Tod und Lebenswille: Wie ein Hamburger den Krieg in der Ukraine einfängt

Tod und Lebenswille: Wie ein Hamburger den Krieg in der Ukraine einfängt

Granateneinschläge und brennende Panzer: Als Hami Roshan sich nach längerer Zeit wieder in der MOPO-Redaktion meldete, schickte er ein Video, das er von der Rückbank eines Autos aufgenommen hatte, das bei der zurzeit heftig umkämpften ukrainischen Stadt Charkiw über eine Landstraße rast – auf der Flucht vor russischen Attacken. Der ehemalige MOPO-Reporter war die vergangenen Wochen im Gefechtsgebiet und hat verstörende Bilder aus dem Krieg mitgebracht. Warum tut er sich das an? 

Hami ist eigentlich ein Schöngeist. Ein bedächtiger Erzähler. Ein Ästhet, fasziniert von Mode und hochwertiger Fashion-Fotografie. Der Krieg und das Leid aber, das lässt ihn nicht los. Nach zehn Wochen sitzt er nun in der MOPO-Redaktion in Ottensen und zeigt seine Bilder. 

Fotos von Menschen und ihren Traumata – und ihrem Lebenswillen

Es sind Bilder von Beerdigungen. Von Zerstörung. Vor allem aber von Menschen und ihren Traumata und ihrem Lebenswillen. 

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MOPO

Die neue WochenMOPO – ab Freitag wieder überall, wo es Zeitungen gibt!
Diese Woche u.a. mit diesen Themen:
– Ein Sommermärchen? MOPO-Gastautor und Fußball-Edelfan Arnd Zeigler über die EM, seine Vorfreude und seine Zweifel
– Gefährliche Radwege: Behörde kündigt große Wende an
– Sind die Grünen nicht mehr cool, Frau Fegebank? Die Zweite Bürgermeisterin im Interview zur Bezirks- und Europawahl
– 20 Seiten Sport: Welche EM-Stars hierherkommen und wo Sie sie treffen können
– 28 Seiten Plan7: Hamburgs grüne Oasen – wo Sie in der Stadt so richtig durchatmen können

Warum riskiert er so viel? „Mir geht’s nicht so sehr um die Fotos“, sagt Hami. „Oder um Adrenalin. Mir geht’s darum, den Menschen dort eine Stimme zu geben.“

Fotograf Hami Roshan flüchtete 2013 aus dem Iran

Hami flüchtete 2013 aus dem Iran, weil den islamistischen Machthabern seine Fotos nicht gefielen. Ihm wurde gesteckt, dass sie kommen wollten, um ihn zu verhaften, erzählt er. Er ging mit einer Tasche Gepäck und ließ alles zurück. 

Hami Roshan
„Alkohol ist ein Riesenproblem in der Region. Viele versuchen, sich zu betäuben, nutzen ihn, um abzuschalten. So wie dieser Mann in Charkiw. In einigen Gebieten gibt es deswegen schon ein Alkoholverbot.“

„Alkohol ist ein Riesenproblem in der Region. Viele versuchen, sich zu betäuben, nutzen ihn, um abzuschalten. So wie dieser Mann in Charkiw. In einigen Gebieten gibt es deswegen schon ein Alkoholverbot.“

Hami Roshan
„Hier trauern Menschen in Kiew um einen Freiwilligen, der die Truppen an der Front unterstützt hatte und dabei ums Leben kam.“

„Hier trauern Menschen in Kiew um einen Freiwilligen, der die Truppen an der Front unterstützt hatte und dabei ums Leben kam.“

Hami Roshan
„Diese Szene gehört zu der Trauerfeier in Kiew. Eine Verwandte nimmt Abschied von dem getöteten Freiwilligen.“

„Diese Szene gehört zu der Trauerfeier in Kiew. Eine Verwandte nimmt Abschied von dem getöteten Freiwilligen.“

Hami Roshan
„Die Filme, die mir dieser Soldat von seinen Fronteinsätzen zeigte, sind grauenvoll. Der 23-Jährige kämpft immer in vorderster Linie. Hier hat er Urlaub. Er saß jeden Abend in dieser Bar und trank.“

„Die Filme, die mir dieser Soldat von seinen Fronteinsätzen zeigte, sind grauenvoll. Der 23-Jährige kämpft immer in vorderster Linie. Hier hat er Urlaub. Er saß jeden Abend in dieser Bar und trank.“

Hami Roshan
„Svetlana (75) und Sascha (74) sind die letzten Bewohner eines zerschossenen Plattenbaus in Charkiw. Sascha ist fast taub. Er glaubt deswegen oft, die Angriffe hätten aufgehört, weil er sie nicht mehr hören kann.“

„Svetlana (75) und Sascha (74) sind die letzten Bewohner eines zerschossenen Plattenbaus in Charkiw. Sascha ist fast taub. Er glaubt deswegen oft, die Angriffe hätten aufgehört, weil er sie nicht mehr hören kann.“

