Bundesliga, Bosnien, Barbarez: St. Pauli-Keeper Vasilj im Derby-Interview

Bundesliga, Bosnien, Barbarez: St. Pauli-Keeper Vasilj im Derby-Interview

Er spielt seit Wochen überragend und ist einer der Garanten, dass der FC St. Pauli kurz vor dem Aufstieg in die Bundesliga steht. Nikola Vasilj (28) hat sich beim Kiezklub zu einem der Toptorhüter der Liga entwickelt, wird von den Mitspielern mit Lob überhäuft. Die MOPO traf den Nationalkeeper von Bosnien-Herzegowina, der abseits des Spielfeldes nicht gerne im Mittelpunkt steht, vor dem Derby gegen den HSV zum großen Interview – über Rampenlicht, Bundesliga, Kritik vom Vater, Sergej Barbarez und sein extremes Heimat-Derby in Bosnien.

MOPO: Was für ein Derby wünschen Sie sich: viele Schüsse auf ihr Tor und viele großartige Paraden – oder lieber einen langweiligen Abend und wenig zu tun?

Vasilj: (lacht) Wenn ich die Schüsse alle großartig halte, dann würde ich das bevorzugen! Nein, im Ernst: Das Wichtigste ist, dass wir als Mannschaft ein gutes Spiel machen – und gewinnen.

St. Pauli-Torhüter Vasilj: „Man merkt, dass Derby ist“

Woran merken Sie persönlich, dass das Spiel der Spiele bevorsteht? Werden Sie vermehrt darauf angesprochen, haben Sie plötzlich noch mehr Freunde als sonst, die Sie alle um Tickets anbetteln?

Natürlich merkt man, dass es Derby-Woche ist. Tatsächlich kommt auch ein Familienmitglied zum Spiel. Man spürt die Aufregung und auch Vorfreude. Aber ich versuche, ruhig zu bleiben und mich so wie vor jedem Spiel zu verhalten und nichts anders zu machen als sonst auch.

Hatten Sie im Vorfeld des Derbys Kontakt zu Ihrem Landsmann Dennis Hadzikadunic, der beim HSV spielt, oder unterlässt man das lieber?

In letzter Zeit hatten wir keinen Kontakt. Ich weiß auch nicht, ob wir vor dem Spiel noch mal Textnachrichten schreiben. Mal sehen. Ich kannte Dennis schon, bevor er zum HSV gewechselt ist, weil wir einige Jahre zusammen in der Nationalmannschaft gespielt haben. Wir kennen uns gut, wir sind Freunde. Und diese Freundschaft ist okay – bis das Spiel angepfiffen wird … (grinst).

In den letzten Spielen standen Sie oft im Mittelpunkt. Ist es ein gutes oder schlechtes Zeichen, wenn der Torwart als „Man of the Match“ gefeiert wird?

Gute Frage. Das hängt ja auch oft vom Gegner ab. Ich denke, wir haben bislang eine sehr, sehr gute Saison gespielt, vor allem defensiv. Wir sind sehr stabil, haben sehr wenig zugelassen. Man kann aber nicht erwarten, 34 Spieltage zu spielen, ohne dabei einen Torwart zu brauchen. Ich freue mich, dass ich der Mannschaft helfen konnte, erfolgreich zu sein.

Vasilj bekam zuletzt viel Lob von seinen St. Pauli-Kollegen

Hand aufs Herz: Waren Sie nicht froh, in diesen Spielen Ihre ganze Klasse zeigen und sich auszeichnen zu können – und das gleich mehrfach?

Für mich persönlich ist das schön, klar, vor allem in dieser wichtigen Phase der Saison, in der wir die Siege besonders brauchen. Aber grundsätzlich kümmere ich mich nicht so sehr darum, wie ich dastehe, sondern der Fokus liegt auf der Performance des Teams.


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Sie haben zuletzt eine Menge Applaus und Lob bekommen, von Fans, Medien, Mitspielern. Das muss sich doch sehr gut anfühlen, oder ist Ihnen das nicht wichtig?

Doch, natürlich. Speziell von meinen Mitspielern. Das ist sehr schön und gibt Extra-Selbstvertrauen. Ich hatte aber die ganze Saison über ein gutes Gefühl. Nicht jedes Spiel war optimal von mir und von der Mannschaft. Aber es ist auch nicht einfach für einen Keeper, wenn man in 90 Minuten nur ein, zwei Schüsse aufs Tor bekommt.

