Vor 75 Jahren wird Hamburgs Henker arbeitslos: Die beiden Letzten auf der Guillotine

Vor 75 Jahren wird Hamburgs Henker arbeitslos: Die beiden Letzten auf der Guillotine

Zum Tode Verurteilte wurden gerädert, gehängt, erschossen, bei lebendigem Leibe vergraben, verbrannt oder enthauptet. Sieben Jahrhunderte lang wurden in Hamburg Hinrichtungen vollstreckt – bis zum 9. Mai 1949. An diesem Tag beförderte der Henker von Hamburg die Mörder und Schwarzmarkt-Schieber Robert Amelung und Peter Steinhauer ins Jenseits – es waren die beiden letzten Hinrichtungen in Westdeutschland. Am 23. Mai 1949 war mit dem Inkrafttreten des Grundgesetzes die Todesstrafe abgeschafft.

Aus längst vergilbten Akten des Staatsarchivs Hamburg geht hervor, dass Amelung und Steinhauer mittags noch ihre Henkersmahlzeit zu sich nahmen. Danach wurden sie zum Hinrichtungsraum des Zuchthauses Holstenglacis geführt. Während sich Steinhauer wortlos seinem Schicksal ergab, flehte Amelung um Gnade. Vergeblich. Im Abstand von fünf Minuten rauschte das Fallbeil zweimal in die Tiefe. Steinhauer starb um 14.30 Uhr, Amelung um 14.35 Uhr.   

Auch in Hamburg wurden sogenannte „Hexen“ und „Zauberer“ auf dem Scheiterhaufen verbrannt.
dpa

Auch in Hamburg wurden sogenannte „Hexen“ und „Zauberer“ auf dem Scheiterhaufen verbrannt.

700 Jahre Todesstrafe in Hamburg: 1385 gab’s die erste Hinrichtung

Die Geschichte der Todesstrafe in Hamburg beginnt im Jahr 1385. Damals fand die erste urkundlich erwähnte Hinrichtung der Hansestadt statt: Das Kämmerei-Rechnungsbuch weist aus, dass einem Knecht acht Schillinge gezahlt wurden als Lohn dafür, dass er eine Frau aus Glindesmoor (heute Kreis Steinburg) lebendig begraben hatte – sie war für schuldig befunden worden, ihr eigenes Kind getötet zu haben.

Fünf Jahre danach, im Jahr 1390, wurde eine Frau lebendig verbrannt, weil sie ihren Mann umgebracht hatte. Ihr Komplize und Liebhaber, ein Küster, wurde gerädert.

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Von da an ging es Schlag auf Schlag: Mörder, Räuber, Verräter und vor allem Piraten mussten dran glauben. Viele, viele Unschuldige verloren ihr Leben, darunter 74 Menschen, die zwischen dem 15. und 18. Jahrhundert als Hexen und Zauberer angeklagt, verurteilt und hingerichtet wurden.

Welches Vergehen mit welcher Straftat zu ahnden war, regelte Deutschlands erstes allgemeines Strafgesetzbuch aus dem Jahr 1532: die von Kaiser Karl V. erlassene Constitutio Criminalis Carolina: Für Brandstifter, Hexen, Zauberer, Kirchenräuber und Ketzer war der Scheiterhaufen vorgesehen. Totschläger, Räuber, Landfriedensbrecher, Aufrührer und Abtreiber waren zu enthaupten, Verräter zu vierteilen, Mörder und Giftmischer zu rädern.

Valentin Matz warf sein Richtschwert fort und wurde Arzt – Henker kannten sich aus mit Anatomie

Wehe, der Henker stellte sich ungeschickt an, dann tobte die Menge. Dem Hamburger Scharfrichter Valentin Matz beispielsweise gelang es 1622 erst beim dritten Versuch, dem Mörder Johann Körner den Kopf abzuschlagen. Nur mit Mühe konnte sich Matz vor Volkes Zorn in Sicherheit bringen. Er warf sein Richtschwert fort, gab das Amt auf und arbeitete fortan als Arzt – Henker kannten sich schließlich aus mit menschlicher Anatomie. 

