Aushängeschild Tissier kann sich Abschied aus Hamburg vorstellen

Aushängeschild Tissier kann sich Abschied aus Hamburg vorstellen

Es gibt diese Momente immer noch, in denen er sich kneifen muss, gerade wenn mal wieder eines der absoluten Highlight-Spiele ansteht, die er vor einem halben Leben als Fan in Kinderschuhen live miterlebt hat und sich aufs Parkett der riesigen Halle im Hamburger Volkspark träumte, einen klebrigen Ball in der Hand, mittendrin in einem Spiel der stärksten Liga der Welt, Tausende Fans auf den Tribünen. Das ist mittlerweile sein echtes Leben. Sein Beruf. Sein Alltag. Aber niemals Normalität. Auch im dritten Bundesliga-Jahr empfindet Leif Tissier es als Privileg, Woche für Woche für den Handball Sport Verein Hamburg auf Punktejagd zu gehen, den Klub seiner Heimatstadt, zu Hause. Als einer der wichtigsten Spieler und Aushängeschilder.

Seine Karriere ist eine besondere Erfolgsstory, eng verknüpft mit der Aufstiegsgeschichte des Vereins. Die Bande sind stark. Gerade erst hat der Spielmacher seinen Vertrag verlängert, und doch werden die Verlockungen größer. In der MOPO spricht Tissier über seinen Weg, Zweifel, Ziele, Träume, den Wert des Gewohnten – und die Lust auf etwas Neues.

Zu diesem Zeitpunkt hat der HSVH fünf Siege in Serie gefeiert, damit einen Vereinsrekord aufgestellt. Das nächste Spiel steht bevor und es ist mal wieder „einer der Momente, in denen ich denke: Boah, krass, ich spiele wirklich in der Bundesliga gegen den THW Kiel“, sagt Tissier und lacht. An diesem Freitag empfangen die Hamburger nämlich den Rekordmeister in der Barclays Arena (20 Uhr). Es ist das sechste Duell seit dem Aufstieg des HSVH in die Bundesliga, aber nach wie vor etwas Besonderes – gerade für ihn.

HSV-Hamburg-Juwel Leif Tissier hatte nie einen Plan

Sein Weg nach oben war alles andere als vorgezeichnet und noch zu Zweitligazeiten des HSVH wusste Tissier nicht, ob er wirklich Handball-Profi werden kann – und überhaupt will. „Ich hatte nie einen Karriereplan“, sagt der Rückraumspieler. „Ich war in keinem Nachwuchsleistungszentrum, nicht auf der Sportschule. Ich war in der Jugend auch nie der Beste oder Überflieger. Dass ich es so weit schaffen würde, war nicht wirklich absehbar.“

Sein Weg beim HSVH: B-Jugend, A-Jugend-Bundesliga, mit 17 Jahren zur ersten Mannschaft, die in der 3. Liga spielte, Aufstieg in die 2. Liga, dann in die Bundesliga. Immer auch von Zweifeln begleitet, ob er es in der nächsthöheren Spielklasse packen würde, ganz besonders vor der Premierensaison in der Bundesliga. Zu klein, zu schmächtig, nicht wurfgewaltig genug, hieß es über den 1,83 Meter großen Rechtshänder. „Ich habe bewiesen, dass ich es kann.“ Tissier, der in Trainer Torsten Jansen immer einen großen Förderer hatte und hat, ist mit den Aufgaben und mit seinem Klub gewachsen, spricht aber auch von „vielen glücklichen Fügungen“.

Die Anfänge: Leif Tissier im Alter von sechs Jahren bei einem Spiel des TV Gut Heil Billstedt.
Privat.

Die Anfänge: Leif Tissier im Alter von sechs Jahren bei einem Spiel des TV Gut Heil Billstedt.

Überglücklich ist er, wie es für ihn gelaufen ist. „Die letzten fünf Jahre ging es quasi nur bergauf“, sagt er. Tissier ist auch in der Bundesliga Leistungsträger seines Teams, hat sich in der stärksten Liga der Welt etabliert und einen Namen gemacht, viel Lob von Handball-Größen wie Stefan Kretzschmar eingeheimst. Der Rechtshänder ist trotz seines jungen Alters Co-Kapitän seiner Mannschaft („eine wahnsinnig große Ehre“), ein Aushängeschild seines Vereins, Poster-Boy der Vereinsphilosophie, auch auf den eigenen Nachwuchs zu bauen.

