Rückbank im Fahrschulauto

Rückbank im Fahrschulauto

Lenkrad, Kupplung, Bremse, Gaspedal und Gangschalthebel. Sehr einfach zu bedienen, wenn das eigene Üben im Fahrschulauto und das Bestehen der eigenen Fahrprüfung eine Ewigkeit zurückliegen, oder? Wer nicht nur als Passagier, sondern auch vorne links schon seit etlichen Jahren Auto fährt und es in einem verkehrsberuhigten Rumänien gelernt hat, wie es niemals mehr wieder zu erleben sein wird, kann sich glücklich schätzen. 

Ob heute unbedingt vom Start weg Pech haben muss, wer sich als Anfänger um den Führerschein bemüht und ihn nach Bewährung im Examen endlich auch per Post zugeschickt bekommt? Nein, so furchtbar verflixt ist es nicht. Aber sich zum ersten Mal im Leben überhaupt als polizeilich bestätigter Autofahrer an ein Steuer zu setzen, das nicht mehr von Kupplung und Bremse eines Fahrlehrers gesichert ist, kann trotz Führerschein etwas Überwindung kosten. Weil man weiß: ab jetzt und bis an das Ende meiner Autofahrer-Tage gilt´s! Das Anfänger-Gefühl verlässt einen zwar mit der Zeit, doch die Gefahr bleibt. Sie ist das Einzige, womit man in der Fahrschule nicht wirklich umgehen lernt. Dabei ist sie viel höher als noch vor drei Jahrzehnten. In Rumänien ganz besonders.

„Einer, der seinen Führerschein erst einen Monat lang hatte, wurde auf der Autobahn mit 207 km/h geblitzt“, sagt Ciprian Oprea, 2004 in das Geschäft eingestiegen und noch heute auf dem Beifahrersitz mit zwei Pedalen für den linken und den rechten Fuß durch Hermannstadt/Sibiu unterwegs. Es ist ein sonniger Tag Mitte März und am Steuer sitzt Zwölftklässler Radu (Name geändert, Anm. d. Red.). Mehr als das erste Drittel von 15 obligatorischen Sitzungen am Steuer der Dauer von je einer Stunde und 40 Minuten kann er nicht hinter sich haben, wo der kleine VW bei jedem Tritt auf die Bremse und beim Einkuppeln ganz schön stark ruckelt. Schneller als 30 km/h lässt Ciprian Oprea ihn nicht fahren. „Mașina-i ca o armă“, das Auto ist nichts als die reinste Waffe. Und er legt ihm ans Herz, man müsse immer daran denken, der eigenen Familie und seinen Freunden zuliebe intakt zu bleiben. „Manche quälen sich mit Krebs und haben es schwer, während andere junge Leute einfach so Autounfälle bauen.“

Als Radu nach eineinhalb Stunden Training aussteigt, übernimmt Robert (Name ebenfalls geändert, Anm. d. Red.) im gleichen Alter den Platz auf dem Fahrersitz. Er ist fortgeschrittener unter-wegs als sein Vorgänger und macht auf Anweisung von Ciprian Oprea Halt am rechten Rand der pfeilgeraden Ausfallstraße nach Poplaca. Sie ist wenig befahren, steigt leicht an und eignet sich gut für das Üben vom Losfahren gegen Hangwiderstand. Den Kuppel-Schleifpunkt hat Robert nicht gleich beim ersten Versuch heraus, aber nach drei bis vier Anläufen beginnt sie zu greifen, die Feinsteuerung mit dem linken Fuß. Dass Robert schon ein wenig über den Punkt hinaus ist, wo man sich vorerst auf nichts anderes als allein den eigenen PKW fokussiert und noch gar nicht vorausschauend fährt, spürt man sehr deutlich. Trotzdem liegt Ciprian Oprea auch ihm pausenlos in den Ohren.

Er beschwert sich nicht darüber, dass die Leute meinen, es würde aus ihm quasseln „wie aus einem Radio“, sondern steht dazu und fährt seinen Redefluss erst bei Fahrschülern herunter, die wirklich alles richtig machen und ihrem ohne Unterlass geduldig Achtung predigenden Stundengeber auf dem Beifahrersitz übervorsichtig zuvorkommen. Robert fährt auf einen 100 Meter vor ihm liegenden Fußgängerübergang zu, und sofort kann Ciprian Oprea denn auch nicht umhin, als ein Entschleunigen von ihm zu fordern. Fuß weg vom Gaspedal, auch wenn gerade niemand sich dem Straßenrand nähert oder darauf wartet, die Fahrbahn überqueren zu können! „Wenn wir vernünftig fahren, tun auch andere es uns hoffentlich gleich.“

