Ein Manifest für den Naturschutz

Ein Manifest für den Naturschutz

Wie kommt man dazu, als Literaturwissenschaftlerin eine Rezension über Gerald Klamers neues Buch „Durchs wilde Herz der Karpaten“ zu schreiben? Erschienen im Januar dieses Jahres bei Malik ist das gut 250 Seiten dicke Buch nämlich eher ein Wanderbericht und -führer, ein Manifest für den Wald- und Naturschutz im Allgemeinen, ein Naturkundebuch mit zahlreichen Informationen zu Pflanzen und Tieren – als schöne Literatur, Belletristik im herkömmlichen Sinn.

Wie kommt man dazu, als Literaturwissenschaftlerin aus Berlin über Belgrad in das Banater Bergland zu ziehen, nach Rumänien, und zwar in den Teil des Landes, der so gar nicht urbanisiert und am Puls der Zeit liegt? Hier, am finalen Höhepunkt von Klamers 1000 Kilometer langen Wanderung durch die Karpaten, in den Buchenwäldern des Semenic-Gebirges, kommen wir beide an: er im „schönsten Wald Rumäniens“ und der Karpaten, und ich. Ohne Zusatz.

Klamer begeht den Karpatenbogen, besucht alle als solche ausgewiesenen europäischen Urwälder dieses Gebirgszuges. Zu Fuß, mit Rucksack und wie heute kaum noch jemand, oftmals abseits von Forst- und Wanderwegen, querwaldein, über Stock und Stein, durch unwegsame Täler klettert er über umgefallene Bäume, steigt Hänge hinauf und hinab, durch Schnee, durch Regen, immer weiter. Selten fährt er ein Stück per Anhalter, nur um die Gegend zu wechseln, nationale Grenzen zu überqueren und um wieder dorthin zu gelangen, wo er sein will: im europäischen Urwald. Den es kaum noch gibt. Deswegen ist das Buch auch so wichtig. 

Der ehemalige Förster kündigt seinen Job und wandert los. 6000 Kilometer durch den „deutschen Wald“, seine Eindrücke und Notizen sammelt er zu einem ersten Buch. Modern, unromantisch, lesenswert. Im Zweiten fasst er das nochmals kurz zusammen und beginnt nun seine Wanderung durch den Osten Europas. Erste Station ist die Slowakei, wo er noch durch tief verschneite Landschaft stapft, zunächst ohne, dann aber mit Schneeschuhen. Immer wieder trifft er Naturschützer und Waldarbeiter vor Ort, lässt sich die unberührtesten Plätze zeigen, fragt vor allem viel und erfährt (so auch die Leser), welche Waldstücke UNESCO-Welterbe sind, welche Kriterien erforderlich sind, um in diesen Katalog aufgenommen zu werden und was für Schutzmaßnahmen damit einhergehen, theoretisch zumindest. Immer wieder kommt auch die, so sollte man meinen, evidente Feststellung: der Wald ist Gold. Und wir machen ihn kaputt. Das vermag Klamer ruhig, eindringlich und eindeutig herauszuarbeiten. In jedem Satz wird die Verbundenheit des Autors zu den Giganten des Waldes deutlich, zu den Tieren, den Blumen, und sie alle tragend, umfassend, schützend – den Bäumen. 

Nach einem kurzen Abstecher über die slowakisch-polnische Grenze muss er wegen des Krieges die Ukraine auslassen und begibt sich nach Rumänien. Nicht ohne zu bemerken, dass die Waldgebiete, ebenso wie die Kulturlandschaften, sich nicht um nationale Grenzen scheren und dass große Schutzflächen auch überregional und -national nötig sind, da müsste die EU mehr machen und die Umsetzung der Richtlinien in den einzelnen Ländern viel strenger kontrollieren. 

