Die „Sphinx aus Bădăcin“ und eine Geschichtsschreibung, die ihr gerecht wird

Die „Sphinx aus Bădăcin“ und eine Geschichtsschreibung, die ihr gerecht wird

Ein recht bescheiden gestalteter, aber exakt 600 Seiten schwerer Paperback zwecks Hommage an den bis heute mit Abstand berühmtesten Mann aus dem 600-Einwohner-Ort Bădăcin im Kreis Sălaj ist seit Jahresende 2023 auf dem rumänischen Markt erhältlich: „Iuliu Maniu în jurnalul lui Corneliu Coposu“ von Dan Pavel mit dem Zusatztitel „O reinterpretare a istoriei“ wurde zu Beginn des laufenden Monats in Großwardein/Oradea, Bădăcin, Sighetu Marmației und Klausenburg/Cluj-Napoca als zünftige Endstation der Buchvorstellungs-Reise lanciert, die Ion Andrei Gherasim sich als Herausgeber der brandneuen Biografie vorgenommen und zielstrebig durchgeführt hat.

 Ion Mihalache, der seinen politischen Mitstreiter Iuliu Maniu um zehn Jahre überlebte, soll ihn 1953 kurz vor dessen Tod infolge körperlicher Folter-Sitzungen in der kommunistischen Haftanstalt Sighetu Marma]iei trotz der Schimpfe eines Gefängnis-Wärters tröstend umarmt haben, erzählte Ion Andrei Gherasim als geschäftsführender Vorsitzender der Corneliu-Coposu-Stiftung und Herausgeber der aufschlussreichen Maniu-Biografie von Historiker Dan Pavel Mitte Dezember in Hermannstadt/Sibiu. Dort hat er das Buch zwar nicht präsentiert, jedoch einen Vortrag gehalten, der die gleiche Thematik der Geschichtsschreibung Rumäniens im pikanten Spannungsfeld des Aufeinandertreffens von kommunistischen und anti-kommunistischen Motivationen anschnitt (die ADZ berichtete Mittwoch, am 14. Februar). „Es sprengt Barrieren, ist kein politisch korrektes Buch“, räumte Ion Andrei Gherasim Montagabend, am 5. Februar und 71. Todestag von Iuliu Maniu, felsenfest überzeugt vor einer Kamera des Klausenburger regionalen TVR-Fernsehteams ein. „Es analysiert den Menschen, der im 20. Jahrhundert der wichtigste  Politiker Rumäniens war.“

Auch den rumänischen Faschismus der Zwischenkriegszeit, der auf dem Zenit der „Eisernen Garde“ Hochkonjunktur hatte, speist Dan Pavel selbstverständlich in seinen Knüller betreffend das Leben und die Laufbahn von Iuliu Maniu ein, dessen einflussreiche Art, Politik zu treiben, noch heute überaus kontrovers diskutiert wird. Nicht zu verkennen ist die Beharrlichkeit seines Biografen im Aufstellen und Auslegen der Hintergründe, denen Iuliu Maniu zwar ungebrochen Rechnung zu tragen bemüht war, ohne sich ihnen jedoch fügen zu wollen. Leser, deren Ansicht nach das Kontextualisieren quantitativ nicht überreizt werden sollte, dürften sich mit der Lektüre aller 600 Seiten dieser Biografie schwer tun. Wissbegierige hingegen können dem populärwissenschaftlichen Taschenbuch, das biografische und monografische Blickwinkel intrigant miteinander vernetzt, sehr viel abgewinnen.