Leif Tissier lebt in Hamburg mit Freundin Ann-Cathrin

„Ich weiß das extrem zu schätzen“, sagt Tissier. „Ich darf hier ein echt privilegiertes Leben leben.“ In der Heimatstadt hochklassig Handball spielen, in der Nähe der Familie, der Freunde. In Lurup, unweit der Trainingshalle des HSVH im Volkspark, wohnt er mit seiner langjährigen Freundin Ann-Cathrin, die als Lehrerin arbeitet, und zwei Katzen in einer Wohnung. Ganz normal. Gemütlich, „relativ langweilig“, sagt Tissier und lacht. Er fühlt sich pudelwohl. Die Lebensumstände sind eine Komfortzone und Kraftquelle. Ohne dieses Umfeld, sagt Tissier, wäre er nicht der Handballer geworden, der er heute ist.

Seine starken Leistungen und weiteres Potenzial wecken schon länger Begehrlichkeiten. Immer wieder hat es in den vergangenen Jahren Anfragen und auch Angebote gegeben, aber nie war es so ernst wie im Winter, als Liga-Konkurrent FrischAuf Göppingen lockte. „Das war sehr konkret“, berichtet Tissier. „Der Dezember und Januar waren eine sehr schwierige Zeit. Ich habe lange überlegt.“ Und dann doch seinen auslaufenden Vertrag beim HSVH um ein Jahr bis 2025 verlängert. „Ich habe jetzt noch mal ein Jahr Zeit, um die Situation in Ruhe zu bewerten und mir Gedanken zu machen.“ Es geht auch um die Perspektiven des Vereins.


MOPO

Dieser Text stammt aus der neuen WochenMOPO – jetzt jeden Freitag am Kiosk!
Diese Woche u.a. mit diesen Themen:
Tschentscher im Interview: Was er zum Verkehrs-Chaos sagt
Crack: Die Droge, die den Hauptbahnhof ins Elend stürzt
Hamburger Top-Köche: Das sind ihre Lieblingsimbisse
20 Seiten Sport: HSV-Coach Baumgart und St. Paulis Hauke Wahl im Interview
28 Seiten Plan7: Die besten Tipps für jeden Tag der Woche

Auf seine weiteren Karriereziele angesprochen, entgegnet Tissier: „Puh, gute Frage. Schwer zu sagen.“ Er überlegt. „Ich würde gerne mal europäisch spielen. Mal in der Nationalmannschaft spielen. Das sind Träume – aber keine konkreten Ziele oder Pläne, weil man das nur bedingt beeinflussen kann.“

Parallel zum Handball studiert Leif Tissier derzeit BWL

Wie er spielt, dagegen schon. „Ich will besser werden, mich weiterentwickeln – auf der Platte, aber auch abseits, als Mensch“, sagt Tissier, der neben seiner Sportlerkarriere BWL studiert und 2025 seine Masterarbeit schreiben möchte. Für das Leben nach dem Handball, aber auch als Ausgleich. „Es ist wichtig, auch was anderes im Kopf zu haben als Handball. Das tut mir gut. Ich brauche das.“

Braucht er, der Hamburger Jung, auch mal was Neues? Eine Luftveränderung? Vor zwei, drei Jahren nicht denkbar, mittlerweile schon. Die Kaderveränderungen beim HSV Hamburg, die nötig, aber für ihn persönlich durchaus „schmerzhaft“ waren, weil einige enge Freunde den Klub verlassen mussten, haben ihn einerseits noch mehr zum Profi und Realisten gemacht, man kann sagen: abgehärtet, aber auch bereichert.

Tissier könnte sich Abgang vom HSV Hamburg vorstellen

„So traurig das war: Im Nachhinein schätze ich es auch als Privileg, dadurch neue Menschen kennenzulernen, neue Freunde zu finden. Das öffnet den Horizont.“ Besonders die Gespräche mit den ausländischen Mitspielern. „Ich lebe ja schon immer hier, aber die sind aus einem anderen Land gekommen, haben teilweise alles hinter sich gelassen, nur um hier Handball zu spielen, lernen etwas völlig Neues kennen, führen ein neues Leben“, sagt Tissier. „Vielleicht will ich diese Erfahrung auch mal machen.“

Das sind neue Töne des heimatverbundenen Handballers, der weiß: „Hier werde ich immer das Eigengewächs sein.“ Mit allen Vor- und auch Nachteilen.

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Was seine Zukunft über 2025 hinaus angeht, will Tissier offen sein. Die Neugierde und Lebenslust eines jungen Menschen ist spürbar. „Ich habe mit meiner Freundin vereinbart, dass wir mal woanders leben wollen“, verrät er. „Vielleicht in zwei, in fünf oder zehn Jahren“, sagt Tissier. „Vielleicht wird aber auch nichts draus. Wer weiß? Ich lasse das alles auf mich zukommen.“ Wie immer. Das hat ihn schon verdammt weit gebracht.

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