„Musik lebt davon, zu reisen“

„Musik lebt davon, zu reisen“

Zoë Aqua (*1990) ist eine US-amerikanische Violinistin mit dem Fokus auf Klezmer-Musik. Sie ist Mitbegründerin der Bands „farnakht” und „tsibele”. Nach einer langjährigen Tätigkeit als Musik- und Grundschullehrerin in New York und Dozentin auf zahlreichen Festivals wie dem Yiddish Summer Weimar, Friling Tage oder KlezKanada, ist sie 2021 mit einem Fulbright-Stipendium für zwei Jahre nach Klausenburg/Cluj gekommen, um traditionell-siebenbürgische Musik zu erforschen. Mittlerweile hat sie ihr erstes Solo-Album „In Vald Arayn” herausgebracht und arbeitet an neuen Kompositionen. Mit ihr sprach Dirk Hornschuch.

Zoë, vielen Dank für das Gespräch. Du hast Dich eingangs schon als Klezmer-Musikerin beschrieben. Diese Musikrichtung ist traditionell stark mit Osteuropa verknüpft, wie bist du also dazu gekommen, dich speziell für die siebenbürgische Musiktradition zu interessieren?

So richtig begann das 2018, als ich im Sommer in Europa war und mein Kollege Mattias Kaufmann mir vorgeschlagen hatte, einen Trip nach Siebenbürgen zu unternehmen. Wir waren zuerst im Camp Métatábor in Ungarn, was sich speziell dem Spielen von traditionellen Melodien auf Streichinstrumenten widmet, und später beim Tanzlager in Sâncraiu bei Huedin. Ich hatte mir vorgenommen, kein Klezmer zu spielen und über die Tradition vor Ort so viel zu lernen wie ich konnte.

Mich hat die Art und Weise fasziniert, wie die Bratsche gespielt und modifiziert wird: In Siebenbürgen hat sie eine flache Brücke. Es gibt oftmals nur drei Saiten anstatt vier, weshalb man nur Akkorde spielen kann. Der Klang ist dadurch einfach ganz anders.

Und dann haben wir bei den Camps jeden Abend am Lagerfeuer oder in der Kneipe zusammen gesessen, Musik gespielt, getanzt und auch Palinka getrunken, was ich vorher nicht kannte…

Wie bist du schließlich nach Klausenburg gekommen?

Ich wusste, dass ich die hiesige Musiktradition, insbesondere die der Streichinstrumente, tiefer kennen lernen will und dass ich dafür nach Siebenbürgen gehen musste. Als 2020 die Pandemie kam und ich meinen Job als Musiklehrerin in New York verloren hatte, musste ich gar nicht lange überlegen, um mich für ein Fulbright-Stipendium zu bewerben. Klausenburg war mir schon früher aufgefallen: Im Sommer 2019 war ich mit dem Musiker Bob Cohen und anderen Kollegen in Siebenbürgen unterwegs gewesen und wir hatten die unterschiedlichsten Musiker besucht. Unser letzter Stopp war Klausenburg und Bob meinte zu mir, dass die Stadt ein guter Ausgangspunkt für ein Fulbright-Forschungsstipendium wäre. Ich bin sehr froh, dass ich diesen Tipp damals von ihm bekommen habe, es war toll, für zwei Jahre dort leben zu können.

Während deines Aufenthalts in Klausenburg bist du viel unterwegs gewesen und gereist. Wie genau hast du das angestellt?

Ich bin 2021 nach Klausenburg gekommen, als die Pandemie noch im Gange war, und hatte auf meinen bisherigen Reisen und bei den Musik-Camps einige Musiker kennengelernt, die ich dann besuchte: Die älteren Musiker auf den Dörfern, die oft als „Primas“ die Band leiten, waren sehr gastfreundlich und haben sich gefreut, ihr Wissen und ihre Geschichten an mich weiterzugeben. Das hat mir vieles sehr erleichtert. Oft bin ich für einige Stunden zu Besuch gewesen. Ich konnte mir nach einiger Zeit ein Auto besorgen und bin also viel auf den Dörfern herumgefahren. Was mir vor allem am Anfang sehr geholfen hat, war, dass mich Freunde und Kollegen begleitet haben.