Gemessen an den Parallelen mit dem postkommunistischen Alltag Rumäniens, den Dan Pavel nicht überraschend auch als Spielwiese linksradikal verblendeter Wähler zu deuten versteht, artikulieren sich Fragen nach dem Für und Wider des Lebens im Rumänien der Zwischenkriegszeit wie von selbst zwei- und doppeldeutig. Iuliu Maniu für seinen Teil muss gar ein Vielfaches bipolarer Drucklast gespürt haben, waren ihm doch die Geheimdienste aller großen Staaten und Kriegsländer Europas von Russland bis England auf den Fersen. Das gute alte Ehrenwort, das er selber gerne gab und seinerseits bei prominenten Gesprächspartnern suchte, vermochte der siebenbürgisch-rumänische Visionär der Großen Vereinigung von Karlsburg/Alba Iulia am 1. Dezember 1918 weder König Carol II. noch General Ion Antonescu abzuringen. Wobei der Ehrlichkeit halber eingestanden werden muss, dass auch Iuliu Maniu sich von Zeit zu Zeit politisch verkalkulierte, nachträglich aber jeweils sein Können und seine Erfahrungswerte spielen ließ, um den eigenen Fehler im Wettlauf gegen die unwirtliche Zeit auch seiner eigenen Lebenswirklichkeit wiedergutzumachen, wie Historiker Dan Pavel unterstreicht. Leider war es Iuliu Maniu nicht immer vergönnt, das Schlimmste abzuwenden. „Er wollte den Modus, in dem das Land regiert und seine Bürger behandelt worden waren, verändern“, so das Fazit des britischen Historikers Keith Hitchins, von Dan Pavel in die Biografie eingeflochten. Der in Klausenburg, Budapest und Wien studierte Rechtswissenschaftler brannte für Justiz. Verhasst war ihm Selbstjustiz.

Wo Iuliu Maniu als griechisch-katholische Ausnahmepersönlichkeit der „Siebenbürgischen Schule“ einer gewissen Erinnerungs-Kultur zum Trotz, die faschistischen Auswüchse der Zwischenkriegszeit und den Kommunismus nachträglich schönreden zu wollen, in die Historie Rumäniens eingegangen ist, nimmt es nicht wunder, dass Herausgeber Ion Andrei Gherasim und Autor Dan Pavel das neue Buch über die „Sphinx aus Bădăcin“ nicht nur, aber auch just dort vorgestellt haben. Das schließende Podium in einem Hörsaal der Zentralen Universitätsbibliothek am Klausenburger Lucian-Blaga-Platz teilten sie sich mit Bibliotheksdirektor Valentin Orga, Claudiu Lucian Pop, dem griechisch-katholischen Bischof für Klausenburg und Gherla, und Cornel Jurju, dem Vorsitzenden des Städtischen Vereins der Monarchie-Verehrer. Letzterer ließ es sich vor der TVR-Fernsehkamera nicht nehmen, auf einen Geniestreich von Deserteur Iuliu Maniu hinzuweisen, der Sommer 1918 im Alter von bereits 45 Jahren von Wien aus die Heerestruppen der rumänischen Soldaten Transsylvaniens in Stellung brachte, der Tschechoslowakei aushalf, ihre Unabhängigkeit gegenüber Russland zu erzwingen, sowie 55 Tage lang die öffentliche Ordnung in der von einem Polizeistreik belegten Hauptstadt Österreichs wiederherstellte und sicherte. In anti-kommunistischen Kreisen will man gewusst haben, dass Iuliu Maniu durch diesen Schachzug Wien nicht nur vor dem Versinken in ein anarchisches Chaos, sondern auch vor der Gefährdung durch die Bolschewiken bewahrt habe. Und als persönlicher Sekretär von Corneliu Coposu (1914-1995), dem ergebenen und einzigen Schüler von Iuliu Maniu (1873-1953), steht auch Ion Andrei Gherasim in der wohl ehrbarsten aller politischen Traditionen Rumäniens. Das Buch von Dan Pavel, vom reichhaltigen Tagebuch von Corneliu Coposu ausgehend, hat es schlüssig in sich, liegt beim Verlag der Stiftung „Academia Civică“ auf und steht für zweistellig kleinen Preis unter der Rubrik „Cărți“ der Homepage memorialsighet.ro zum Verkauf bereit. Das beste, was ihm geschehen könnte? So viele Neuauflagen wie nur zu erträumen im kriselnden, aber noch nicht ausverkauften Rumänien!

Leave a Reply

Your email address will not be published. Required fields are marked *