Viel Ärger, historische Siege: Die turbulente Bundesliga-Geschichte des FC St. Pauli

Viel Ärger, historische Siege: Die turbulente Bundesliga-Geschichte des FC St. Pauli

Der FC St. Pauli hat es geschafft! Zum sechsten Mal in seiner Vereinshistorie ist dem Kiezklub der Sprung in die Fußball-Bundesliga gelungen. So richtig lang ist die bisherige Bundesliga-Geschichte auf St. Pauli nicht – dafür aber ist sie umso ereignisreicher. Platzsturm, Lizenz-Ärger und historische Derby-Triumphe: Es war so ziemlich alles dabei. Die MOPO wirft einen Blick auf die kurze, aber turbulente Erstliga-Historie der Braun-Weißen.

1977: Der erste St. Pauli-Aufstieg war vermutlich die größte Sensation. In den 1970er-Jahren war der Kiezklub weit entfernt von seinem heutigen Status als Kultverein, sondern hochverschuldet und voller interner Streitereien. Dass man im Mai 1977 – trotz eines völlig missratenen Saisonstarts – nach 27 ungeschlagenen Spielen in Folge plötzlich auf Platz eins der 2. Bundesliga stand, war doch eine ziemliche Überraschung. Niels Tune-Hansen schoss St. Pauli mit seinem 1:0-Siegtreffer beim SC Herford in die Bundesliga. Diethelm Ferner ging als erster Aufstiegs-Trainer auf dem Kiez in die Geschichte ein, Franz Gerber wurde mit 27 Treffern zum Torschützenkönig der Liga. Und Walter Frosch sorgte mit 19 Gelben Karten dafür, dass der DFB kurz darauf eine Sperre bei vier bzw. fünf Verwarnungen in der Liga einführte.

1977: Gemeinsam mit Torhüter Jürgen Rynio und Libero Rolf Höfert feiert auch Bundesfinanzminister und St. Pauli-Mitglied Hans Apel den erstmaligen Aufstieg.
WITTERS

1977: Gemeinsam mit Torhüter Jürgen Rynio und Libero Rolf Höfert feiert auch Bundesfinanzminister und St. Pauli-Mitglied Hans Apel den erstmaligen Aufstieg.

In zweiter Instanz erhielt St. Pauli letztlich die Bundesliga-Lizenz – wirklich konkurrenzfähig war das Team im deutschen Fußball-Oberhaus damals aber nicht. Als Tabellenletzter stieg der Kiezklub nach nur einem Jahr direkt wieder ab und verlor im Folgejahr sogar dort seine Lizenz, so dass man schon bald in der Amateur-Oberliga kicken muss. Einziger Lichtblick jener Saison: ein 2:0-Sieg im ersten Bundesliga-Derby gegen den großen HSV. Die Bundesliga-Heimspiele trug St. Pauli 1977/78 übrigens nicht am Millerntor, sondern im Volksparkstadion des HSV aus – das aber oft nur sehr spärlich gefüllt war. Die Fans kamen dort lieber zum Stadtrivalen, der in diesen Tagen gerade den Europapokal gewonnen hatte. Es war eine völlig andere Fußballwelt in Hamburg.

Um 1990 wird der FC St. Pauli endgültig zum Kult-Verein

1988: Nach jahrelangem Pendeln zwischen 2. und 3. Liga macht erst Helmut Schulte den FC St. Pauli wieder zu einem Bundesliga-Verein. Von Kult-Coach Willi Reimann wird Schulte zum Cheftrainer befördert und steigt mit den Kiezkickern 1988 wieder in die Bundesliga auf. Dort hält sich St. Pauli übrigens mit drei Jahren am bis heute längsten – und wird endgültig zu einer Marke. Zahlreiche Linken und Autonomen strömen in einer Zeit des Aufbruchs in Deutschland ans Millerntor, im Rahmen des „VIVA St. Pauli-Festivals“ traten am Millerntor zahlreiche Bands auf und skandierten „Nazis raus“-Parolen. Reimann bezeichnete diese Zeit im Nachhinein als „Geburtsstunde des FC St. Pauli als Kultklub und Zuschauermagnet“.

1988: Dirk Zander (l.) und Michael Dahms feiern den St. Pauli-Aufstieg in der Dusche mit den Fans.
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1988: Dirk Zander (l.) und Michael Dahms feiern den St. Pauli-Aufstieg in der Dusche mit den Fans.

Dirk Zander schoss den FC St. Pauli mit einem 1:0-Sieg beim SSV Ulm zurück in die Bundesliga – ein Spiel, das von 800 Kiezklub-Anhängern begleitet worden war. Damaligen Medienberichten zufolge sollen am Tag darauf bis zu 4000 Menschen am Hamburger Flughafen auf die Aufstiegs-Truppe gewartet haben – für die damalige Zeit gigantische Dimensionen. „Die Jubelorgien dauerten mehrere Tagen“, heißt es in den Memoiren des FC St. Pauli. Den Kern der Mannschaft bildeten damals vor allem Hamburger Spieler wie Zander, André Golke oder André Trulsen.