Wie sehr haben Sie sich Ihrer Meinung nach in Ihrem Torwartspiel verbessert in dieser Saison?

Das ist schwer zu messen und das sollten lieber andere Leute beurteilen, aber ich spüre für mich, dass ich körperlich, mental und taktisch wichtige Schritte nach vorne gemacht habe. Aber das ist ein Prozess, der noch im Gange ist.

Nikola Vasilj: „Manchmal denke ich: Oh Gott, wow, puh …“

Die Art, wie St. Pauli von hinten herausspielt, ist fußballerisch eine große Herausforderung für den Torwart. Manchmal kriegen die Fans fast einen Herzinfarkt, wenn ein Gegner auf Sie zusprintet und Sie unter größtem Druck in letzter Sekunde noch einen gepflegten Pass spielen. Hand aufs Herz: Werden Sie nie nervös?

Ganz ehrlich? Während des Spiels spüre ich das nicht so sehr, aber nach dem Spiel, wenn ich mir solche Szenen anschaue, dann denke ich schon manchmal „Oh, mein Gott, wow, puh …“ (schmunzelt). Aber wir trainieren solche Situationen Tag für Tag, man gewöhnt sich einfach daran, wird immer ruhiger. Dann macht es dich auch im Spiel nicht nervös. Wir wollen bewusst auf den Druck des Gegners warten, wollen ihn kommen lassen und dann von hinten herausspielen. Das ist unser Spiel.

Woher kommt diese Ruhe, die Selbstsicherheit? Ist es das Training, hat sich das entwickelt oder ist es einfach auch Ihr Charakter?

Eine Mischung aus allem, würde ich sagen. Natürlich hat das viel mit dem Training mit unserem Torwarttrainer Marco (Knoop, d. Red.) zu tun, denn wir legen sehr viel Wert auf die Arbeit mit dem Fuß, aber es hat auch mit Spielpraxis und Erfahrung zu tun. Ich spiele jetzt meine dritte Saison in dieser Liga, kenne die Gegner und natürlich bin ich mit meinen Vorderleuten sehr gut eingespielt. Es passt derzeit einfach sehr gut zusammen.

Wer ist Ihr größter Kritiker? Sie selbst? Ihr Vater, der Profi-Keeper war und Torwarttrainer ist? Oder Ihr Bruder, ebenfalls Torhüter?

Ich selbst. Aber danach kommt gleich mein Vater – der findet immer irgendetwas zu bemängeln (schmunzelt).

Vasilj ist bereit für den Bundesliga-Aufstieg mit St. Pauli

Sind Sie bereit für den nächsten Schritt: die Bundesliga?

Wir haben es noch nicht geschafft und das ist erst mal das wichtigste Ziel, deshalb denke ich noch gar nicht viel darüber nach, wie es für mich in der Bundesliga wäre. Aber grundsätzlich traue ich mir diesen nächsten Schritt zu.

Aber mal ehrlich: Nikola Vasilj gegen die Offensive von Bayern München oder vor 80.000 in Dortmund – solche Szenarien müssen doch das Herz höher schlagen lassen?

Absolut! Die Bundesliga ist eine der besten Ligen der Welt. Dort mit St. Pauli zu spielen, wäre ein Traum. Aber wie schon gesagt: Es ist noch nicht so weit. Es liegt noch Arbeit vor uns.

Haben Sie das Gefühl, mit Ihrem Wechsel zu St. Pauli im Sommer 2021 alles richtig gemacht zu haben?

Es war die bislang beste Entscheidung meiner Karriere. Ich gebe zehn von zehn Punkte dafür! Ich bin sehr glücklich hier. Ich habe so viele tolle Leute kennengelernt, auch außerhalb des Vereins. Wenn mich Familie oder Freunde besuchen, sind alle begeistert von Hamburg. Das ist schön. Ich kann wirklich sagen, dass ich mich wie zu Hause fühle – und das gilt auch für meine Frau.

Aufstieg würde Chancen für Vasilj in Bosnien erhöhen

Glauben Sie, dass es Ihre Chancen in der Nationalmannschaft, wo sie seit einiger Zeit Reserve sind, erhöhen wird, wenn Sie in der Bundesliga spielen?

