Der Alte Elbtunnel ist vielleicht das bedeutendste technische Wahrzeichen unserer Stadt. Im September 1911 wurde er eingeweiht. Heute, 113 Jahre später, kann die MOPO Fotos vom Bau des Tunnels präsentieren, die bislang nur selten oder noch gar nicht veröffentlicht wurden. Woher sie stammen? Unglaublich. Es handelt sich um einen Dachbodenfund!
Aufgetaucht sind die Bilder weit entfernt von Hamburg: in Wolfratshausen, einer Stadt in Oberbayern. Dort hat die 73-jährige Brigitte Platiel die Fotos im Nachlass ihres Großonkels Anton Platiel gefunden. Er gehörte zu den Ingenieuren, die den Elbtunnel-Bau leiteten.
Brigitte Platiel erzählt der MOPO, sie habe während der Corona-Zeit ihren Dachboden aufgeräumt – dabei sei das Album aufgetaucht, das wahrscheinlich mehr als ein Jahrhundert niemand mehr in Händen hielt. Die 73-Jährige entschloss sich daraufhin, die wunderschönen alten Fotos der Hamburg Port Authority (HPA), der Betreiberin des Elbtunnels, zum Geschenk zu machen.
73-jährige Großnichte hat die Fotos der HPA geschenkt
„Ich bin ganz begeistert davon, dass die Hamburger so großes Interesse an den Bildern haben“, so Brigitte Platiel zur MOPO. Kürzlich wurden die Fotos erstmals öffentlich gezeigt – im Rahmen der Fotoausstellung „Mensch und Tunnel“ in der HPA-Bibliothek am Neuen Wandrahm 4 (HafenCity). Die MOPO darf nun die Bilder einer breiteren Öffentlichkeit vorstellen.
Stiftung Historische Museen Hamburg
Ingenieur Anton Platiel. In seinem Nachlass, der mehr als 100 Jahre auf einem Dachboden verstaubte, wurde jetzt das Fotoalbum mit den Bildern entdeckt.
Über ihren Großonkel Anton weiß Brigitte Platiel nur wenig. Geboren wurde er 1882 in Deggendorf an der Donau. Er studierte Ingenieurwissenschaften und wirkte auch am Bau der Weichselbrücken mit. Von 1907 bis 1911 war er als Angestellter der Baufirma Philipp Holzmann für die 426 Meter lange Weströhre des Elbtunnels verantwortlich, die übrigens gerade durch die HPA saniert wird.
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Brigitte Platiel erzählt, ihr Großonkel sei 1927 in die USA ausgewandert. An Bord der „MS Osiris“ erreichte er im Mai 1927 die Vereinigten Staaten. Sein Glück fand er dort nicht. Bereits ein Jahr später starb er in Los Angeles an den Folgen eines Blinddarmdurchbruchs.
privat
Brigitte Platiel fand die Fotos ihres Großonkels auf ihrem Dachboden.
Hamburg vor gut 100 Jahren: eine pulsierende Stadt. Der Hafen platzt aus allen Nähten. Viele Werften und Reedereien siedeln sich nun auch auf dem südlichen Elbufer an. Und so ist der Fluss jeden Tag voll mit Barkassen und Fähren, die Tausende von Menschen an ihre Arbeitsplätze bringen.
Alter Elbtunnel: Hier wurden die Grenzen des Machbaren verschoben
Um einen Verkehrsinfarkt auf dem Wasser zu verhindern, suchen die Stadtväter nach Lösungen. Eine Brücke über die Elbe wird in Erwägung gezogen, aber bald wieder verworfen: Sie müsste 55 Meter hoch sein, denn andernfalls würden die großen Segler nicht darunter hindurchpassen! Das aber würde 25 Millionen Goldmark kosten. Viel zu teuer!
So entscheidet sich Baurat Ludwig Wendemuth 1902 für einen Unterwasser-Tunnel. Im schottischen Glasgow gibt es etwas Ähnliches bereits. Auf dem europäischen Kontinent aber hat sich noch niemand an ein solches Bauwerk gewagt. Der Beginn des 20. Jahrhunderts ist eine Zeit, in der der Mensch mit großer Lust die Grenzen des Machbaren verschiebt, und so nehmen der gerade mal 29 Jahre alte Ingenieur Otto Stockhausen und seine Kollegen die Herausforderung an.
Hier eine Auswahl der schönsten Fotos, die auf dem Dachboden gefunden wurden
Schacht St. Pauli: Beton-Kippgerüst und Verschalung
Schacht St. Pauli: Beton-Kippgerüst und Verschalung
Alter Elbtunnel: Werkstatt Gutehoffnungshütte Sterkrade bei Oberhausen, in
der die Ringsegmente hergestellt werden
Alter Elbtunnel: Werkstatt Gutehoffnungshütte Sterkrade bei Oberhausen, in
der die Ringsegmente hergestellt werden
Alter Elbtunnel: Vorarbeiten für den Vortrieb
der Tunnelröhren
Alter Elbtunnel: Vorarbeiten für den Vortrieb
der Tunnelröhren
Alter Elbtunnel: Vorarbeiten zum Durchbruch
Alter Elbtunnel: Vorarbeiten zum Durchbruch
Alter Elbtunnel: Ansicht des Vortriebsschildes.