Drei Jahre verbleibt St. Pauli im Oberhaus, wird in der Premieren-Saison Zehnter und steht im Jahr darauf als 13. sogar nur ganz knapp hinter dem punktgleichen HSV. Es sind die großen und glorreichen Jahre des Kiezklubs, in denen man am 2. März 1991 sogar den historisch ersten Sieg überhaupt beim Deutschen Meister FC Bayern München feiert (1:0; Torschütze Ralf „Colt“ Sievers). Erst 1991 endet das Abenteuer Bundesliga auf höchst dramatische Weise: Am letzten Spieltag rutschte der FC St. Pauli mit einem 2:5 bei Borussia Dortmund noch auf den Relegationsplatz 16 und unterlag in der Relegation den Stuttgarter Kickers nach zwei 1:1-Unentschieden erst im Entscheidungsspiel in Gelsenkirchen mit 1:3. Laut Vereinsangaben sollen rund 15.000 Fans aus Hamburg mit dabei gewesen sein.

Platzsturm der Fans verhindert beinahe St. Pauli-Aufstieg

1995: Nie musste St. Pauli so kurz auf die Bundesliga-Rückkehr warten wie nach dem Abstieg 1991. Schon vier Jahre später ging es wieder hoch – und das, obwohl Trainer Uli Maslo bei den Fans alles andere als beliebt war. Der konservative Star-Coach (zuvor unter anderem bei Schalke und Dortmund) passte eigentlich gar nicht zu den Braun-Weißen und schoss sich nach seinem berühmten Interview im ZDF-„Sportstudio“ („Ich bin stolz, ein Deutscher zu sein“) endgültig ins Aus. Sportlich aber war Maslo höchst erfolgreich: In der Saison 1994/95 verlor der Kiezklub nicht ein einziges Heimspiel am Millerntor und zog erstmals ins DFB-Pokal-Viertelfinale ein.

1995: Die St. Pauli-Fans stürmen den Platz des Millerntor-Stadions und feiern die Bundesliga-Rückkehr.
WITTERS

1995: Die St. Pauli-Fans stürmen den Platz des Millerntor-Stadions und feiern die Bundesliga-Rückkehr.

Kurios: Von allen fünf Aufstiegen war es der einzige, den der Kiezklub im heimischen Millerntorstadion feierte – mit einem 5:0-Sieg gegen den bereits abgestiegenen FC 08 Homburg. Dramatisch wurde dieses Spiel am 18. Juni 1995 vor allem deshalb, weil die Außentore des Stadions bereits lange vor Schlusspfiff geöffnet wurden und die Fans im Innenraum sehnlichst auf den Abpfiff warteten – einen Elfmeterpfiff in der 88. Minute aber fälschlicherweise als diesen interpretierten und vorzeitig das Feld stürmten. Stadionsprecher Rainer Wulff sagte damals die legendären Worte: „Das Spiel ist noch nicht beendet. Der FC St. Pauli ist nicht aufgestiegen.“ Weil das Spiel aber doch noch ordnungsgemäß beendet werden konnte, feierten später laut Vereinsangaben bis zu 50.000 Fans am Spielbudenplatz eine epische Aufstiegs-Party – damals galt die 2. Liga als äußert unbeliebt.

Nach dem dann folgenden ersten Spieltag der Saison 1995/96 stand St. Pauli übrigens zum ersten und einzigen Mal an der Tabellenspitze der Bundesliga, als man 1860 München mit 4:2 besiegt hatte. Durch Querelen zwischen Coach Maslo und Manager Jürgen Wähling und ausbleibende Verstärkungen auf dem Transfermarkt geriet die Saison aber zum Desaster, der Klassenerhalt wurde als Tabellen-15. gerade so geschafft. Im Jahr danach stieg St. Pauli letztlich aber doch als Tabellenschlusslicht wieder ab, nach einem 0:6-Debakel beim VfL Bochum sangen die Anhänger ironisch: „Eine neue Liga ist wie ein neues Leben.“ Der patriarchische Präsident Heinz Weisener rettet den Kiezklub damals mit seinem Privatvermögen vor dem kompletten Absturz in den Amateurfußball.

