Vegan-Kolumne: Tofu ist wie Tempolimit – wenn Essen für Zoff sorgt

Vegan-Kolumne: Tofu ist wie Tempolimit – wenn Essen für Zoff sorgt

Achtung, Triggerwarnung gleich zum Beginn! Es geht ums Essen – um veganes Essen. Ist nicht Ihr Ding? Muss ja auch nicht. Aber was sich da so in den Lebensmittelregalen tut, ist schon ziemlich spannend. Und oft auch lecker. Das Ökofutter macht Sie aggressiv? Das ist doch völlig übertrieben und unnötig. Denn erstens tut Pflanzenkost niemandem weh, besonders den Tieren nicht. Und zweitens will Ihnen keiner was wegnehmen. Sondern zeigen, dass die pflanzliche Küche mehr bietet als „Gras und Steine“ – dieses spöttische Klischee, dass pflanzliches Essen nichts mit Genuss zu tun hätte.

In Deutschland leben nach einer Forsa-Umfrage gerade einmal drei Prozent der Menschen vegan. Das heißt, sie essen oder nutzen nichts vom Tier. Kein Fleisch, keinen Fisch, kein Ei, keine Rinderbrühe. Nix. Sie trinken keine Kuhmilch, essen keinen Käse und nehmen keine Sahne zum Erdbeerkuchen. Sie tragen keine Lederjacke oder Schuhe aus Tierhaut und schlafen nicht im Daunenbett. Das klingt anstrengend – ist es aber längst nicht mehr.

Ich bin einer von diesen drei Prozent und erzähle über Pflanzen-Futter jeden Freitag in der Vegan-Kolumne in der WochenMOPO. In meiner Kindheit gab’s eigentlich jeden Tag irgendwas mit Fleisch – und regelmäßig Fisch. Wenn man an der Küste wohnt, gehörte das dazu. Und als Buttje ging ich alle paar Tage mit der Alukanne zum Bauern im Dorf und holte frische Milch.

MOPO-Autor Frank Wieding (58) isst seit mehr als 40 Jahren kein Fleisch. Gras und Steine musste er trotzdem noch nie essen.
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MOPO-Autor Frank Wieding (58) isst seit mehr als 40 Jahren kein Fleisch. Gras und Steine musste er trotzdem noch nie essen.

Doch vor 40 Jahren dann der Schnitt, ein radikaler, meinten meine Eltern. Ein logischer, meinte ich, nachdem ich einen Film mit grausamen Schlachthof-Szenen gesehen hatte. Sie brannten sich bis heute in mein Gedächtnis. Das anonym verpackte Stück Fleisch aus dem Supermarkt hatte plötzlich ein Gesicht bekommen.

Der Gyros-Protest meines Vaters

Kurz nach meinem Gemüse-Outing hatte meine Mutter fleischlos für die ganze Familie gekocht – weil sie keinen Bock hatte, mir immer eine Extrawurst zu brutzeln. Denn anders als heute war der Herd für mich ein ziemlich fremdes Gerät und mein Kücheneinsatz reduzierte sich auf die Tätigkeit als Schnippelhilfe.

An jenem Tag gab es also Gemüse. Mein Vater stand nach wenigen Minuten ziemlich wortkarg vom Tisch auf, setzte sich ins Auto und brauste zu seinem Lieblingsgriechen – Gyros statt Gemüse. Und der Familienfrieden war zumindest an diesem Tag gerettet.

Veganes Essen wird zum gesellschaftlichen Kulturkampf

Heute sind die kleinen Essenskonflikte in der Familie längst einem gesellschaftlichen Kulturkampf gewichen. Tofu oder Tempolimit, Veggieday oder Verbrenneraus, Gemüsepfanne oder Gendern – der Veganismus reizt eingefleischte Schnitzelfanatiker so sehr, dass er auf der Empörungsskala ganz oben angekommen ist. Befeuert in den sozialen Medien, garniert mit trotzigen Kotelett-Kommentaren – je deftiger, je öfter gelikt und geteilt. Die Wut auf den Rohkostsalat als Reichweitentreiber. Was läuft da eigentlich bei einigen besonders lauten Mitbürgern und politischen Trittfahrern im Geiste eines Markus Söder schief, dass die schmackhafte Gemüseküche als Bedrohung abgewehrt werden muss?

Gerade gab’s die neuen Fleisch-Zahlen. Sie zeugen von Vernunft und Wandel. Um 400 Gramm ging der geschätzte Pro-Kopf-Konsum zwischen 2023 und 2024 zurück – bei Rind und Schwein deutlich mehr, bei Geflügel gab es dafür einen Anstieg. Eindeutig ist die Entwicklung trotzdem: Zwischen 2018 und 2023 sank der Fleischkonsum in Deutschland von 60,9 auf nun 51,6 Kilo. Das ist keine Veganer-Propaganda. Die Zahlen kommen vom Bundesinformationszentrum Landwirtschaft.

Vegane Lebensmittel: Ackerbohnen als Reizthema

Die Ernährungswende beschleunigen all die neuen pflanzlichen Produkte, die die Lebensmittelindustrie austüftelt. Ich kann mich nicht erinnern, dass es in meiner Jugend vegane Wurstalternativen gab. Drei Sorten Tofu (Sojaeiweiß) im Reformhaus mussten reichen.

Heute ist der Supermarkt ein veganes Schlaraffenland. Jede Woche gibt es irgendwas Neues. Zig Start-ups, auch in Hamburg, entwickeln pflanzliche Lebensmittel. Große Ketten wie Lidl oder Kaufland werben mit ihrem veganen Sortiment – fest die 41 Prozent Flexitarier, die es in Deutschland gibt, im Blick. Und selbst die Fleischindustrie will ein Stück vom Pflanzenfutter-Kuchen abhaben und buhlt mit Bratwurst aus Erbsenprotein oder Aufschnitt aus Ackerbohnen um Marktanteile.

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Allein zum diesjährigen Veganuary, mit dem im Januar für die pflanzliche Ernährung geworben wurde, kamen mehr als 500 neue Produkte in Deutschland auf den Markt, so die Organisation. Essen ohne Tier(leid) hat also nichts mit Gras und Steinen auf dem Teller zu tun. Mehr über das vegane Leben wieder am Freitag in Ihrer WochenMOPO.

Vegan-Kolumne: Tofu ist wie Tempolimit – wenn Essen für Zoff sorgt wurde gefunden bei mopo.de

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