Keine Schimpfe, viel Psychologie

Bei Radu, der individuell etwas weniger fein als Robert gestrickt scheint, legt Ciprian Oprea eine kompromisslosere Wortwahl an den Tag, nimmt ihn überdurchschnittlich streng an die Kandare. Nicht mit harten Brocken, nicht mit weniger Geduld-Bereitschaft als bei anderen Fahrschülern und auch nicht etwa lauter, doch mit dem mehrfach dringenden Ratschlag, den Handzettel in A5-Größe voller Skizzen für Fahrtrichtungs-Änderungen im Straßenverkehr „auswendig zu lernen wie das Vaterunser.“ Es ist ein Blatt Papier, das er ohne Rücksicht auf Begabung oder Ungeschicklichkeit allen gibt, die sich bei ihm das praktische Rüstzeug für die Fahrprüfung und die lebenslange Zeit am Steuer danach holen. Und er händigt nicht einfach wortkarg die Kopie eines Originals aus, nein, sondern zeichnet jedes neue Exemplar von Hand vor den Augen und Ohren der jeweiligen Person, die auf seine Fragen antwortend ihren Anteil beim Erstellen der Skizzen in vier Farben zu leisten hat. Wohin das Auto rückwärts fährt, wenn man zuvor am Lenkrad maximal rechts gedreht hat? Wie viele volle Lenkrad-Drehungen sind nötig, um die Fahrtrichtung auf geradeaus einzustellen, falls man im Augenblick nicht weiß, ob und wie weit die Räder auf links oder rechts gestellt sind? Kleinigkeiten für Erwachsene mit Führerschein und Mindest-Fahrpraxis, aber durchaus Fangfragen für blutige Anfänger. Wobei es unter keinen Umständen angeht, Lernende anzufahren, bemerkt Ciprian Oprea.

„Ein Fahrlehrer muss auch ein guter Psychologe sein und die Sache jedem auf die für ihn passende Art und Weise verständlich machen können, sei es ein Arzt, ein Schafhirte, ein Professor an der Uni, ein Priester oder wer auch immer.“ Im Straßenverkehr hat es unfallfrei rund zu laufen, aber jeder Mensch ist anders. Polizeibeamte jedoch, die einen Führerschein-Kandidaten vom Beifahrersitz aus auf Herz und Nieren prüfen, wollen nichts anderes als seine Fähigkeiten am Steuer sehen. „Für mich sind alle Menschen, und wären es Angela Merkel oder Klaus Johannis“, versichert Ciprian Oprea freundlich. „Ich hatte mal einen Rom von den für ihre Fertigkeit im Bauen und Anbringen von Dachrinnen bekannten Gabor-Hausleuten aus dem Zoodt-Tal (rumänisch Valea Sadului, Anm. d. Red.) als Fahrschüler, und der fuhr so gut Auto, dass ich ihm ohne Weiteres jederzeit den Schlüssel meines privaten PKW überlassen hätte. Leider nur fiel er bei jedem neuen Prüfungsversuch in Anwesenheit eines Polizisten rechts neben sich durch und musste in der Fahrschule nochmal von ganz vorne anfangen.“ Stimmt, die Fahrprüfung darf man beliebig oft wiederholen – aber nur solange ein volles Jahr nach dem ersten Versuch noch nicht herum ist. „Und wie stolz er war, es nach dem Durchlaufen der Fahrschule zum zweiten Mal dann doch geschafft zu haben, und zwar gleich auf Anhieb!“ Eine Story, an die Ciprian Oprea sich gerne erinnert.

Schikanen über Schikanen

Die Sache mit dem Polizisten auf dem Beifahrersitz mit Kupplung und Bremse übrigens ist irgendwo tatsächlich fies: „Gibt ein dritter Autofahrer durch Blinken Vorfahrt oder macht ein Fußgänger mit der Hand das Zeichen zur Weiterfahrt, hat man zuerst den Prüfer zu fragen, ob man darf. Sagt er Ja – fahren. Sagt er, man könne tun was man will – warten.“ Sonst ist es sofort aus. Und auch ohne den Tritt eines Polizisten auf die Bremse geht die Fahrprüfung leichter verloren, als es einem lieb ist. 20 Strafpunkte sind erlaubt und mehr nicht. Fünf Punkte kostet das Schalten in einen falschen Gang und sechs Punkte ein Motor-Absaufen, um nur zwei mögliche Fehler zu nennen. Es gibt über 30.

Außerdem stehen noch zwei Totalverbote zu Buche, die inklusive für Fahrschulautos ohne Polizist auf dem Beifahrersitz gelten: die Autobahnen und die als Europäische Express-Korridore zählenden Nationalstraßen, was bei den „drumuri naționale“ leider meist der Fall ist. Rumäniens frischgebackene Führerschein-Besitzer haben sich selbst als Fahrschüler noch nie bei Geschwindigkeiten über 50 bis 60 km/h auf einer Nationalstraße oder gar auf einer Autobahn ausprobieren können, weil sie es nicht gedurft haben. Kommt dann der langersehnte Moment, wo man es endlich darf und sein Können überschätzt, geschieht leider eben leicht, was leicht geschieht. Man fährt sich selbst, seine unschuldigen Passagiere oder gleich alle im Auto in den Tod. Wie recht Fahrlehrer Ciprian Oprea hat: „Mașina-i ca o armă“, das Auto ist nichts als die reinste Waffe. Von der viele nichts ahnen. Zu viele.