Alter Elbtunnel: Ansicht des Vortriebsschildes.
Schacht Steinwerder: Vorarbeiten für die Absenkung
des Senkkastens. Der Senkkasten dient bei den Unterwasserarbeiten als Arbeitsraum – und funktioniert ähnlich wie eine Taucherglocke.
Schacht Steinwerder: Vorarbeiten für die Absenkung
des Senkkastens. Der Senkkasten dient bei den Unterwasserarbeiten als Arbeitsraum – und funktioniert ähnlich wie eine Taucherglocke.
Schacht Steinwerder: Herausschneiden der Senkkastenkonstruktion. Der Senkkasten dient bei den Unterwasserarbeiten als Arbeitsraum – und funktioniert ähnlich wie eine Taucherglocke.
Schacht Steinwerder: Herausschneiden der Senkkastenkonstruktion. Der Senkkasten dient bei den Unterwasserarbeiten als Arbeitsraum – und funktioniert ähnlich wie eine Taucherglocke.
Schacht St. Pauli: Arbeiter bei Abdichtungsarbeiten.
Schacht St. Pauli: Arbeiter bei Abdichtungsarbeiten.
Schacht Steinwerder: Durch Luftdruck wird Sand auf die Oberseite
des Senkkastens befördert. Der Senkkasten dient bei den Unterwasserarbeiten als Arbeitsraum – und funktioniert ähnlich wie eine Taucherglocke.
Schacht Steinwerder: Durch Luftdruck wird Sand auf die Oberseite
des Senkkastens befördert. Der Senkkasten dient bei den Unterwasserarbeiten als Arbeitsraum – und funktioniert ähnlich wie eine Taucherglocke.
Alter Elbtunnel: Die Ringsegmente werden durch Nieten
miteinander verbunden
Alter Elbtunnel: Die Ringsegmente werden durch Nieten
miteinander verbunden
Alter Elbtunnel: Ringsegmente und im Hintergrund die
Rückwand des Vortriebsschildes
Alter Elbtunnel: Ringsegmente und im Hintergrund die
Rückwand des Vortriebsschildes
Alter Elbtunnel: Tunnelröhre im Rohbau
Alter Elbtunnel: Tunnelröhre im Rohbau
Alter Elbtunnel: Heißvernieten der Ringsegmente
unter Druckluft.
Alter Elbtunnel: Heißvernieten der Ringsegmente
unter Druckluft.
Alter Elbtunnel: Vorderseite eines Vortriebsschildes
Alter Elbtunnel: Vorderseite eines Vortriebsschildes
Gutehoffnungshütte in Sterkrade bei Oberhausen, wo die Tunnelringe gefertigt werden. Hier findet gerade ein Belastungstest statt.
Gutehoffnungshütte in Sterkrade bei Oberhausen, wo die Tunnelringe gefertigt werden. Hier findet gerade ein Belastungstest statt.
Alter Elbtunnel: Montage der Vortriebsschilde
Alter Elbtunnel: Montage der Vortriebsschilde
Alter Elbtunnel: Druckdichte Wand mit den Schleusen für
Personen (oben) und Material (unten).
Alter Elbtunnel: Druckdichte Wand mit den Schleusen für
Personen (oben) und Material (unten).
Alter Elbtunnel: Die einzelnen Ringsegmente werden mit Zementmörtel gefüllt.
Alter Elbtunnel: Die einzelnen Ringsegmente werden mit Zementmörtel gefüllt.
Schacht Steinwerder: Einschalung des Fahrschachtes
Schacht Steinwerder: Einschalung des Fahrschachtes
Schacht St. Pauli: Im Hintergrund ist das heutige Hotel
Hafen Hamburg zu sehen
Schacht St. Pauli: Im Hintergrund ist das heutige Hotel
Hafen Hamburg zu sehen
Schacht St. Pauli: Herstellung der Sohlendichtung und
Ansicht der Tunnelmündungen
Schacht St. Pauli: Herstellung der Sohlendichtung und
Ansicht der Tunnelmündungen
Aushub des Erdkernes beim Schacht St. Pauli
Aushub des Erdkernes beim Schacht St. Pauli
Arbeiter beim Vernieten der Ringsegmente im Tunnel
Arbeiter beim Vernieten der Ringsegmente im Tunnel
Schacht Steinwerder mit einem Holzturm.
Schacht Steinwerder mit einem Holzturm.