In der städtischen Hierarchie rangierte der Scharfrichter ganz weit unten. Im Mittelalter trug er ein scharlachfarbenes Gewand, damit jeder ihn sofort sah und ihm aus dem Weg gehen konnte. Er musste in der Wirtschaft abseits auf einem dreibeinigen Hocker sitzen – denn auch der Galgen stand auf drei Beinen. Auf dem Friedhof hatte er eine spezielle Ruhestätte – ganz am Rande, direkt an der Friedhofsmauer.

Wer den Henker auch nur berührte, galt als unrein. Nachdem 1823 ein Bauernbursche aus Hamburg, ohne zu wissen, um wen es sich handelte, mit einem Scharfrichter Bruderschaft getrunken hatte, musste er aus der Stadt fliehen, so groß war die Schande. 

1401 wurden der Pirat Klaus Störtebeker und seine Gesellen auf dem Grasbrook hingerichtet.
Staatsarchiv Hamburg

1401 wurden der Pirat Klaus Störtebeker und seine Gesellen auf dem Grasbrook hingerichtet.

Heiraten konnte ein Henker nur die Tochter eines Kollegen – keine andere Frau gab sich mit ihm ab. Auch die Kinder eines Henkers hatten es schwer: Einen Handwerksberuf zu ergreifen, war für sie unmöglich – keine Zunft nahm sie auf. Deshalb traten sie meist in die Fußstapfen des Vaters. Regelrechte Henkerdynastien entstanden. In Hamburg war es zwischen 1722 und 1830 immer ein männlicher Nachkomme der Familie Hennings, der das Henkeramt ausübte.

Zwischen dem 15. und 17. Jahrhundert wurden auf dem Grasbrook 400 Piraten enthauptet

Im Mittelalter war Hamburg in Deutschland die Stadt mit den meisten Hinrichtungen. Das lag daran, dass Kaiser Friedrich II. der Stadt 1468 das Privileg erteilt hatte, Seeräuber, Diebe, Mörder und sonstige Übeltäter auf der Elbe „bis in die See“ zu verfolgen. Von diesem Recht machten die Stadtväter denn auch reichlich Gebrauch. Zwischen dem 15. und 17. Jahrhundert wurden auf dem Richtplatz auf dem Grasbrook rund 400 Piraten enthauptet – darunter der berühmte Klaus Störtebeker und seine Vitalienbrüder.  

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Die übrigen Hinrichtungen, also die, bei denen es sich nicht um Freibeuter handelte, wurden noch bis ins Spätmittelalter mitten in der Stadt vollzogen – auf Hamburgs ältestem Marktplatz, dem „Berg“ (heute Bergstraße). Dort befanden sich auch die Fronerei mit den Wohnräumen des Scharfrichters und die Todeszellen.

St. Georg: Wo heute diese Buche steht, war einst die Hinrichtungsstätte Hamburgs.
Quandt

St. Georg: Wo heute diese Buche steht, war einst die Hinrichtungsstätte Hamburgs.

Im Jahr 1554 wurde die Richtstätte nach St. Georg verlegt. Die Delinquenten wurden ab da über den Steindamm – vom Volksmund deshalb „Armesünderdamm“ genannt – zum sogenannten Köppelberg gebracht, wo der Galgen aufgestellt war – heute ist an dieser Stelle ein Hinterhof mit Parkplatz. Adresse: Am Lohmühlenpark 1.

Über Jahrhunderte wurden Hinrichtungen als öffentliches Spektakel inszeniert. Das änderte sich Anfang des 19. Jahrhunderts. 1807 wurde der Raubmörder Johann Wallgrün als Letzter öffentlich gerädert. 1822 fand die letzte öffentliche Hinrichtung mit dem Schwert statt. Ab da wurden Todesurteile diskret im Gefängnishof und mithilfe der Guillotine vollstreckt.  

Hamburgs letzter Henker: Friedrich Hehr nahm bis 1945 mehr als 460 Hinrichtungen vor

Ab 1937 Henker von Hamburg: Friedrich Hehr (1879-1952).
MOPO-Archiv

Ab 1937 Henker von Hamburg: Friedrich Hehr (1879-1952).

