31 Jahre Hass: Wie die Gewalt zwischen dem FC St. Pauli und Hansa Rostock begann

31 Jahre Hass: Wie die Gewalt zwischen dem FC St. Pauli und Hansa Rostock begann

Wenn St. Pauli und Rostock gegeneinander spielen, brennt die Luft. Seit mehr als drei Jahrzehnten stehen sich die Fan-Lager scheinbar unversöhnlich gegenüber – auch am Freitag am Millerntor. Die MOPO geht den Ursprüngen der Gewalt nach.

Man kann es sich heute schwer vorstellen, aber als der FC St. Pauli und Hansa Rostock am 12. August 1992 zum ersten Mal überhaupt aufeinander trafen, gab es einen einzigen Zwischenfall: Ein Flitzer stürmte den Platz und rannte durch das Blickfeld von St. Pauli-Torwart Klaus Thomforde. Die 0:2-Heimniederlage der Braun-Weißen ließ sich da­rauf nicht zurückführen. Es war ein ganz normales Zweitliga-Spiel.

Politische Ausrichtung trennt St. Pauli- und Rostock-Fans

Auch das Rückspiel verlor St. Pauli 0:2 – aber am 13. März 1993 in Rostock war alles andere völlig anders. 400 Hansa-Hooligans befeuerten den St. Pauli-Block mit Flaschen, Steinen und Holzbänken. In der Innenstadt setzten sich die Jagdszenen fort: Gewalt im Stadion, wie sie zumindest St. Pauli-Fans in dieser Form noch nie erlebt hatten. Was war passiert? „Das Ganze hat Wurzeln in der politischen Ausrichtung von großen Teilen der beiden Fan-Szenen“, beschreibt Christoph Nagel vom Museum des FC St. Pauli den Konflikt.


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Nur zehn Tage nach dem Hinspiel begann ein rechtsextremer Mob im Rostocker Stadtteil Lichtenhagen damit, ein Wohnheim für Asylbewerber anzugreifen. Einige Hundert warfen Steine und Molotowcocktails ins Gebäude, einige Tausend versammelten sich vor dem „Sonnenblumenhaus“ und feuerten die Menge während der mehrtätigen Ausschreitungen an. Ein lebensbedrohliches Open-Air-Festival von Nazis, unter denen sich auch viele aus dem Westen Angereiste befanden. Etwa der Hamburger Christian Worch, damals bei der „Nationalen Liste“, heute Chef der Splitterpartei „Die Rechte“.

St. Paulis Fans hatten in den 1980er-Jahren dafür gesorgt, dass der Kampf gegen Faschismus und Rassismus im Fußball zum Thema wurde. Im Osten tickten die Uhren nach dem Mauerfall oft anders. Ausländer und Flüchtlinge („Deutschland den Deutschen“) wie linke Jugendliche („Zecken klatschen“) mussten um Leib und Leben fürchten, wenn Nazis und Skinheads versuchten, „national befreite Zonen“ zu schaffen. Von manch westdeutschen Politikern, die für alle Mühen des Einigungsprozesses Flüchtlinge verantwortlich machten, fühlten sie sich dabei durchaus ermutigt.

St. Pauli-Fans boykottierten zeitweise Reisen in den Osten

In der braun-weißen Fanszene gab es aufgrund der Erfahrungen zeitweise einen „Zonen-Boykott“ genannten Verzicht auf Reisen in den Osten, der intern durchaus umstritten war. Viele dortige St. Pauli-Fans fühlten sich in der ohnehin alltäglichen Konfrontation mit dem heimischen Mob alleingelassen. Zwischen Rostock und Dresden stieß St. Paulis Haltung oft auf Unverständnis. Ostdeutsche, die nach 1989/90 vergeblich auf die versprochenen „blühenden Landschaften“ warteten, empfanden Hinweise von „Besserwessis“ immer mehr als Angriff auf die eigene Person. Hansa Rostock, damals der führende Klub aus der ehemaligen DDR, bot sich als Projektionsfläche für erfolgreiche Behauptung gegen einen übermächtigen Westen geradezu an. Die Folge: Links-Rechts-Konflikt und Ost-West-Gegensatz schaukelten sich gegenseitig hoch.

