Auf den Barrikaden hinter den Kulissen

Auf den Barrikaden hinter den Kulissen

Sie ist einer der stabilen Pfeiler, auf denen diese Zeitung ruht. Eine Insel in der Brandung der Bukarester Redaktion. Zwischen Post, Druckerei, Buchhaltung und Gesprächen mit den Abokunden jongliert sie versiert hin und her. Steigt, wenn es sein muss, auch mal energisch auf die Barrikaden – und hat schon so manchen Kampf  gewonnen. Eine Frau, die immer Rat weiß und Lösungen sucht statt Probleme. Diesen Februar jährten sich für Mimi Enache 30 Jahre im Dienst der ADZ! – Zeit, sie auch für jene, die sie noch nicht persönlich kennen, hinter den Kulissen hervorzuholen.

Mimi Enache ist unsere Buchhalterin. Doch man trifft sie auch auf jedem Sachsentreffen: am ADZ-Stand, zusammen mit Ehemann Constantin und den als Freiwillige eingespannten Kindern, Tochter Cristina und Vlad, dem Schwiegersohn in spe. Lachend und scherzend, wie es ihre Art ist, werden Zeitungen und Jahrbücher verteilt. Vielen Abo-Kunden, auch aus Deutschland, steht sie endlich mal persönlich gegenüber, begrüßt sie wie alte Bekannte: „Ihren Namen kenn ich doch seit Jahren!“ Ähnlich erging es ihr, als sie kürzlich bei der 30-Jahrfeier der Banater Zeitung in Temeswar war. Die langjährigen Telefonkontakte – Abo-Verlängerungen, Beschwerden über die Post, Bücherbestellungen – bekamen endlich Gesichter. Viele Leser kamen freudig auf sie zu, als sie hörten, dass Mimi Enache anwesend war.

Auch dieses Jahr will sie beim Sachsentreffen in Hermannstadt/Sibiu wieder mit dabei sein. „Bis dahin wieder fit zu sein, ist mein erklärtes Ziel“, nimmt sie sich fest vor. Denn gleich nach der 75-Jahrfeier der ADZ, die sie noch organisiert hat, steht ihr eine zweite schwere Knie-OP ins Haus. Letztes Jahr, nach der ersten, war sie trotz künstlichem Knie bis dahin wieder auf den Beinen. 

Aber auch den Urlaub verbringt Familie Enache häufig in Siebenbürgen. Woher diese Liebe? Und woher ihre Affinität zu den sogenannten „deutschen Tugenden“: Pünktlichkeit, Zuverlässigkeit, Fleiß, die sie in ihren ersten Jahren beim „Neuen Weg“ sofort als ihre eigenen Prinzipien erkannt hat? „Das gefiel mir einfach, so war ich schon immer, das wollte ich bewusst kultivieren“, motiviert die Rumänin. 

Autodikdaktin aus Leidenschaft

Ihr Weg zum Neuen Weg, zur ADZ, beginnt wenige Kilometer nördlich von der Hauptstadt. „In Peri{, da hat es die Mama erwischt“, sagt sie lachend. Aus Periș stammt der Vater, die Mutter ist Oltenierin. Die Eltern arbeiteten in Schlüsselbereichen des damaligen Kommunismus, die Mutter in der staatlichen Hühnerfarm „Avicola“, der Vater auf dem landwirtschaftlichen Betrieb „Domeniul Scroviștea“, wo in Glashäusern Gemüse angebaut, Fischzucht und Weinbau betrieben wurden – „da spazierte der Ceaușescu mit seiner Elena durch den Weingarten und sie pflückte die üppig herunterhängenden Trauben, Sorte Hamburg“. Familie Enache hatte ihr Auskommen, denn „wer arbeitsam war und keine Politik betrieb, dem ging es trotz Kommunismus gut“. 

Nach dem Lyzeum mit Profil Biologie will Mimi studieren, doch als „decrețel“ hat sie auf der Wirtschaftsfakultät, der Bukarester ASE, keine Chance: 15 Bewerber kämpften um einen Platz. So nahm sie eine Stelle in einem Labor zur Tabakforschung an. „Da saß ich vor einer Maschine, tat 40 Zigaretten rein, dann drehte sie sich und rauchte und im Röhrchen sammelten sich ganz schwarz Nikotin und Teer.“ Doch nicht die Forschung begeisterte das junge Mädchen, sondern schon damals die Buchhaltung. Oft besuchte sie diese Abteilung nach ihrer Arbeit, um unentgeltlich ein wenig auszuhelfen – und zu lernen. Bei der nächsten Stelle bewarb sie sich gleich für die Buchhaltung. Nebenbei besuchte sie aus Eigeninitiative Kurse, um ihre Leidenschaft zu perfektionieren. Als schließlich bei der „Presa Națională“ eine Buchhalterstelle ausgeschrieben wurde, hatte sie den Mut, sich zu bewerben. So kam sie 1989 ins Pressehaus auf der Piața Scânteia. „1991 haben sie mich dann in die Gehaltsabteilung transferiert, wo ich bis 1994 die Gehälter der Minderheitenpresse berechnet habe“. So kam sie mit der Redaktion des „Neuen Weg“ in Berührung. „Ich kannte den Direktor Hans Frank, den Chefredakteur, Emmerich Reichrath, die Namen der Redakteure – Hans Liebhardt, Weltmeister in bezahlten Überstunden…“. Und als die Zeitung sich 1994 von der „Presa Națională“ abnabelte und eine SRL gründete – weil sie auch nach der Wende noch Gelder vom Staat zugewiesen bekam, aber am Zahltag nie welches übrig war, wie sie sich erinnert –, wurde sie übernommen. 