Während der Weimarer Republik wurde kein Einziger hingerichtet. Mit der Machtübernahme Hitlers änderte sich das schlagartig. Mehr Menschen wurden in der NS-Zeit ins Jenseits befördert als je zuvor – darunter auffallend viele Unschuldige, Menschen, deren einziges Verbrechen darin bestanden hatte, in Opposition zum NS-Regime zu stehen. 

Zentrale Hinrichtungsstätte für ganz Norddeutschland war ab 1937 das Zuchthaus am Holstenglacis, die heutige Untersuchungshaftanstalt. Im selben Jahr trat mit Friedrich Hehr ein neuer Henker sein Amt an. Er stammte aus der Nähe von Stuttgart, war ein knurriger, verschlossener Mann, wohnte in Hannover und reiste jedesmal mit dem Zug an, wenn es galt, ein Todesurteil zu vollstrecken. Bis 1945 nahm er 468 Hinrichtungen vor.

Seine prominentesten Opfer waren die sogenannten Lübecker Märtyrer: die drei katholischen Priester Johannes Prassek, Eduard Müller und Hermann Lange sowie der evangelische Pastor Karl Friedrich Stellbrink – allesamt Gegner des NS-Regimes. Ihre Hinrichtungen fanden am 10. November 1943 statt.

Hehrs jüngster Todeskandidat war der gerade mal 17-jährige, geistig zurückgebliebene Pole Walerjan Wrobel, der auf einem Bauernhof bei Bremen als Zwangsarbeiter tätig gewesen war und in seiner Verzweiflung – er litt unter großem Heimweh – eine Scheune in Brand gesetzt hatte. Er hoffte, sie würden ihn dann nach Hause schicken … Hehr tötete den Jungen am 25. August 1942.

Vier Lübecker Geistliche haben in der NS-Zeit ihre Konfessionen überwunden und sich vereint gegen Hitler gestellt. Am 10. November 1943 wurden sie deshalb in Hamburg hingerichtet. Die vier Lübecker Märtyrer.
dpa

Vier Lübecker Geistliche haben in der NS-Zeit ihre Konfessionen überwunden und sich vereint gegen Hitler gestellt. Am 10. November 1943 wurden sie deshalb in Hamburg hingerichtet. Die vier Lübecker Märtyrer.

Friedrich Hehr war berühmt für seine Geschwindigkeit. Im Hinrichtungsraum angekommen, schnallten Hehrs Helfer den Todeskandidaten auf ein Brett, schoben sogleich seinen Kopf unters Fallbeil, und im selben Moment löste der Henker den Mechanismus aus. Es zischte kurz, schon war der Kopf vom Rumpf getrennt. Fünf, sechs Sekunden, länger dauerte die gesamte Prozedur nicht.

Am 3. Mai 1945 war der Krieg in Hamburg vorbei. Die britischen Besatzer schickten Hehr aber nicht in den Ruhestand, sondern beließen ihn im Amt. Noch weitere 18 Todesurteile vollstreckte er nach Ende der NS-Zeit – unter den Todeskandidaten befanden sich nicht wenige NS-Verbrecher, Menschen, die eben noch seine Auftraggeber gewesen waren.

14 Tage vor dem Grundgesetz wurden Peter Steinhauer und Robert Amelung enthauptet

Aber auch mancher Kriminelle war darunter. So wie Peter Steinhauer und Robert Amelung. Die beiden Schieber aus der Schwarzmarktszene hatte das Hamburger Landgericht des Mordes an dem Serben Peter Nikolitsch schuldig gesprochen.

Nikolitsch war nach Kriegsende in Hamburg aufgetaucht. Er verfügte über beste Drähte zu den Besatzungsmächten und besaß einen Dienstwagen der US-Armee, mit dem er ungehindert zwischen den Besatzungszonen hin- und herfahren und dabei Zigaretten und Schnaps schmuggeln konnte, heiße Ware für den schwarzen Markt.