Nicht zu vergessen auch das allgemein raue Miteinander auf den Straßen Rumäniens, vom Bukarester Asphalt ganz zu schweigen. Wenn 25 Jahre oder noch länger am Steuer Erfahrene bemängeln, Bukarest wäre „eine Horror-Stadt“, muss da schon was dran sein. Genauso, wie es auch in Hermannstadt manchmal gang und gäbe zu sein scheint, Fahrschulautos absichtlich zu belästigen. Als Radu von einer Hauptstraße nach links abbiegen soll und auf freie Bahn wartet, quert scharf von rechts ein streitlustiger Einheimischer, dem laut Verkehrsgesetzbuch Vorfahrt zu geben wäre, und der sie auch sofort bekommt – im Vorbeifahren aber schreit er aus dem offenen Fenster seines eigenen PKW das Fahrschulauto an. Kein Herr, nein, sondern herrisch. Ciprian Oprea kann das kein wenig leiden, muss Schülern jedoch beibringen, zusätzlich zum Verkehrsgesetzbuch für alle die Neigung Etlicher zum Gesetz des Stärkeren zu ertragen. An der gleichen Stelle allerdings fährt Anfänger Radu später wieder von der Neben- auf die Hauptstraße, und diesmal wäre er es, der von rechts kommt und Vorfahrt hätte. Von links wartet in einem anderen Auto in der Tat ein Herr wie Hermannstadts bekannter Chirurg Dr. Kiss Lorant und biegt erst ein, als Radu nicht rasch genug zu starten bereit ist. Man wünschte sich, es gäbe auf den Straßen Rumäniens etwas mehr einsichtige Herren und Damen. Und genügend viele Fahrschulautos, die den Ungestraften nicht ausgeliefert sind.

Der Unwirtlichkeit unbeschadet trotzen

Sich wie der Direktor einer der Fahrschulen Hermannstadts und Arbeitgeber von Ciprian Oprea darauf zu berufen, die berüchtigt hohe Unfallquote Rumäniens wäre allein dem Autobahn-Mangel geschuldet, ist eine Totalverkürzung auf Infrastruktur-Gründe zu Entlastung der Stringenz, endlich auch mal kulturelle Missstände anzusprechen. Zwanzigjährige, die am Lenkrad einer womöglich noch extra getunten Karre und im Affenzahn das Schlimmste vom Schlimmstmöglichen verzapfen – das ist hirnverbrannt, das ist der falsch verstandene Wohlstand, wenn man meint, mit dem eigenen Leben und dem Dritter einfach so unverbindlich spielen zu dürfen. „In Deutschland habe ich einmal eine Kolonne dreier Ferraris im Straßenverkehr beobachtet. Es galt gerade eine Beschränkung von 30km/h, und die Fahrer der drei Ferraris haben sie eingehalten“, schwärmt Ciprian Oprea.

Wie man nach Führerschein-Erhalt für die „drumuri naționale“ und Autobahnen Rumäniens fit wird, die trotz höherer Geschwindigkeit allenfalls linear, nicht aber exponentiell gefährlicher als die weniger prioritär eingestuften Straßen sein dürften? Denn die dafür nötigen „aptitudini“, diese viel spezifischer als überall anderswo in Europa erforderlichen Fähigkeiten sicheren Autofahrens gründen auf weit mehr als nur den 15 gesetzlich verpflichtenden Fahrstunden von je 100 Minuten. Ob man geborene Raser wie etwa den Fahranfänger, der einen Monat nach bestandenem Examen mit 207 km/h auf der Autobahn erwischt wurde, schon im Fahrschüler-Stadium als eine Ausgeburt öffentlicher Gefahr durchschauen könnte? Leider Nein, urteilt Ciprian Oprea. Aber es geht auch nicht, dass „Polizeibeamte im Alter von nur etwa 25 Jahren bereits Fahrprüfungen abnehmen. Wie soll das gutgehen, wenn die prüfenden Polizeibeamten selber nicht über mindestens zehn Jahre Erfahrung am Steuer verfügen?“ Spätzündern wie mir, der sie erst beim fünften Mal hinbekommen hat, mag die Fahrprüfung sauschwer vorkommen. Doch gemessen am bedenklich steigenden Hass Einheimischer auf das rumänische Verkehrsgesetzbuch ist sie nur Vorstufe einer höheren Prüfung: die Wahrung des eigenen Lebens. 

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