Komischerweise hatte ich zu Beginn zur jüngeren Generation, also den Menschen in meinem Alter, ein eher distanziertes Verhältnis. Mache waren sogar ein wenig schüchtern, mit mir zu reden. Ich glaube, viele waren überrascht, dass eine Amerikanerin, die nicht Teil der Diaspora ist und auch keine ungarischen oder rumänischen Wurzeln hat, hierher zieht, weil sie sich für die Musik interessiert. Das hat sich erst nach einem Jahr so richtig geändert, nachdem ich einige Konzerte hier gespielt hatte und das Album herausgebracht habe. Ich konnte besser verständlich machen, woran genau ich arbeitete und dann hat man mir auch sehr schnell geholfen und mich in die Gemeinschaft aufgenommen.

Du hast im Vorgespräch gesagt, du warst viel im Szeklerland, in der Siebenbürgischen Heide, in der Maramuresch oder in Ceaușu de Câmpie (Mureș) unterwegs. Gibt es eine Region, die dir besonders aufgefallen ist?

Erstmal fesselt mich die Reichhaltigkeit der verschiedenen Traditionen. Es gibt nicht einen transsilvanischen Stil, sondern so viele und es ändert sich rasant etwas in der Spielweise, wenn du von einem Tal in das nächste fährst.

Eine super spannende Gegend, auf die ich während meines Aufenthalts gestoßen bin ist das Țara Oașului. Die Musiktradition hier ist nochmal ganz anders klingend als im Rest Siebenbürgens und auch nicht mit irgendetwas zu vergleichen, was man in Sathmar, Maramursch oder weiter nördlich in der Ukraine hören könnte.  Sie ist noch energiegelader, aufgeregt und rau. Die Geige wird hier sehr viel höher gestimmt und mit bis zu ein oder zwei Gitarren begleitet. Ich habe lange Zeit gebraucht, um mich mit Musikern aus der Region zu treffen und von ihnen zu lernen, aber zum Ende meines Aufenthalts hat das glücklicherweise geklappt. Das ist vor allem dem französischen Musiker Théo Zimmermann zu verdanken, der momentan in der Region forscht und mir geholfen hat, einen Kontakt dorthin aufzubauen.

Im Vorgespräch haben wir auf Rumänisch geredet, aber du warst auch viel in ungarischen Kontexten unterwegs. Wie hast du es geschafft, diese beiden Sprachen gleichzeitig zu lernen?

Natürlich habe ich zum Anfang erstmal einen Rumänisch-Kurs belegt, aber mir schnell auch ein kleines bisschen Ungarisch angeeignet, weil es einfach ganz oft essenziell war.

Ich würde sagen, ich verstehe eine ganze Menge auf Rumänisch und auch ein bisschen auf Ungarisch. Ähnlich verhält es sich auch mit meinem Sprechen und ich will an meinen Kenntnissen in den beiden Sprachen unbedingt weiterarbeiten.

Manchmal vergesse ich ein Wort auf Rumänisch und nutze dann oft das ungarische, weil es mir gerade einfällt oder umgekehrt. Und die Menschen verstehen mich dann trotzdem. Mir gefällt die Vielsprachigkeit in der Region.

Gibt es ein Konzert, was dir besonders in Erinnerung bleibt?

Eines der eindrücklichsten Konzerte, auf denen ich bisher gespielt hatte, war in der Kleinstadt Valea lui Mihai in Bihor im Frühling 2023. Die Familie meines Kollegen Jeremiah Lockwood kommt ursprünglich aus diesem Ort und die jüdische Gemeinde hatte uns eingeladen, in der Synagoge, die heute nicht mehr genutzt wird, ein Konzert zu geben. Am Abend davor dachten wir noch: Vielleicht kommen zwanzig, dreißig Leute zum Konzert. Kurz vor Beginn strömten immer mehr Menschen in die Synagoge, der Gemeinderat musste sogar noch extra Sitzgelegenheiten besorgen. Wir denken, an dem Abend waren rund 120 Besucher da. Ich kann die Emotionen während des Konzerts unmöglich in Worte fassen, aber viele Menschen waren sehr berührt und haben auch nach dem Konzert noch mit uns reden wollen. Das war eine echte und schöne Überraschung.