Das kann ich mir vorstellen, ja. Natürlich schaut ein Trainer darauf, wo seine Nationalspieler spielen, auf welchem Level, in welcher Liga. Ich bin sicher, dass es einen Unterschied machen kann.

Bosnien-Herzegowina bekommt im Juni einen neuen Nationaltrainer. In Hamburg ein sehr bekannter Name: Sergej Barbarez.

Ja, ich weiß. Er ist auch in unserer Nationalmannschaft eine große Legende. Ich kenne ihn nicht persönlich, aber ich habe nur gute Dinge über ihn gehört. Wir hatten so viele Trainerwechsel im Nationalteam in den vergangenen Jahren und ich hoffe und denke, dass er etwas Neues und Gutes bringt.

Hatten Sie schon Kontakt?

Wir haben kurz telefoniert, aber noch nicht persönlich miteinander gesprochen. Aber er lebt in Hamburg und hat gesagt, dass wir uns hier zusammensetzen werden.

Mit Sergej Barbarez hatte Nikola Vasilj bereits kurz Kontakt

Barbarez ist eine HSV-Legende, Sie die Nummer eins des Erzrivalen FC St. Pauli. Keine Angst, dass das Ihre Chancen schmälern wird?

(lacht) Nein, gar nicht! Das Telefonat war sehr nett und er hat mir nur das Beste gewünscht. Insofern bin ich überzeugt, dass das keine Rolle spielen wird.

Das Hamburger Derby kennt in Deutschland jeder. Aber nur wenige kennen das „Mostarski Derbi“, das Derby Ihrer Heimatstadt Mostar, eines der heißesten, brisantesten und härtesten im Weltfußball. Sie waren mittendrin. Wie war das?

(Holt tief Luft) Ja, es ist wirklich ein spezielles Derby. Es gibt in Mostar zwei große Klubs. Zrinjski und Velez. Ich habe in zwei oder drei Derbys im Tor gestanden. Das ist schon viele Jahre her – ich erinnere mich noch an ein 1:1 auswärts bei Velez.

Zrinjski ist Ihr Heimatverein, für den Sie in der Jugend gespielt haben und dort Profi geworden sind. Die Rivalität beider Klubs geht weit über das Sportliche hinaus.

Genau. Zrinjski ist der Klub der katholischen Kroaten im Land, Velez der Verein der muslimischen Bosniaken. Das ist natürlich eine besondere Konstellation. Da spielen viele Dinge mit hinein.

Mostar-Derby in Bosnien ist noch härter als in Hamburg

Die Rivalität wird geprägt vom Kampf um die sportliche Vormachtstellung, aber auch sehr stark von politischen, ethnischen und religiösen Konflikten. Seit dem Bosnienkrieg in den 1990er-Jahren ist Mostar geteilt. Im Westen wohnen die kroatisch-stämmigen Einwohner, im Osten Mostars die bosnischen Muslime. Getrennt werden beide Teile durch den Fluss Neretva. Das Derby spaltet die Stadt – wortwörtlich. Gästefans dürfen nicht ins Stadion.

Ja, das alles macht es zu einem sehr – ich möchte sagen – anderen Derby. Es ist eine große Sache in der Stadt, die im Vergleich zu Hamburg klein ist und auch die Stadien von Zrinjski und Velez sind klein. Soweit ich weiß, geht es mittlerweile aber nicht mehr ganz so viel um die Vergangenheit und heiß her wie früher. Ich muss dazu sagen, dass ich nicht so viel bosnische Liga schaue, nur ab und zu.

Haben Sie die Animositäten, die über das Sportliche hinausgehen, auch unter den Spielern auf dem Rasen gespürt?

Das ist hauptsächlich bei den Fans und der Öffentlichkeit ein Thema. Ich bin kroatisch-stämmig, aber ich habe so viele muslimische Freunde, habe serbische Freunde. Wir spielen in der Nationalmannschaft zusammen. Für mich machen Herkunft oder Religion keinen Unterschied. Ich sehe es sportlich. Und wenn Derby ist, dann ist Derby.

Ist das Hamburger Derby im Vergleich zum Mostar-Derby nicht geradezu normal?

Ich würde niemals ein Derby als normal bezeichnen – und dieses schon gar nicht. Es ist riesengroß. Größere Stadt, größere Stadien, die immer voll sind. Das Hamburger Derby hat viel Tradition. Ich bin wirklich sehr froh, ein Teil davon zu sein.

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