Steinhauer und Nikolitsch machten oft Geschäfte miteinander. Allerdings war Nikolitsch eine äußerst schwierige Persönlichkeit: Mehrfach drohte er Steinhauer damit, ihn bei den Alliierten zu verpfeifen. Außerdem verprügelte Nikolitsch regelmäßig seine Geliebte, bei der es sich um eine Freundin Steinhauers handelte. Als sich Nikolitsch dann auch noch an dessen junge Frau ranmachte, fasste Steinhauer den Entschluss, den Serben aus dem Weg zu räumen.

Eine Hinrichtung dauerte nur fünf, sechs Sekunden: Hamburgs Guillotine. Das heutige Untersuchungsgefängis Holstenglacis war ab 1937 zentrale Hinrichtungsstätte für Norddeutschland.
Staatsarchiv Hamburg

Eine Hinrichtung dauerte nur fünf, sechs Sekunden: Hamburgs Guillotine. Das heutige Untersuchungsgefängis Holstenglacis war ab 1937 zentrale Hinrichtungsstätte für Norddeutschland.

Dafür heuerte Steinhauer Robert Amelung an, der noch 10.000 Reichsmark Schulden bei ihm hatte. „Pass mal auf“, so Steinhauers Angebot, „wenn du mir bei Nikolitsch hilfst, bist du die Schulden los und ich lege sogar noch was drauf.“

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Unter dem Vorwand, mit ihm trinken gehen zu wollen, verabredeten sich Steinhauer und Amelung am 30. Oktober 1947 mit Nikolitsch. Obwohl alle drei sturzbetrunken waren, stiegen sie mitten in der Nacht ins Auto. Nikolitsch saß am Steuer, als Amelung ihm bei einem Stopp an der Bebelallee mit einem Hammer von hinten den Schädel einschlug.

In der DDR wurde das letzte Todesurteil 1981 vollstreckt: Werner Teske, ein Ex-Stasi-Mann

Die Mörder beschwerten die Leiche mit Steinen, versenkten sie in der Alster und schworen einander, für immer über ihre Tat zu schweigen. Amelung hielt sich aber nicht daran: Seine Gewissensbisse waren so groß, dass er sich seiner Freundin offenbarte, die sofort zur Polizei lief.

Die Hinrichtung von Robert Amelung und Peter Steinhauer wurde für den 9. Mai 1949 anberaumt. Das Grundgesetz, das am 23. Mai 1949 verkündet wurde und in dessen Artikel 102 steht „Die Todesstrafe ist abgeschafft“, kam für die beiden 14 Tage zu spät und so hatte Hehr, kurz bevor er in Rente ging, noch die zweifelhafte Ehre, die zwei letzten Hinrichtungen in Westdeutschland vorzunehmen.

Werner Siegfried Teske war ein Hauptmann des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR, der 1981 rechtswidrig wegen angeblich vollendeter Spionage und versuchter Fahnenflucht zum Tode verurteilt und hingerichtet wurde. Dies war die letzte Vollstreckung eines Todesurteils in der DDR und auf deutschem Boden.
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Werner Siegfried Teske war ein Hauptmann des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR, der 1981 rechtswidrig wegen angeblich vollendeter Spionage und versuchter Fahnenflucht zum Tode verurteilt und hingerichtet wurde. Dies war die letzte Vollstreckung eines Todesurteils in der DDR und auf deutschem Boden.

In der DDR wurde das letzte Todesurteil übrigens 1981 vollstreckt – Werner Teske, ein Ex-Stasi-Hauptmann, dem Spionage für den Westen vorgeworfen worden war, wurde mit einem Schuss in den Hinterkopf getötet. 1987 schaffte dann auch die DDR die Todesstrafe ab.

Unser Literaturtipp zum Thema: „Seeräuberei, Mord und Sühne – eine 700-jährige Geschichte der Todesstrafe in Hamburg 1292-1949“ von Matthias Blazek, ibidem-Sachbuch, Stuttgart, 149 Seiten, 18,90 Euro

Vor 75 Jahren wird Hamburgs Henker arbeitslos: Die beiden Letzten auf der Guillotine wurde gefunden bei mopo.de