Wett-Ermittler gibt Einblicke: „In Deutschland werden jede Woche Spiele manipuliert“

Wett-Ermittler gibt Einblicke: „In Deutschland werden jede Woche Spiele manipuliert“

Vor genau 15 Jahren erschütterte der letzte große Wettskandal den europäischen Fußball. Damals hatte die Polizei ein internationales Netzwerk von Wettbetrügern aufgedeckt, das mehr als 200 Fußballspiele in ganz Europa manipuliert hatte – mindestens 32 Partien auch in Deutschland. Kriminalpolizist Michael Bahrs ermittelte 2009 in der extra dafür eingerichteten Sonderkommission „Flankengott“, arbeitete mit Europol und Interpol zusammen und gilt seither als einer der profiliertesten Ermittler im Bereich der Sportwettmanipulation. In der MOPO erklärt der 52-Jährige, wie eine Spielmanipulation konkret abläuft, womit die Täter die Spieler von ihren Plänen überzeugen und wie in Deutschland auch heute noch jedes Wochenende Fußballspiele manipuliert werden.

MOPO: Herr Bahrs, die MOPO hat vor zwei Wochen aufgedeckt, dass 17 deutsche Fußballspiele von der 3. Liga bis zur Oberliga unter Manipulationsverdacht stehen. Sind Sie noch immer so stark in das Thema involviert, dass Sie davon direkt mitbekommen haben?

Michael Bahrs: Absolut. Beruflich bin ich zwar schon sehr lange nicht mehr mit dem Bereich betraut, aber ich habe bis heute nie ganz damit abgeschlossen und kriege nach wie vor Informationen aus aller Welt zu möglicherweise manipulierten Fußballspielen. Wenn so ein Fußballskandal bekannt wird, dann rappelt mein Telefon. Da melden sich bei mir viele aus meinem Bekannten- und Freundeskreis, aber auch aus dem kriminellen Umfeld. Auch wenn ich eigentlich schon seit Jahren raus bin, habe ich seither immer wieder Verfahren eingeleitet oder initiiert. Das mache ich bis heute.

Ermittler Michael Bahrs erklärt, wie Wettbetrug funktioniert

Beim letzten großen Wettskandal 2009 haben Sie in der zuständigen Sonderkommission „Flankengott” ermittelt. Wie sind Sie damals auf den Verdacht der Spielmanipulation aufmerksam geworden?

Wir haben im Bereich der organisierten Kriminalität eigentlich gegen eine ganz andere Tätergruppierung ermittelt. Ursprünglich war es ein Verfahren im Rotlicht- und Drogenmilieu. Bei den Telefonen, die wir damals überwacht haben, konnten wir allerdings Hinweise mithören. Die Verdächtigen wetteten auf Fußballspiele, als Gesprächspartner tauchten plötzlich namhafte Fußballspieler, Trainer und Funktionäre auf. Die SOKO „Flankengott“ war also eher ein Ausläufer eines ursprünglich ganz anderen Verfahrens.

Wie muss man sich das als Fußballfan vorstellen, wie so eine Spielmanipulation konkret abläuft?

Es gibt nicht diesen einen Plan, nach dem eine Fußballmanipulation abläuft. Eine Manipulation ist sehr vielschichtig. Mittel zum Zweck sind dabei natürlich immer die Protagonisten auf dem Feld, also vor allem Spieler und Schiedsrichter, manchmal auch Trainer und Funktionäre. Ohne die Beteiligten kann man kein Spiel manipulieren. Grundsätzlich kann man sagen: Ein Täter, der auf das Spiel wettet, sagt einem Protagonisten vorab, was er zu tun hat. Er könnte dem Spieler also beispielsweise sagen, er soll in den ersten zehn Minuten einen Elfmeter verursachen – und dann wettet er darauf, dass in den ersten zehn Minuten ein Gegentor fällt. Ein Täter hat mal erzählt, er habe seinen Leuten immer den Satz gesagt: „Du kannst 89 Minuten lang das Spiel deines Lebens machen, aber eine Minute lang arbeitest du für mich.“ Das trifft es eigentlich auf den Punkt.

Kann so eine Manipulation dann nicht auch mal schiefgehen?

Natürlich, diese Fälle gibt es. Ein manipulationswilliger Spieler muss auf viele Dinge achten und kann nicht einfach von der ersten bis zur letzten Minute wie eine Gurke spielen. Aber wir reden hier über organisierte Kriminalität. Wenn so eine Manipulation schiefgeht, wird im Hintergrund richtig was losgetreten. Es geht schließlich um Unsummen, die das kriminelle Netzwerk dadurch verloren hat und wieder zurückhaben will. Da steht der Spieler dann besonders in der Schuld der Kriminellen und das machen diese sich zunutze, erpressen den Spieler und bedrohen seine Familie. Sobald man sich einmal dazu entschieden hat, mit solchen Leuten zu arbeiten, kommt man da nicht mehr raus.

Bahrs: „Kein Fußballer wird Profi, um zu manipulieren“

Woher wissen die Täter denn, welche Spieler für eine Manipulation anfällig sind?