In Rumänien folgt Klamer dem Karpatenbogen von Norden nach Südwesten. Die Leser versinken mit ihm in einer Jahrhunderte alten Landschaft, tauchen mit ein in den Wald. Klamer bemerkt, wie aus der Zeit gerissen hier alles ist, die Dörfer, die Täler, wie beneidenswert das Leben der Menschen in diesen Landschaften verläuft. Die teils „bedrohliche düstere Stimmung“ der nebeligen Fichtenwälder der Ostkarpaten, schreibt er, würde gut in einen Dracula-Film passen… Ob der Autor bewusst gerade hier, nahe der Bicaz-Schlucht, auf den Roman von Stoker verweist? 

Klamers Hauptinteresse gilt aber den kolossalen Buchen, nach denen auch diese Region des Landes, Bukowina – Buchenland, benannt wurde. Auch diese Landschaft reicht weit hinein in die Ukraine. Eindrücklich erklärt er, wie wichtig der Wald für die Speicherung von CO2 und den Klimaschutz ist. Er, der Förster, räumt gründlich auf mit Diskursen über die Notwendigkeit des menschlichen Eingriffs in den Wald, seine Bewirtschaftung, auch als Folge von Naturkatastrophen wie Windstürzen oder Borkenkäferbefall. Der Wald ist schon immer alleine klar gekommen und könnte das auch jetzt. Den Menschen braucht er nicht, wohl aber umgekehrt. Und von der Jagd… hält er gar nichts. Richtig so. 

Weiter geht es von Kronstadt/Bra{ov in die hohen Südkarpaten. Von seinen Gesprächspartnern erfährt er einiges über die Kulturlandschaft der Siebenbürger Sachsen und deren Jahrhunderte alte Huteweiden. Vom Königstein wandert er in das Fogarasch-Gebirge durch schier unendlich lange und tiefe Täler, erhabene Landschaften, majestätisch schön und doch immer wieder zerfurcht und vernarbt durch illegale Kahlschläge. So hinterlässt das Buch auch einen bitteren Beigeschmack. 

Die Conclusio ist dann auch eine, die zu erahnen war: die Korruption in Rumänien und finanzielle Interessen lassen den Urwaldschutz in den Hintergrund treten. Und das besonders, weil der staatliche Forstbetrieb Romsilva die Urwälder verwaltet, der Wolf ist sozusagen Hirte. Das kann nicht klappen… Just schweife ich ab und werde an die Recorder-Doku über den korrupten rumänischen Politiker und Forstbezirksleiter Ion Tabugan erinnert, „Politicul {i mafia p²durilor“, und ich kriege einen dicken Hals… Da muss auch die Zivilgesellschaft aktiver und radikaler werden und denen das Leben schwerer machen…

Aber zurück zu Klamer. Jenseits des Engagements, der Erklärungen und auch der Anklage bietet seine Wanderung einfach wunderschöne Momente und Bilder. Zahlreiche Begegnungen mit Tieren und Pflanzen haben eine fast lyrische Dimension. Oder ist es die Germanistin in mir, die mich beim Lesen von Blumennamen wie Seidelbast aufhorchen und an die Gedichte Celans denken lässt?

Sind Haselnusskätzchen und Bärlappe, Märzbecher und Lungenkraut nicht mehr als nur Blumen? Ein Bilderreservoir im Urwald, in dem Wertvolles gespeichert liegt, Potenzielles, unerschöpflich schöpferisch zu Schöpfendes?  Schreibt deshalb eine Germanistin über Gerald Klamer? 

Oder doch wegen des Waldes im Banater Bergland? Von Lindenfeld über Wolfsberg gelangt der Autor schließlich mit einem Weggefährten in das Plateau der Semenic-Berge. Sie durchforsten das 4677 Hektar große Weltnaturerbe-Areal der Nera-Quellen innerhalb des Nationalparks Semenic-Cheile Cara{ului; „das größte geschlossene Urwaldgebiet der EU außerhalb Skandinaviens!“ Klamers Urteil ist eindeutig: „…für mich ohne Zweifel der schönste Buchenwald, den ich je gesehen habe!“ Da gibt es nichts mehr hinzuzufügen…

PS. Was mir an dem Buch nicht gefällt: der Titel, eine „megasteile“ Stelle in der Criva-Schlucht und die stete Angst des Autors vor rumänischen Hirtenhunden, die ich zwar teile, der ich aber im Buch weniger Platz einräumen würde. 

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