Spagat zwischen Job und Kind

In all der Zeit hat Mimi Enache neben dem Job aus Eigeninitiative Kurse absolviert – Buchhaltung, Computer, Recht. „An den Wochenenden, oder ich hab Urlaub genommen, und alles selbst bezahlt.“ Als es auf diese Weise nichts Neues mehr zu lernen gab, schrieb sie sich in der Uni ein und holte ihr verpasstes Studium  nach. „Mit Unterricht nur am Wochenende, denn ich hatte ein zweijähriges Kind. Aber das war mein Ehrgeiz, so war ich schon immer.“ 

Es sollte sich lohnen: Denn machdem der Chefbuchhalter des Neuen Weg weggegangen war, hatte die Zeitung eine externe Firma mit der Buchhaltung beauftragt, „und als ich nach dem Mutterschaftsurlaub zurückkam, hat mir gar nicht gefallen, was ich dort vorgefunden habe. Da habe ich zu Herrn Frank gesagt: Ich beende mein Studium – und dann möchte ich den Chefbuchhalterposten haben. – Und so kam es!“

Doch der Weg zum Traumjob war nicht leicht. Vier Jahre lang lernen, an Wochenenden, unbezahlten Urlaub nehmen. „Meiner Tochter hab ich Spielzeug und Essen bereitgelegt und gesagt, du kommst nur zu Mami, wenn du wirklich etwas brauchst!“ Mit drei kam die Kleine dann in den Kindergarten mit verlängertem Programm. „Ich hab ihr Saft und Bonbons mitgegeben für die anderen Kinder und bin arbeiten gegangen. Aber um vier Uhr musste ich sie abholen – und die erste an der Tür sein.“ Das hatte die Kleine im Gegenzug dafür, brav zu sein und nicht zu weinen, eingefordert. Der Chef hatte Verständnis und ließ Mimi vor Dienstschluss gehen, sofern die Arbeit erledigt war.

Das nächste Problem: Das Kind aß nichts im Kindergarten, obwohl sie eine gute Küche hatten. „Die Erzieherin sagte mir, Cristina sei lieb und sozial, aber sie rührt das Essen nicht an.“ Da half nur eine Notlüge: „Wieso isst du nicht, fragte ich sie – weißt du denn nicht, dass ich in der Küche bin und koche?“ „Wieso seh ich dich dann nie beim Servieren?“ kam es prompt zurück. „Weil ich nicht rauskommen darf“, kontert die Mutter. „Aber ich bin da drin und koche!“ Der Trick hatte Erfolg. „Im ersten Jahr sagte sie, na gut, dann esse ich, aber nur das Hauptgericht. Im nächsten Jahr aß sie auch die Suppe. Und im vierten Jahr hat sie alles gegessen und immer noch geglaubt, ich koche!“, amüsiert sich die Mutter.

Nachdem das Forum die ADZ 2008 übernommen hatte, kamen gelegentlich auch Dienstreisen dazu: „Sitzungen, Organisatorisches in Hermannstadt – mein Kind war ja nun nicht mehr ganz klein. Aber mitbringen musste ich unbedingt etwas von jeder Reise!“ Oft huschte sie im letzten Moment in eine Tankstelle. „Ein Plüschtier, ein Äffchen, irgendwas – einmal war es ein Pudel. Und Cristina weiß bis heute, von welcher Reise das stammt, sie hat genau Buch geführt!“

Die ganze Familie im Einsatz

„Dann kam der Moment, wo wir erstmals zum Sachsentreffen gefahren sind: 2014, da war mein Mann noch nicht bei der ADZ, hat aber oft ausgeholfen, weil wir damals schon Probleme mit dem Fahrer hatten“, erinnert sich Mimi. Zuhause erzählten dann beide begeistert. Und als sie im Urlaub in Baaßen/Bazna von einer Sachsenfamilie erkannt und angesprochen wurden, fragte die Tochter: Warum nehmt ihr mich eigentlich nie mit? „Da war sie 17 oder 18, Schülerin. Und als sie später auf der Uni ihren Freund kennenlernte, sagte dieser eines Tages: Ich hör immer wieder, ihr fahrt zu den Sachsen – wieso nehmt ihr mich nicht auch mal mit? So ist es ein Familienbrauch geworden. Mit dem Sachsentreffen schließen wir jedes Jahr unsere Urlaubssaison ab.“

