Die bizarre Gefühlswelt des Flughafen-Geiselnehmers: „Sie hat so schön geschlafen“

Die bizarre Gefühlswelt des Flughafen-Geiselnehmers: „Sie hat so schön geschlafen“

Sie habe so wunderschön geschlafen. Er habe gewusst, dass er sich ergeben müsse – doch es sei ihm nicht gelungen. Salman E. hat seine Tochter entführt. Er hat in die Luft geschossen, Brandsätze gelegt und den Hamburger Flughafen für rund 18 Stunden lahmgelegt. Die Tat schockte im vergangenen November die Stadt. Jetzt muss sich der Vater vor Gericht verantworten. Ein Prozess, der noch einmal ganz neue Einblicke in die Gefühlswelt und die bizarre Weltsicht des Geiselnehmers gibt.

Er streichelt ihren Kopf, sie hat ihre Augen geschlossen. So erinnert er sich. Ein inniger Vater-Tochter-Moment, wären da nicht die vielen Polizisten, die das Auto umzingelt haben.

Als Frau getarnt, Stimme verstellt

Es ist der 5. November des vergangenen Jahres, 7 Uhr morgens, als das Mädchen aufwacht. Zu der Zeit haben die beiden schon mehr als zehn Stunden in dem Auto ausgeharrt, auf dem Rollfeld des Airports, neben einer Maschine der Fluggesellschaft „Turkish Airlines“. E. will in diesen Stunden seine Ausreise in die Türkei erzwingen. Er will seine Tochter mitnehmen – gegen den Willen der Mutter.

Zwei Tage zuvor hat er sich bei „Ebay Kleinanzeigen“ als Frau ausgegeben und Interesse an einer Jacke vorgespielt, die seine Ex-Frau inseriert hatte. Sie verabreden sich für den folgenden Tag bei ihr zu Hause in Stade. E. soll seine Stimme verstellt haben, als er klingelte. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm vor, eine scharfe Waffe gezückt, seine Frau am Arm gepackt und in die Wohnung gezerrt zu haben. Erst soll er ihr das Handy weggenommen haben. Danach die gemeinsame Tochter. E. erzählt die Geschichte anders: Seine Ex habe ihn reingelassen, er und die kleine Tochter hätten sich im Wohnzimmer Fotos angeschaut. Dann habe seine Ex plötzlich aufgeschrien und die Polizei gerufen. Daraufhin sei er mit dem Mädchen aus der Wohnung gegangen.

Vor dem Wohnhaus habe er in die Luft geschossen, „um Abstand zu gewinnen“, wie er sagt. Danach fuhr er zum Flughafen, durchbrach mit dem geliehenen Audi drei Schranken, warf zwei Molotowcocktails und schoss erneut in die Luft. Zuvor habe er die Polizei über den Notruf informiert, dass er Bomben bei sich habe.

„Ich wollte nur, dass sie mir zuhören“

Die Bomben entpuppen sich später als Atrappen. „Ich wollte nur, dass sie mir zuhören“, sagt er. Die vierjährige Tochter, das betont der Angeklagte vor Gericht, habe von den Verhandlungen mit der Polizei nichts mitbekommen. Sie habe die ganze Nacht geschlafen. Er habe ihr Essen und Trinken in ihren Kita-Rucksack gepackt, in dem auch Spielzeug lag. Sie hätten gespielt und Musik gehört. Er habe schon früh gewusst, dass er sich ergeben müsse, aber nicht geschafft, sich von ihr zu verabschieden.

Salman E. mit seiner Tochter – und am Ende des 18-stündigen Nervenkriegs, als Spezialkräfte ihn festnehmen.
dpa/privat/MOPO-Bearbeitung

Salman E. mit seiner Tochter – und am Ende des 18-stündigen Nervenkriegs, als Spezialkräfte ihn festnehmen.

Die Polizisten hätten ihn vorher aufgefordert, seine Tochter schlafend zu übergeben. „Wie soll das gehen? Sie wacht auf und ihr Papa ist nicht mehr, sondern nur Fremde? Das geht nicht“, sagt er vor Gericht. Ihm sei es wichtig gewesen, dass sie in die Obhut ihrer Mutter komme. Seine Tochter habe nicht zulassen wollen, dass er sich ergibt, sie habe geweint. Am Ende ergibt er sich doch.

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Dann beschreibt der Angeklagte, wie er seine Tochter lange Zeit gar nicht habe sehen dürfen, wie die Verzweiflung in ihm wuchs. Die bittere Wahrheit: Er hatte das Kind schon einmal entführt, war mit dem Mädchen in der Türkei verschwunden. Das Gericht entzog ihm das Sorgerecht. Zum Zeitpunkt der Geiselnahe hat er das Mädchen 14 Monate nicht gesehen, eine Entscheidung über ein mögliches Kontaktrecht steht noch aus. Salman E. vor Gericht: „Wie viele Menschen müssen darüber entscheiden, ob ich meine Tochter sehen darf?“

Salman E. auf der Anklagebank in Hamburg.
Marcus Brandt/dpa

Salman E. auf der Anklagebank in Hamburg.

Der Richter kündigt an, das Sorgerechtsverfahren prüfen zu lassen. Er wolle sich die Einzelheiten anschauen und im Zuge des Prozesses auch mit dem Angeklagten über die Vorkommnisse sprechen. Aber: Die psychischen Folgen für die Tochter, die sie durch die Geiselnahme und die Situation erlebt hat, sind weder rückgängig zu machen noch zu messen.

Salman E. betont, dass es ihm bei der Sache nur um „Gerechtigkeit“ gegangen sei. Eine Auffassung, die viele sicher nicht teilen werden. Dem Angeklagten drohen viele Jahre im Gefängnis.

Die bizarre Gefühlswelt des Flughafen-Geiselnehmers: „Sie hat so schön geschlafen“ wurde gefunden bei mopo.de

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