St. Pauli steigt fast ab – und dann in die Bundesliga auf

2001: Der vierte Bundesliga-Aufstieg des FC St. Pauli im Jahr 2001 war der mit Abstand überraschendste. Ein Jahr zuvor hatte Marcus Marin den Kiezklub noch in allerletzter Minute vor dem Abstieg in die 3. Liga bewahrt, in der folgenden Saison landete Braun-Weiß – eigentlich als „Absteiger Nummer eins“ gehandelt – völlig überraschend auf Rang drei. Garanten für den Erfolg: das Sturm-Trio Marcel Rath (15 Saisontore), Thomas Meggle (13) und Ivan Klasnic (10), die maßgeblich zu St. Paulis Torfabrik von 70 Treffern beitrugen – Liga-Bestwert. Am letzten Spieltag drehten die Kiezkicker einen 0:1-Rückstand beim bereits feststehenden Zweitliga-Meister 1. FC Nürnberg noch in einen 2:1-Sieg und schafften die Rückkehr in die Bundesliga. Umjubelter Siegtorschütze: Deniz Baris. Zehntausende Anhänger feierten später auf dem Heiligengeistfeld.

2001: Co-Trainer Joachim Philipkowski (l.) herzt Deniz Baris, der in Nürnberg das Siegtor zum St. Pauli-Aufstieg schoss.
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2001: Co-Trainer Joachim Philipkowski (l.) herzt Deniz Baris, der in Nürnberg das Siegtor zum St. Pauli-Aufstieg schoss.

Die Ernüchterung trat aber schnell ein auf St. Pauli. Nach nur einer Saison stieg man direkt wieder ab und wurde sogar in die drittklassige Regionalliga durchgereicht. Der Höhepunkt einer völlig missratenen Saison, in der der FC St. Pauli sportlich nie mithalten konnte: der 6. Februar 2002. Thomas Meggle und Nico Patschinski schossen den Kiezklub zu einem sensationellen 2:1-Sieg am Millerntor gegen den FC Bayern München, der Erfolg wurde mit „Weltpokalsiegerbesieger“-T-Shirts gefeiert. Es blieb der einzige Feiertag in dieser kurzen und enttäuschenden Bundesliga-Episode, die mit dem abgeschlagenen letzten Tabellenplatz und zwölf Punkten Rückstand endete. Vor der Pleite rettet St. Pauli letztlich Uli Hoeneß, ein Benefizspiel gegen den FC Bayern und 140.000-Retter-Shirts.

St. Pauli feiert in der Bundesliga vor allem Gerald Asamoah

2010: Der zuvor letzte Bundesliga-Aufstieg von St. Pauli war vor allem ein Verdienst von Holger Stanislawski, der den Verein aus der Regionalliga in die Bundesliga führte. Im neu umgebauten Millerntorstadion und mit Neuzugängen wie Max Kruse, Matthias Lehmann, Deniz Naki, Charles Takyi oder Markus Thorandt spielten die Braun-Weißen eine herausragende Saison und machten zwei Spieltage vor Saisonende mit einem 4:1-Erfolg bei der SpVgg Greuther Fürth die Rückkehr in Liga eins perfekt. Die Party auf dem Spielbudenplatz war die bis heute letzte große Aufstiegsfeier des FC St. Pauli.

2010: Deniz Naki feiert den Aufstieg des FC St. Pauli auf den Schultern von Morike Sako.
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2010: Deniz Naki feiert den Aufstieg des FC St. Pauli auf den Schultern von Morike Sako.

Erneut blieb der Kiezklub aber nur ein einziges Jahr in der Bundesliga. Hauptgrund dafür war ein völlig verkorkster Endspurt der Saison, als man trotz der Verstärkungen durch Fin Bartels, Gerald Asamoah oder Carlos Zambrano in zwölf Spielen nur noch einen einzigen Punkt holte. Der große Höhepunkt dieser Spielzeit: der 16. Februar 2011 und das Tor von Asamoah zum ersten Sieg im Derby gegen den HSV nach 33 Jahren. Dennoch besiegelte ein 1:8-Debakel gegen den FC Bayern am vorletzten Spieltag – dem bislang letzten Bundesliga-Heimspiel am Millerntor – letztlich den direkten Wiederabstieg als Tabellenschlusslicht. Das bis heute letzte Bundesliga-Spiel bestritt St. Pauli am 14. Mai 2011 beim 1. FSV Mainz 05, das die Kiezkicker gegen die von Thomas Tuchel trainierten Mainzer mit 1:2 verloren.

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2024: Nach einer sportlich herausragenden Spielzeit steht der sechste Bundesliga-Aufstieg von St. Pauli bereits am vorletzten Spieltag fest. Es ist eine Saison mit historischen Dimensionen: Zum ersten Mal überhaupt stehen die Kiezkicker im Profifußball vor dem Stadtrivalen HSV, der den Sprung ins Fußball-Oberhaus abermals verpasste. Die kommende Spielzeit wird zudem die erste werden, in der der FC St. Pauli eine Liga über dem Hamburger SV spielt.

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