Außerdem war ich sehr glücklich, im Herbst 2023 mit Vasile Rus, bekannt als Poștașul, gemeinsam in Klausenburg aufzutreten. Er beherrscht eine Bandbreite von verschiedenen Stilen aus der Maramuresch und hat unter anderem von Ion Covaci alias Paganini gelernt. Ich habe ihn oft zu Hause in Vadu Izei besuchen können und er hat mir in teils langen, sehr philosophischen Ausführungen Näheres über den Kontext von bestimmten Melodien erklärt und vorgespielt und war besonders gastfreundlich.

Im Herbst 2022 hast du dein erstes Solo-Album herausgebracht, das den Titel „In Vald Arayn” trägt. Aus dem Jiddischen übersetzt heißt es so viel wie „In den Wald hinein”, was als Anlehnung an Transsylvanien gedacht ist. Wie waren die Reaktionen als du dein Album herausgebracht hast?

Nun, ich war sehr aufgeregt, weil ich dachte: Ich als Amerikanerin komme nach Siebenbürgen und lerne den lokalen Stil und produziere dann etwas daraus.

Aber es ist auch mehr als das: Das Album enthält eigene Kompositionen, die auch zeigen, was ich hier gelernt habe und das reflektieren. Aber sie sind gleichzeitig ein Mix zwischen Klezmer, siebenbürgischer Musik oder muzică lăutărească und zeigt vielmehr den ständigen gegenseitigen Austausch zwischen jüdischer und goysher (jiddisch für: nicht-jüdisch, Anm. Red.) Musik auf.

Ich war wirklich nicht sicher, wie man in Osteuropa auf dieses Projekt reagieren würde, aber alles in allem würde ich sagen, dass das Echo positiv war. 

Wenn du Musik spielst, die in einer Tradition verankert ist, musst du sie auch wirklich gut studieren, dich annähern, erst danach kommt der Punkt von Transformation. Popularmusik lebt davon, zu reisen und verändert zu werden. Immer wieder tauchen bestimmte Melodien, Rhythmen oder Verzierungen auf, die einem bekannt vorkommen und das ist das Schöne daran.

Manchmal haben mir die Leute gesagt: Spiel etwas Amerikanisches, was aus deiner Heimat! Ich habe nie wirklich Bluegrass, Country-Musik oder R’n’B gelernt. Und dann habe ich ein Klezmerstück aus meinem Repertoire ausgepackt, das von osteuropäischen Einwanderern, die nach Amerika gekommen sind, gespielt und komponiert wurde. Die Leute haben sich dann gewundert. Aber am Ende des Tages ist es das auch; Klezmer ist eben auch amerikanische Musik.

Also: Meine Kollegen hier vor Ort haben alle sehr positiv auf mein Album reagiert. Die Veröffentlichung hat mir besonders in der jungen, städtischen Szene geholfen, wahrgenommen und akzeptiert zu werden.

Besonders danken möchte ich dahingehend Attila Fenyvesi, Lászlo Zsikai und Gergö Réman, die mir geholfen haben, ein Ensemble zusammenzustellen und das Album in Budapest aufzunehmen, auf dem auch meine Schwester Annie Aqua an der Geige zu hören ist. Auch die fantastischen Musiker Károly Dénes und Kálmán Szopos aus Klausenburg haben mich unterstützt und das Programm immer wieder mit mir aufgeführt.

Kommst du in der nächsten Zeit nach Siebenbürgen oder Europa?

Mittlerweile wohne ich leider nicht mehr in Klausenburg, freue mich aber sehr, oft und lange zu Besuch zu kommen. Ich werde im Mai wieder in Klausenburg sein, reisen und vielleicht sogar nach Bukarest kommen. Bisher habe ich allerdings noch keine Konzerte geplant. Das eben beschriebene Konzert im März 2023 in der Synagoge in Valea lui Mihai hat mich ehrlich gesagt auf eine Idee gebracht: Warum nicht in leerstehenden Synagogen Konzerte organisieren? Das wäre ein Langzeitprojekt und momentan versuche ich eine Förderung zu finden, um das möglich zu machen…

Zoë, vielen Dank für das Gespräch und deine Zeit!

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