Die Polizei in Rostock scheint sich 1995 am Hitler-Gruß eines Hansa-Fans nicht zu stören.
Screenshot: NDR/Panorama

Die Polizei in Rostock scheint sich 1995 am Hitler-Gruß eines Hansa-Fans nicht zu stören.

Kein Wunder, dass es 1994 sogar einen prämierten NDR-Spielfilm namens „Schicksalsspiel“ gab, an dessen Ende ein Hansa-Fan einen St. Pauli-Anhänger erstach. Die reale Gewalt ging jedenfalls weiter: Als ein Bus mit St. Pauli-Fans 1995 weit nach dem Abpfiff in Rostock fast vollständig entglast vom Stadion gen Bahnhof fuhr, standen auf den Gehwegen Rentner und fuchtelten drohend mit ihren Schirmen. Das bekannte Muster: Die Gewalt ging von einer überschaubaren Gruppe aus, ihre Unterstützung zog weite Kreise. „Wenn man mit dem Bus ins Stadion fährt, steht da ein Familienvater mit seinem Sohn und zeigt uns den Mittelfinger“, beschrieb St. Paulis Mittelfeldspieler Thomas Meggle eine ähnliche Szene, die sich 2008 ereignete. Die Rückfahrt konnte die Mannschaft damals aus Sicherheitsgründen nur mit zwei Stunden Verspätung antreten. Meggles Fazit: „Dass einem kompletter Hass entgegenschlägt, hätte ich in diesem Ausmaß nicht für möglich gehalten.“

Hass und Gewalt bestimmen das Verhältnis zwischen St. Pauli und Rostock – und drängen oft jene in den Hintergrund, die sich um ein besseres Verhältnis bemühen. „In den 1990er-Jahren gab es sehr gute Kontakte zu Menschen rund um das Hansa-Fanzine Frösi“, erinnert sich Thomas Glöy vom FC St. Pauli-Museum: „Anfang der 2000er-Jahre bestanden sogar kurzzeitig Verbindungen auf Ultra-Ebene.“

Rostock-Fans haben es deutlich schwerer, links zu sein

Mit Schwarz und Weiß lässt sich auch heute nicht die ganze Wahrheit zeichnen. Rostocker Bands wie Dritte Wahl und Feine Sahne Fischfilet oder der Rapper Marteria sind links und Hansa-Fans. Der vernünftige Teil des Rostocker Anhangs hat es aufgrund des vorherrschenden Meinungsklimas aber schwer, die Verhältnisse zu verändern – zumal die Vereinsführung Probleme eher leugnet oder kleinredet. Gegen Rassismus zu sein, ist in Rostock definitiv schwieriger als auf St. Pauli.

Die sportliche Talfahrt der Rostocker führte dazu, dass die beiden Vereine zwischen 2012 und 2021 neuneinhalb Jahre lang nicht aufeinandertrafen. Danach funktionierten die Codes bald wieder. Im August 2022 hissten Hansa-Fans am Millerntor ein Transparent mit der Aufschrift „Lichtenhagen“ neben einer Sonnenblume – fast exakt 30 Jahre nach den schwersten Ausschreitungen gegen Ausländer seit 1945. „Gerade in letzter Zeit heizen Teile des Rostocker Anhangs die Sache mit permanenten Anspielungen auf das Pogrom von Lichtenhagen wieder auf“, erklärt Museums-Kurator Nagel, der selbst 2011 bei Hansa im St. Pauli-Block stand, der mit Signalraketen beschossen wurde.

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Die Hansa-Führung sah im Sonnenblumen-Transparent übrigens kein Problem. Das sei nur ein Gruß an Fans aus dem Stadtteil, die nicht am Millerntor sein konnten. St. Pauli und Rostock werden so schnell nicht zu einer gemeinsamen Sprache finden.

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