„Bestraft, weil ich krank war“: Bei Hamburgs Müllmännern kochen die Emotionen hoch

„Bestraft, weil ich krank war“: Bei Hamburgs Müllmännern kochen die Emotionen hoch

Wut, Empörung, Tränen: Einen Tag nach Erscheinen des MOPO-Berichts über die „Strafkolonne“ bei der Stadtreinigung kochten bei der Personalversammlung des Unternehmens im Audimax auf dem Uni-Campus die Emotionen hoch. Zahlreiche Mitarbeiter machten ihrem Ärger über den neuen Springer-Pool Luft, in den rund 300 Personen versetzt werden, die durch viele Krankentage oder aufmüpfiges Verhalten aufgefallen sind. Selbst Geschäftsführer Rüdiger Siechau gab zu: „So viel Stimmung hatten wir noch nie!”

Fast jeder Redner, der an diesem Samstagvormittag auf die Bühne des Audimax‘ tritt, nimmt im Laufe seines Vortrags das Wort „Wertschätzung“ in den Mund – und egal, ob einer von der Geschäftsführung den Begriff ausspricht, ein Betriebsrat oder ein Kollege, die Reaktion bei den Straßenkehrern und Abfallentsorgern auf den Tribünen ist jedes Mal die gleiche: höhnisches Gelächter, sarkastische Worte, Pfiffe.

Stadtreinigung Hamburg: Geschäftsführer unterstellt 300 Mitarbeitern fehlende Motivation

Das Stimmungsbild ist deutlich: Sehr viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Stadtreinigung scheinen sich nicht wertgeschätzt zu fühlen. Besonders der ab Mai an den Start gehende Springer-Pool „ZBE Flex“ ist hoch umstritten. Wie Geschäftsführer Siechau erneut erläutert, ist dieser Pool (ZBE steht für „Zentrale betriebliche Einheit”) dazu da, die veränderten Ansprüche der Kunden zu bedienen. Heißt: Mitarbeiter in dem Pool müssen maximal flexibel sein, was Arbeitszeit und Arbeitsort angeht.

Zum anderen reagiere man mit der Gründung des Pools auf die steigende Abwesenheitsquote bei den Mitarbeitern im Bereich Reinigung und Abfalllogistik. „Wir haben uns die 2000 Mitarbeiter genau angeschaut und dabei auf die Arbeitsqualität, das Verhalten, die Arbeitsbereitschaft und die Häufigkeit der Abwesenheit geachtet“, erklärt Siechau die Kriterien für die Auswahl der Pool-Mitarbeiter. Bei 300 Personen vermisse er die gewünschte Motivation.

Mitarbeiter der Stadtreinigung bei der Personalversammlung im Audimax.
hfr

Mitarbeiter der Stadtreinigung bei der Personalversammlung im Audimax.

Nach diesen Worten stand vor allem eins im Raum: Ein Misstrauen der Geschäftsführung gegenüber diesen 300 Personen. Und die Unterstellung, diese Leute würden auf Kosten ihrer Kollegen blaumachen. Denn die Gründe, warum jemand krankheitsbedingt länger ausgefallen ist, wurden offenbar nicht detaillierter untersucht. Und auch nicht mit den Leuten gesprochen.

Mitarbeiter der Stadtreinigung: „Ich werde dafür bestraft, dass ich krank war“

Genau das wurde deutlich, als ein Mitarbeiter nach dem anderen ans Mikrofon trat. „Ich hatte Probleme im Knie und hatte darum gebeten, in der Reinigung eingesetzt zu werden und nicht mehr auf dem Wagen“, berichtet ein Mann. Sein Vorgesetzter habe ihm zu verstehen gegeben: Entweder er könne arbeiten oder er solle zu Hause bleiben. „Ich hatte Schmerzen, deshalb bin ich dann also zu Hause geblieben“, erläutert der Mann. Dann kam eine Knie-OP. Eine Reha, die er abbrechen musste. Heilungsprobleme. Eine Wiedereingliederung.

„Ich habe alles getan, um wieder gesund zu werden und zu arbeiten“, so der Abfallentsorger. An seinem ersten Arbeitstag sei ihm dann mitgeteilt worden, dass er ab Mai in den Pool soll. Er habe Familie, sagt der Mann. Die von den Pool-Springern erwartete Flexibilität könne er nicht leisten. Er fühle sich bestraft.

Ein weiterer Mann berichtet von einem Arbeitsunfall, der ihn sechs Monate lang vom Job fernhielt. „Ich habe keine ,andere Arbeitsauffassung‘, wie mir hier unterstellt wird. Ich war krank!“ Andere Personen weisen auf die körperlichen Folgen hin, die 30 Jahre schwere Abfalleimer-Schleppen nun mal mit sich brächten. Wieder andere erzählen, wie groß die Angst im Team ist. Dass niemand mehr ohne Angst zur Arbeit käme. Ein Kollege sei trotz Prellung zum Dienst erschienen, aus Furcht, sonst in den Springer-Pool zu kommen.

Gewerkschaften sehen „Belastung des Betriebsklimas“ und fordern Austausch der Personalabteilung

Zwar gibt sich der Geschäftsführer zwischenzeitlich erschüttert. „Wenn Sie Gefühle wie Angst oder Einschüchterung haben, dann tut mir das leid. Das macht mich traurig.“ Dennoch solle der Springer-Pool nicht als Strafe, sondern als Chance verstanden werden. „Die 300 Mitarbeiter sind uns wichtig“, so Siechau. Man wollte durch eine intensivere Betreuung durch die Führungskräfte des Pools „erreichen, dass sich die Anwesenheit und die Motivation verbessert”.


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Doch als Siechau betonte, die Stadtreinigung sei ein „familienfreundliches Unternehmen“ und „viele wären dankbar, wenn sie in diesem Pool arbeiten dürften”, kochen die Emotionen erneut hoch. Wütende Zwischenrufe, Pfiffe. Am Ende blieb die Frage offen, ob das auf oberster Ebene ausgearbeitete Pool-Konzept tatsächlich unausgereift ist oder ob es unten an der Basis schlicht eine völlig andere Umsetzung erlebt. Denn mehrere Mitarbeiter berichten auch, dass ihre Teamleitungen „nach Nase“ entschieden hätten: Wen sie nicht mochten, wurde aussortiert.

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Der Fachbereichsleiter der Gewerkschaft Verdi, Ole Borgard, richtete einen Appell an die Geschäftsführung: „Ich fordere Sie auf, einen Dialog mit den Beschäftigten zu führen und die Mitarbeiterzufriedenheit ernst zu nehmen.“ Aus seiner Sicht sei der Springer-Pool eine erhebliche Belastung für das Betriebsklima. Nur feste Arbeitsplätze würden für Routine und Sicherheit sorgen. Borgard: „Hier die Abrissbirne rauszuholen, ist nicht gut.“

Noch weiter ging der Geschäftsführer der Gewerkschaft Komba, Andy Metzlaff. Er forderte den Austausch der Personalabteilung, um das Vertrauen im Betrieb wiederherzustellen. „Es geht hier um Menschen! So geht man nicht mit Mitarbeitern um.“

„Bestraft, weil ich krank war“: Bei Hamburgs Müllmännern kochen die Emotionen hoch wurde gefunden bei mopo.de

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