Rechts-Ruck im Osten: „Nur ein Vorgeschmack auf das, was noch kommen wird“

Rechts-Ruck im Osten: „Nur ein Vorgeschmack auf das, was noch kommen wird“

Ostdeutschland liegt inmitten Europas. An sich ist es kein sonderlich besonderer Landstrich mit nicht einmal 13 Millionen Einwohnern (ohne Berlin). Hier leben etwa so viele Menschen wie zum Beispiel in Bayern oder Baden-Württemberg oder nur zwei Drittel so viele wie in Nordrhein-Westfalen. Und doch erscheinen Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen-Anhalt, Brandenburg, Thüringen und Sachsen politisch relevant. Sind hier womöglich politische Entwicklungen zu beobachten, die überall in Europa, ja, global in der westlichen Welt zuverzeichnen sind?

Zumindest lässt sich allerorten eine Transformationsüberforderung konstatieren. Die globalen Veränderungen – Stichwort digitale Revolution – verunsichern weltweit viele Menschen. Die Arbeitswelt wird radikal verändert werden und niemand kann sagen, wie sie konkret aussehen wird. Nicht erst in 20 oder fünf Jahren, eher in zwei Jahren. Zukunftsängste gehen einher mit Verlustängsten.

DDR-Experte Ilko-Sascha Kowalczuk (57) wuchs selbst in Ost-Berlin auf.
Ekko/hfr

DDR-Experte Ilko-Sascha Kowalczuk (57) wuchs selbst in Ost-Berlin auf.

In Ostdeutschland ist das besonders ausgeprägt und zu beobachten. Hier haben Millionen Menschen bereits eine harte soziale Transformation in den 1990er Jahren erleben und durchleben müssen. Die Versprechungen der blühenden Landschaften in drei bis fünf Jahren erfüllten sich, aber erst zehn bis 20 Jahre später. Bis dahin war es für viele Menschen ein harter Weg.

Ostdeutsche haben harten Umbruch nach Wende hinter sich

Die meisten haben die Freiheitsgewinne nach 1990 als selbstverständlich hingenommen und waren von den Schattenseiten des Kapitalismus überrascht. Dabei war zwar die Transformation im Osten so hart und vor allem so radikal schnell wie nirgends sonst im postkommunistischen Raum. Aber nirgends sind die Menschen zugleich sozial so weich gebettet worden wie in Ostdeutschland – dank des bundesdeutschen Sozialstaates. Diese Veränderungen sind nicht über Ostdeutschland hereingebrochen wie ein Tornado, sondern sie sind von der großen Mehrheit der Ostdeutschen herbeigewählt worden.

Das hatten sie aber schnell vergessen. Der Frust obsiegte. Ein regelrechter Hass auf „den“ Westen machte sich breit – bereits in den 1990er Jahren. Aktuell kommt er zu einer neuen Blüte, symbolisiert durch den Höhenflug von AfD und der Gruppierung von Wagenknecht. Dieser Höhenflug wird andauern – die anstehenden Landtagswahlen im Osten geben nur einen Vorgeschmack darauf, was noch kommen wird und was auch der Westen, sollte die demokratische Zivilgesellschaft bröckeln, zu erwarten hat.

Ostdeutsche mehrheitlich für autoritären Staat

Die Ursachen dafür sind nicht allein in Verlustängsten zu suchen. Den Menschen im Osten geht es gut, auch nach eigener Aussage. Sie leben im europaweiten Vergleich mittlerweile in wohlhabenden Regionen. Sie werden nie an Bayern, Baden-Württemberg oder Hamburg herankommen, aber das schaffen auch die meisten anderen Regionen in Europa nicht. Doch nicht nur Verlustängste und ein ausgeprägter, fast militanter Rassismus im Osten zählen zu den Ursachen. Die Parteiendemokratie im Osten steht auf brüchigen Füßen. Die Parteibindungsquote ist im Osten zehnmal so schwach ausgeprägt wie im Westen – und auch dort gibt es dramatische Einbrüche.

Dem Bündnis Sahra Wagenknecht helfen illiberale Demokratie-Vorstellungen im Osten, so der MOPO-Gastautor.
IMAGO/Fotostand

Dem Bündnis Sahra Wagenknecht helfen illiberale Demokratie-Vorstellungen im Osten, so der MOPO-Gastautor.

Für mich die wichtigste Ursache für den rasanten Aufstieg von AfD und BSW ist aber etwas anderes: Zwei Drittel der Ostdeutschen befürworten eine autoritäre Staatsverfassung, eine illiberale Demokratie. Genau dafür stehen AfD und BSW, deren Kremlnähe nicht zufällig ist. Hand in Hand geht diese Affinität zu autoritären Staatsstrukturen mit einem ausgeprägten Anti-Amerikanismus, einer Ablehnung westlicher Wert- und Staatsvorstellungen und dem Wunsch nach einer „Diktatur der Mehrheit“.

Ostdeutsche wünschen sich Distanz zur NATO

Das ist der Gegensatz zur repräsentativen Demokratie, die großen Wert auf die Akzeptanz von Minderheitenrechten legt. Zwar bejahen im Osten etwa 90 Prozent „Demokratie“, aber nicht das Modell der repräsentativen Demokratie, sondern einer „illiberalen Demokratie“. Neben Putin könnte hier Orbán Pate stehen.

Die mehrheitliche Ablehnung militärischer Hilfen für die um ihre Existenz kämpfende Ukraine im Osten ist kein Zufall: Es ist eine sehr enge Zusammenarbeit mit Putins Russland gewünscht und eine möglichst große Distanz zum westlichen Verteidigungsbündnis. Deshalb macht Wagenknecht mit außenpolitischen Themen – Frieden und Verteidigung – Wahlkampf im Osten. Dort wirkt noch immer die alte kommunistische Friedenspropaganda fort: Der Kapitalismus ist friedensunfähig.

AfD und BSW versprechen eine Zukunft wie die Vergangenheit

Es ist schon lange kein Treppenwitz der Geschichte mehr, dass im Osten der tägliche Krieg der Obrigkeit gegen die eigene Gesellschaft in der DDR – die Mauer begründete das größte Freiluftgefängnis Europas nach 1945 – längst millionenfach verniedlicht wird und eine rosarote DDR erinnert wird, die es nie gab. Letztlich knüpfen AfD und BSW im Osten daran an: Sie versprechen eine Zukunft, die so schön werden soll, wie die Vergangenheit bereits angeblich einmal war.

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Es geht in unserer Zeit um nichts weniger als um den Kampf um Freiheit: in der Ukraine, in den USA, in Europa, in Deutschland – und wie unter einem Brennglas in Ostdeutschland. Die wehrhafte Demokratie muss jetzt zeigen, was sie wirklich zu leisten imstande ist. Später könnte niemand mehr behaupten, nicht gewusst zu haben, wohin die Reise unter Führung der Extremisten von links und rechts gehen würde.

Rechts-Ruck im Osten: „Nur ein Vorgeschmack auf das, was noch kommen wird“ wurde gefunden bei mopo.de

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