Hami Roshan
„Auf einer Anhöhe bei Charkiw treffen sich Jugendliche. Die Einschläge der todbringenden Raketen sind für sie Alltag. Sie wetten manchmal, wo die nächste landen wird.“

„Auf einer Anhöhe bei Charkiw treffen sich Jugendliche. Die Einschläge der todbringenden Raketen sind für sie Alltag. Sie wetten manchmal, wo die nächste landen wird.“

Hami Roshan
„Auf dem riesigen Friedhof von Charkiw reiht sich ein Soldatengrab an das andere. Der stetige Strom der Bestattungen reißt nie ab.“

„Auf dem riesigen Friedhof von Charkiw reiht sich ein Soldatengrab an das andere. Der stetige Strom der Bestattungen reißt nie ab.“

Hami Roshan
„Igor (24) ist Radprofi von Dynamo Charkiw. Das Trainingsgelände seines Klubs ist völlig verwüstet. Trotzdem trainiert er weiter hier. Denn auf den Straßen wird gerast, niemand hält sich mehr an Regeln. Für einen Radfahrer wäre es dort lebensgefährlich.“

„Igor (24) ist Radprofi von Dynamo Charkiw. Das Trainingsgelände seines Klubs ist völlig verwüstet. Trotzdem trainiert er weiter hier. Denn auf den Straßen wird gerast, niemand hält sich mehr an Regeln. Für einen Radfahrer wäre es dort lebensgefährlich.“

Hami Roshan
„Dieses ukrainische Militärfahrzeug wollte Drohnenangriffen und Beschuss ausweichen und geriet dabei ins Schlingern. Soldaten demontieren die Bordkanone, damit sie nicht den Russen in die Hände fällt.“

„Dieses ukrainische Militärfahrzeug wollte Drohnenangriffen und Beschuss ausweichen und geriet dabei ins Schlingern. Soldaten demontieren die Bordkanone, damit sie nicht den Russen in die Hände fällt.“

Hami Roshan
„Diesen Ballettschülerinnen in Charkiw erklärte ich mit Händen und Füßen, wie ich sie für das Bild inszenieren wollte – sie konnten kein Englisch. Es entstand eines meiner Lieblingsbilder …

„Diesen Ballettschülerinnen in Charkiw erklärte ich mit Händen und Füßen, wie ich sie für das Bild inszenieren wollte – sie konnten kein Englisch. Es entstand eines meiner Lieblingsbilder …

Hami Roshan
… Später organisierten sie eine Aufführung für mich. Ich war der einzige Besucher.“

… Später organisierten sie eine Aufführung für mich. Ich war der einzige Besucher.“

Heute studiert er Foto-Journalismus in Hannover, arbeitet zurzeit an seiner Bachelor-Arbeit. Wenn er in der Ukraine unterwegs ist, allein, auf eigene Rechnung, ohne finanzielle Unterstützung durch einen Auftraggeber, dann nimmt er sich vor allem eines: Zeit. „Die Agentur-Fotografen müssen von einem Hotspot zum nächsten fahren. Sie sind immer nur kurz anlassbezogen da, fotografieren und verschwinden. Ich bleibe.“

Hami erzählt die Geschichte eines alten Paares in einem völlig zerstörten Viertel Charkiws. Ihr riesiger Plattenbau ist eine zerschossene Ruine. Sie sind die Letzten, die hier ausharren. Svetlana (75) und Sascha (74), der fast taub ist und ihr ständig sagt, der Krieg müsse vorbei sein, es seien keine Angriffe mehr zu hören. 

Fotograf Hami Roshan
Hami Roshan

Fotograf Hami Roshan

Oder die Geschichte eines Soldaten, 23 Jahre alt, immer in vorderster Frontlinie im Einsatz, der seine Woche Fronturlaub nutzt, um seine Dämonen jeden Abend in einer Bar mit Alkohol zu betäuben. „Die Leute sind so angespannt. Viele sind bewaffnet. Ein kleiner Anlass reicht, und es kommt zu Stress.“

An einer Ballettschule in Charkiw inszenierte er das Bild der Eleven, die den Schrecken der permanenten Angriffe für ihn widerspiegelten. Sie dankten es ihm mit einer Vorstellung nur für ihn. Eine bizarre und berührende Erfahrung, dort, wo der Kampf überall so nah ist.

Er erlebte einen tödlichen Angriff aus nächster Nähe

Der tödliche Angriff auf einen Baumarkt, Hami erlebte ihn aus nächster Nähe. Als er eine Frau mit ihrem Hund fotografierte, schlug im Hintergrund eine Bombe ein.

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Nächste Woche gibt er seine Bachelor-Arbeit ab. Der Titel: „The Poetry of Survival“. Im Juli will er zurück in die Ukraine. 

Wie lange will er das noch machen? Wo will er in fünf Jahren sein? „Hm“, macht er und sagt dann lange nichts. „Ich glaube, ich werde im Krieg sein. Denn ich habe das Gefühl, dass wir dann nicht weniger Krieg haben werden, sondern mehr.“

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