„Ich hab meinen Mann schon immer ausgebeutet“, lacht Mimi Enache und verweist auf den Umzug der ADZ vom Pressehaus in die Strada Dumitrache. Kisten mit Büchern schleppen, Büros entrümpeln, Schreibtische entsorgen. Für das neue Gebäude Möbel, Fliesen, Armaturen aussuchen… Seine Anstellung bei der ADZ hat sich dann regelrecht erzwungen. Das neue Redaktionsgebäude, vom Forum übernommen, brauchte einen Verwalter – und die ADZ einen Fahrer, denn mit der Verteilung der Zeitung hatten sich die Probleme zugespitzt. „Wir hatten einen Chauffeur, den Osman, und es häuften sich die Reklamationen, dass die Zeitung nicht pünktlich kommt. Da hab ich Polizei gespielt – und herausgefunden, der hatte noch einen anderen Job.“ Mal holte er die Zeitung zu spät aus der Druckerei, mal schickte er jemanden anderen, und die ADZ hat den am selben Tag erforderlichen Weitertransport verpasst. 

„Wo ist die Zeitung?“

„Ich hab in der Zeitung schon alles gemacht“, erinnert sich Mimi Enache. Ursachenforschung, wenn die Zeitung verspätete. Reklamationen bei der Post, die sich neuerdings wieder häufen. „Gut, dass wir noch treue Abonnenten haben, die uns lieben und ohne Zeitung nicht sein wollen. In der Pandemie hat mir jemand gesagt: Dass Sie die Zeitung bloß nicht aufgeben! Ich lese sie von der ersten bis zur letzten Seite, danach liest sie mein Mann und dann putze ich damit die Fenster.“ Mimi lacht. „Oft passieren so lustige Dinge. Ich hab einige, mit denen plaudere ich seit Jahren – und als ich unlängst in Temeswar, hab ich sie persönlich getroffen, das war schön: Frau Heidrun Henresz, ihr hab ich damals das Rentenpaket gemacht, heute wohnt sie dort im Altersheim. Helen Alba. Frau Cobilanschi hab ich noch kennengelernt, Gott hab sie selig…“

Sie erinnert sich an eine Zeit, als die Auflage von damals rund 60.000 Exemplaren des Neuen Wegs täglich pünktlich mit dem Zug verteilt wurde. Doch dann wurde der Kurierdienst „CFR Mesagerie“ aufgelöst. „Das war ein Problem für alle Zeitungen, nicht nur für uns!“ Die Verteilung übernahm Rodipet – und weil die ADZ mit Autos ausgefahren wurde, kam sie oft nicht mehr pünktlich. „Wo ist die Zeitung?“ hieß es immer öfter.

Die Kunden abonnierten direkt bei Rodipet, doch die Vertriebsfirma gab das Geld irgendwann nicht mehr weiter. Sie habe täglich Druck gemacht, angerufen, sei hingegangen,meist vergeblich, erinnert sich Mimi Enache. Manchmal zahlte man Kleinbeträge, doch die geschuldete Gesamtsumme war zu groß. Schließlich beauftragte sie eine Geldeintreiberfirma – „die erste die es in Rumänien gab. Wir mussten Kommission an diese Eintreiber zahlen – aber nur so konnten wir überhaupt weitermachen!“ Das sei etwa 1999 oder 2000 gewesen – „für mich ein Riesenerfolg!“ Viele andere Zeitungen sind damals Pleite gegangen.

2004 wurde schließlich der Vertrag mit der Post gemacht – und dann hat das Problem erst richtig begonnen: tägliche Beschwerden. Die Ausreden der Briefträger: ein böser Hund, die Straße schlammig, der Pferdewagen fährt nur einmal pro Woche ins Dorf… Hausnummern wurden verwechselt, Zeitungen verschwanden, niemand wollte zuständig sein. „Eure Entschuldigungen interessieren mich nicht, ich hab einen Dachboden voll davon“, schmimpft Mimi. 

Hinzu kommt aktuell die Reorganisation bei der Post. „Eine Tragödie! Sie haben alle erfahrenen Leute versetzt – und die Neuen wissen nichts. Unlängst habe ich einem eine Mail geschrieben: Mir ist lieber, du gibst den Fehler zu und wir lösen das Problem, als dass du dich im Weichselbaum versteckst.“ Den Abonnenten hingegen verspricht sie: „Ich suche jede verlorene Zeitung mit der Kerze – bis in den hintersten Winkel des Landes!“  

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