Zunächst einmal unterstelle ich keinem Fußballer, dass er Profi wird, um Spiele zu manipulieren. Fußballspieler halten sich an den gleichen öffentlichen Orten auf wie jeder andere, gehen in Kneipen oder Discos zum Feiern. Als Krimineller gibt man sich dort dann beispielsweise als FIFA-Spieleragent aus. So kommt man mit den Spielern ins Gespräch, nähert sich an und baut Vertrauen auf. Man lernt den Spieler und seine Vorlieben kennen und weiß irgendwann, wie man ihn beeindrucken kann, indem man mit ihm vielleicht in tollen Autos durch die Gegend fährt. Mit solchen Gefälligkeiten versuchen die Kriminellen, den Spieler direkt in eine moralische Bringschuld zu versetzen. Und beim nächsten Spiel fordern sie dann den Gegengefallen ein, indem der Spieler ihnen dabei helfen soll, angebliche Schulden bei unbequemen Leuten zu begleichen. Wenn man dann als Spieler noch ein bisschen was daran verdienen kann, gibt es nicht wenige, die offen dafür sind. Fußballer können oft gar nicht einschätzen, was passiert, wenn sie sich auf solche krummen Dinger einlassen.

In welchen finanziellen Dimensionen bewegen wir uns da?

Das ist natürlich davon abhängig, von welcher Liga wir sprechen. Einen Jugendspieler kann ich schon mit 5000 Euro glücklich machen, bei einem gestandenen Bundesliga-Profi sind es dann vielleicht eher 20.000 Euro. Das kommt auch darauf an, wie groß der Nutzen der Kriminellen ist. Je mehr Gewinn sie erwarten können, desto mehr bieten sie auch den Spielern. Und es gibt durchaus Fälle, in denen sich durch Wettbetrug richtig Schotter machen lässt – da bewegen wir uns schon im Bereich von 300.000 bis 400.000 Euro pro Spiel.

Michael Bahrs ermittelte 2009 in der „SOKO Flankengott“ gegen Wettbetrüger und veröffentlichte später ein Buch darüber.
privat/hfr

Michael Bahrs ermittelte 2009 in der „SOKO Flankengott“ gegen Wettbetrüger und veröffentlichte später ein Buch darüber.

Dennoch warnen Sie in Ihrem Buch „Verbrechen am Fußball”, in dem Sie die Ermittlungen von 2009 aus Ihrer Sicht schildern, dass die kriminelle Gefahr von Spielmanipulation bis heute unterschätzt wird. Wie passt das zusammen?

Ich finde einfach, dass es noch eine ganze Menge zu tun gibt. Wir sind da in vielen Bereichen in Deutschland noch nicht gut genug aufgestellt. Die Gefahr von Spielmanipulationen wird vor allem von denjenigen unterschätzt, die eigentlich dafür verantwortlich sind: von den Verbänden. Es reicht aus meiner Sicht nicht aus, Flugblätter zu verteilen, Lautsprecherdurchsagen in den Stadien zu machen oder den Spielern zu Saisonbeginn ein Regelbuch in die Hand zu drücken – man muss sich auch Mühe geben, die Verdachtsfälle aufzuklären. Und bisher haben alle Sachen, die von den Verbänden initiiert wurden, so gut wie nichts bewegt. Es gibt da zu viele Floskeln und leere Worte. Ich glaube, man lebt insgeheim einfach damit, dass es Spielmanipulationen gibt. Denn wenn wir das wirklich erhellen wollten, hätten wir schon längst eine SOKO „Flankengott“ 2.0 oder 3.0.

Ermittler: Jede Woche werden deutsche Spiele manipuliert

Kann die Polizei nicht auch selbst aktiv etwas gegen Wettbetrug unternehmen?

Das Problem ist: Die Polizei ist überhaupt nicht für den Schutz des Sports und die Prävention von Spielmanipulationen zuständig. Dafür sind die Fußballverbände schon selbst verantwortlich. Erst, wenn die Verbände eine Straftat vermuten, können sie die Ermittlungsbehörden hinzuziehen. Wenn die Verbände allerdings gar kein Interesse an der Aufklärung haben, kann die Polizei da ohne einen Anfangsverdacht wenig tun.

Kann man überhaupt etwas tun, um Spielmanipulation zu verhindern?

Verhindern kann man es nicht. Man kann lediglich versuchen, die Fälle zu minimieren. Dazu müssen aber alle Beteiligten bereit sein. Wettbetrug ist für Kriminelle sehr attraktiv, weil sich damit sehr schnell viel Geld verdienen lässt. Warum sollten kriminelle Vereinigungen plötzlich aufhören, damit ihr Geld zu verdienen, wenn sie schon für weniger die Gefahr auf sich nehmen, womöglich ins Gefängnis zu gehen? Bei einem Wettbetrug ist die Chance, ermittelt zu werden, weitaus geringer.

Wie stark ist Ihrer Meinung nach der deutsche Fußball davon betroffen?

Ich bin überzeugt: Mit den 17 Spielen, die Sie aufgedeckt haben, haben Sie nur einen Teil des ganz Großen herausgefiltert. Aus meiner Erfahrung kann ich Ihnen sagen, dass so gut wie jeder Spieltag irgendwo mit Manipulation zu tun hat. Auch in Deutschland werden jedes Wochenende Spiele manipuliert. Das ist in ganz Europa noch immer ein großes Problem im Fußball. Nur, weil wir damals ein paar wenige Fälle erhellt haben, haben wir nicht das gesamte kriminelle Phänomen aufgelöst. Das gibt es heute noch genauso wie Mord, Einbruch, Diebstahl und jede andere Straftat auch. Und wenn wir glauben, nur wir in Deutschland sind von allem befreit und Spielmanipulationen gibt es nur in allen anderen Ländern, machen wir uns etwas vor.

Wett-Ermittler gibt Einblicke: „In Deutschland werden jede Woche Spiele manipuliert“ wurde gefunden bei mopo.de

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