Nach 13 Jahren und bizarren Auftritten: Wende im Prozess gegen Kalle Schwensen

Nach 13 Jahren und bizarren Auftritten: Wende im Prozess gegen Kalle Schwensen

So einen Auftritt hatte es im Hamburger Justizgebäude noch nicht gegeben: Kiez-Größe Kalle Schwensen (70) tauchte 2012 mit einem Doppelgänger im Gericht auf, um zu demonstrieren, wie leicht man ihn, die stadtbekannte Kiezgröße, verwechseln könne. Es folgte ein absurdes Verwirrspiel mit Richterin und Staatsanwältin, 2013 ging die Sache erneut vors Landgericht – und dann versank der skurrile Streit um eine angebliche Autofahrt ohne Führerschein für mehr als elf Jahre in den Tiefen der Hamburger Justiz. Bis jetzt.

Einen Stinkefinger auf schwarzem Grund zeigt Schwensen auf seinem Insta-Account, darüber steht: „13 Jahre Gerichtsprozess.“ Und: „Nach nunmehr 13 Jahren (seit 2011) hat die Staatsanwaltschaft selbst die Einstellung des Verfahrens per Gerichtsurteil beantragt!“

Der ganze Schlamassel begann am 2. Februar 2011. Damals hatte Hamburg einen Kurzzeit-CDU-Bürgermeister namens Christoph Ahlhaus, den heute kaum noch jemand kennt. Im Gegensatz zu Kalle Schwensen, der damals immerhin einigermaßen bekannt war und heute auch noch, jedenfalls den Zuschauern von Kiez-Dokus. Diesen Kalle Schwensen meinten in jener Nacht zwei Zivilbeamte erkannt zu haben, wie er in einen Mercedes stieg – obwohl ihm der Führerschein bereits entzogen worden war. 11.000 Euro Strafe für Fahren ohne Fahrerlaubnis urteilte das Amtsgericht, Schwensen ging in Revision. Denn: Der Mann am Steuer des Mercedes, das sei jemand anderes gewesen, der sah nur so aus wie er.

Ohne Sonnenbrille, glattrasiert und im unscheinbaren Pulli: Karl-Heinz Schwensen am 23. Oktober 2012 mit seinem Anwalt Klaus Hüser
Rüdiger Gärtner

Ohne Sonnenbrille, glattrasiert und im unscheinbaren Pulli: Karl-Heinz Schwensen am 23. Oktober 2012 mit seinem Anwalt Klaus Hüser

Im Landgericht wurde dann am 24. Oktober 2012 der Schwank „Der doppelte Schwensen“ aufgeführt: Ein dunkelhäutiger Mann mit Schnauzer, Anzug und goldener Sonnenbrille betrat lässig den Gerichtssaal und verließ ihn wortlos wieder. Karl-Heinz Schwensen, wie man ihn kennt.

Doppelgänger-Posse im Landgericht

Ihm folgt ein unscheinbarer älterer Herr, ebenfalls dunkelhäutig, in Strickpullover und Beuteljeans – der behauptet, er sei der wahre Karl-Heinz Schwensen. Der extra engagierte Doppelgänger solle beweisen, dass die Beamten ihn verwechselt haben. Weil der Mann in den alten Jeans sich nicht ausweisen will, schaltet auch das Gericht auf stur: Der Angeklagte ist nicht zur Verhandlung erschienen, die Berufung wird verworfen, das 11.000-Euro-Urteil wird rechtskräftig. Pullover-Schwensen flippt aus, schreit: „Ich will sofort erkennungsdienstlich behandelt werden!“, zieht seine Hose runter, zeigt die Narbe einer Schussverletzung an der Hüfte – Gericht und Staatsanwältin verlassen peinlich berührt den Saal.

Rechtsanwalt Klaus Hüser (re.) am 23. Oktober 2012 mit einem Doppelgänger seines Mandanten Karl-Heinz Schwensen
Rüdiger Gärtner

Rechtsanwalt Klaus Hüser (re.) am 23. Oktober 2012 mit einem Doppelgänger seines Mandanten Karl-Heinz Schwensen

Ein Jahr später, im November 2013, befasst sich das dritte Gericht mit der Lappalie und reduziert die Geldstrafe schließlich auf 1350 Euro (90 Tagessätze à 15 Euro). Es hatte sich herausgestellt, dass Schwensen mitnichten der große Kiez-Zampano ist, als der er sich gerne aufführte: „Sie inszenieren sich in einer maskottchenartigen Rolle“, sagte der Vorsitzende Richter damals. „Wir müssen annehmen, dass das Einkommen des Herrn Schwensen auf Sozialhilfeniveau liegt.“

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Auch diese Summe wollte Schwensen nicht zahlen, denn: Er war ja nicht gefahren, darauf beharrte er weiter. Mehr als ein Jahrzehnt lang passierte: nichts. Bis jetzt: Am 3. April 2024 stellte das Landgericht das Verfahren ein, bestätigt die Staatsanwaltschaft der MOPO. Grund: Es besteht ein „Verfahrenshindernis.“ Heißt: Das Verfahren wurde „rechtsstaatswidrig“ dermaßen lange verschleppt, dass ein Verurteilter Anspruch darauf hat, dass seine Strafe reduziert wird – und da bliebe nach elf Jahren von 90 Tagessätzen halt nichts mehr übrig.

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