Schacht Steinwerder: Inspektion der Arbeiten
Schacht Steinwerder: Inspektion der Arbeiten
Schacht Steinwerder: Montage der Senkkastenschneide
Schacht Steinwerder: Montage der Senkkastenschneide
Schacht Steinwerder: Einschalung des Fahrschachtes
Schacht Steinwerder: Einschalung des Fahrschachtes
Schacht Steinwerder: Etwa einen Monat nach Baubeginn 1907.
Schacht Steinwerder: Etwa einen Monat nach Baubeginn 1907.
Gießen der Bleidichtungen am Stoß
der Ringsegmente
Gießen der Bleidichtungen am Stoß
der Ringsegmente
Bau Alter Elbtunnel: Blick in die Sanitätsschleuse
Bau Alter Elbtunnel: Blick in die Sanitätsschleuse
Am 22. Juli 1907 ist es so weit: Das Abenteuer Elbtunnelbau beginnt. Zuerst werden in Steinwerder und dann auf der anderen Seite im Stadtteil St. Pauli die Gruben ausgehoben, auf denen später die beiden Schachtgebäude mit den Aufzügen und Treppenhäusern entstehen. 24 Meter geht’s vertikal in die Tiefe. Von da an buddeln sich die rund 4000 Arbeiter – darunter viele Bergleute aus Schlesien und dem Ruhrgebiet – horizontal weiter.
Hydraulisch angetriebener Bohrschild frisst sich 426,5 Meter unter der Elbe durch
Gearbeitet wird im sogenannten Schildvortriebsverfahren. Ein hydraulisch angetriebener Bohrschild frisst sich 426,5 Meter durchs Erdreich. Damit die Tunnelwand nicht in sich zusammenfällt, stützen die Arbeiter sie mit so genannten Tübbings aus Eisen – das sind Segmente, die zusammengesetzt einen Ring ergeben. So geht es Meter um Meter voran.
Die Arbeit im Tunnel ist unvorstellbar hart. Ständig besteht die Gefahr, dass Elbwasser einbricht, denn zwischen dem Grund des Flusses und der Röhre befinden sich nur wenige Meter Schlick und Kies. Deshalb müssen die Männer unter extremem Überdruck arbeiten. Die Folge: 700 erkranken an der Taucherkrankheit, davon 74 schwer. Drei sterben.
Der Überdruck ist auch verantwortlich für den spektakulären Unfall, der sich am 24. Juni 1909 ereignet: Die Arbeiter kommen dem Grund des Flusses sehr nahe – zu nahe. Der Druck im Inneren ist größer als der Gegendruck von außen, sodass die Tunneldecke regelrecht aufgesprengt wird. Eine sechs Meter hohe Fontäne schießt über der Elbe in den Himmel. Wie durch ein Wunder stirbt niemand: Die Arbeiter bringen sich in letzter Sekunde hinter der Druckschleuse in Sicherheit.
Anfangs nutzten 20 Millionen Menschen jährlich den Alten Elbtunnel
Am 7. September 1911 wird der Elbtunnel für den Fußgängerverkehr freigegeben, am 30. November 1911 auch für den Fuhrverkehr. Feierlichkeiten zur Eröffnung gibt es nicht. Ein Polizist pustet in seine Pfeife – das Zeichen, dass es losgehen kann.
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Vier Jahre haben die Bauarbeiten gedauert: 10,7 Millionen Goldmark hat es gekostet, die Stadtteile Steinwerder und St. Pauli miteinander zu verbinden. Eine gute Investition, denn anfangs sind es jährlich 20 Millionen Menschen und Fahrzeuge, die auf diesem Weg die Elbe unterqueren.
Die Automatisierung des Stückgutumschlags durch Container und das Werftensterben führten dazu, dass in den 1970er und 1980er Jahren der Tunnel an Bedeutung verlor. 1974 wurde außerdem der Neue Elbtunnel eröffnet. Durch den touristischen Ausbau und das wachsende Angebot von Freizeiteinrichtungen im südseitigen Hafengebiet stiegen die Nutzungszahlen wieder.
Seit 2019 ist der Alte Elbtunnel für Kraftfahrzeuge gesperrt
Im Jahr 2008 wurden rund 300.000 Kraftfahrzeuge, 63.000 Radfahrer und 700.000 Fußgänger gezählt. Zehn Jahre später hatte sich die Nutzung deutlich verändert. Nur noch 42.000 Autos pro Jahr (im Durchschnitt 115 pro Tag) wurden gezählt, dafür aber 300.000 Radfahrer und mehr als eine Million Fußgänger.
Am 3. Juni 2019 begann die Sanierung der Weströhre. Parallel dazu wurde die wiedereröffnete Oströhre aus betrieblichen und baustellenbedingten Gründen für Kraftfahrzeuge bis auf weiteres gesperrt.
Neue Bilder vom Alten Elbtunnel! Unglaublicher Fund am anderen Ende Deutschlands wurde gefunden bei mopo.de