem ihr Kopf und ihr Rücken tun weh. „Es fühlt sich an, als wäre ein Bagger über mich gefahren“, sagt sie. Mit ihrem linken Auge kann sie nicht richtig sehen.

Eigentlich ist Claudia Niemann eine starke Persönlichkeit. Die Christin engagiert sich in der deutsch-israelischen Gesellschaft, hält Vorträge in Gemeinden und Schulen zum Thema Antisemitismus. Dass sie sich jetzt so schwach fühlt, erschreckt sie.

Politik verurteilt Angriff scharf

Sie wendet sich nun an die Öffentlichkeit, weil sie darauf aufmerksam machen will, mit welchem Hass Jüdinnen und Juden auch in Hamburg konfrontiert sind. „Wir müssen unsere Demokratie verteidigen, wir müssen sie schützen“, sagt Niemann. „Wir dürfen nicht zulassen, dass Menschen wegen ihrer Religion angegriffen werden.“

Die Attacke schlägt hohe Wellen. Hamburgs Antisemitismusbeauftragter Stefan Hensel, Uni-Präsident Hauke Heekeren und die Zweite Bürgermeisterin Katharina Fegebank (Grüne) verurteilen die Attacke scharf. Fegebank sagt: „Gewalt jeglicher Art darf niemals ein Mittel der Auseinandersetzung sein. Wir müssen Antisemitismus, egal aus welcher Richtung, mit allen Mitteln entgegentreten.“

Claudia Niemann hat Freunde auf der ganzen Welt. Viele haben sich bei ihr gemeldet, als sie von der Attacke gehört haben – darunter Jüdinnen und Juden sowie Christen, die wie sie an der Seite Israels stehen. Das habe ihr Kraft gegeben, sagt die 56-Jährige. Wenn es ihr körperlich wieder besser geht, will sie sich weiter gegen Antisemitismus engagieren: „Hinfallen, aufstehen, weitermachen!“

Nach antisemitischer Attacke in der Uni Hamburg: Jetzt spricht das Opfer wurde gefunden bei mopo.de

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