Die letzten Österreicher in der Ukraine

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Königsfeld/Ust-Tschorna ist eine der Holzfällersiedlungen in der Ukraine, in denen sich österreichische Waldarbeiter Ende des 18. und Anfang des 19. Jahrhunderts niederließen. Die einst 221 Kolonisten, die Königsfeld und weitere Ortschaften besiedelten, kamen aus Ebensee, Ischl, Goisern und Gmunden. Ähnlich wie bei den Oberwischauer Zipsern war ihr Geschichte von schweren Lebensumständen und noch schwereren Arbeitsbedingungen geprägt. Auch wanderten die meisten Königsfelder Österreicher auf der Suche nach einem besseren Leben inzwischen wieder ins Ausland ab. Der Filmemacher Lukas Pitscheider, begleitet über drei Jahre lang von vier Personen aus der Gemeinde, die unterschiedlicher nicht sein könnten, zeigt die eine Gemeinsamkeit, die es dennoch gibt: die Geschichte um das Auswandern. Bei der Vorführung seines mehrfach ausgezeichneten Filmes in einem Berliner Kino führte Alfred Fellner mit Lukas Pitscheider folgendes Gespräch. 

Königsfeld liegt nicht direkt an einer touristischen Route Europas. Wie sind Sie auf dieses Tal gekommen? Und stimmt es, dass Sie zufällig auf diese Gegend gestoßen sind, als Sie per Anhalter durch die Ukraine gefahren sind?

Genau. Wenn man nicht zum Film kommt, kommt der Film zu dir. Bei mir war es eben der Zufall. Ich bin unbeabsichtigt in die Ukraine gekommen und da ist quasi das Thema an mich herangetreten. Man hat mir vorgestellt, dass es dort diese Sprachminderheit gibt, und ich als Vertreter einer Sprachminderheit, das Ladinische aus Südtirol, habe natürlich meine Ohren gespitzt. Ich wollte mir das ansehen und fand es so faszinierend, was ich vorgefunden habe, eben auch mit den einzelnen Schicksalen, die sich dort zugetragen haben, dass ich das unbedingt festhalten wollte

Wie kommt man unverhofft in die Ukraine?

Damals bin ich eben mit BlaBlaCar gefahren, das ist so etwas wie Autostoppen für Spießer. Ich wollte im April 2016 nach Budapest. Das war eine Woche, ich hatte nichts zu tun und wollte ein wenig raus aus der Stadt. Dann bin ich eben in Mukatschewo gelandet und war wirklich verzaubert von der Karpatenukraine. Ich bin im Gebirge gewandert, das war wunderschön, diese langen Straßen, diese schönen Kirchen. Das kann ich sehr empfehlen. Die Karpatenukraine, auch die flachen Gegenden, sind unglaublich schön. Mukatschewo ist die zweitgrößte Stadt dort, am Stadtrand gibt es eine Burg, Palanok, und rundherum sind deutsche Siedlungen. Auf Deutsch heißt es Plankendorf. Es gibt viele kleine Siedlungen mit ukrainisierten deutschen Namen, zum Beispiel Schenebron. Es gibt dort schon recht aktive Minderheiten, würde ich sagen, also mehr als in Königsfeld. Dort habe ich Marianna kennengelernt. Sie gehört zu den „Singenden Herzen“, einer Kulturgruppe, die nur aus Mädchen besteht. Sie reisen viel herum und leisten viel Kulturarbeit. Ich glaube, mittler-weile sind es mehrheitlich Ukrainer, die dort mitmachen. Sie haben mich ein wenig eingeweiht und mir von diesem abgelegenen Tal erzählt, wo man so schwer hinkommt, wo die Autos regelmäßig kaputt gehen, wenn man hinfährt. Seit Zeiten der Sowjetunion hat man sie nicht mehr gesehen, weil es so weit weg ist. Das fand ich sehr mysteriös, und dann wollte ich halt hin. Im Juli bin ich dann nochmal gezielt hingefahren, das war sehr spannend.

Was hat Sie dabei so beeindruckt?

Es kam mir wie eine Zeitreise vor. Die Bauweise, die Lebensweise, die Art zu sprechen, die Kuriosität, wie eine Zeitreise halt. Man hofft, dass es so bleibt, und wenn nicht, dann halten wir es in einem Film fest, denn so bleibt die Zeit stehen.

Die Dreharbeiten haben ja drei Jahre gedauert. Mich persönlich interessiert die Frage, ob drei Jahre genug sind, um solche Schicksale festzuhalten, oder vielleicht zu wenig? Oder geht nach drei Jahren der Sinn verloren? 

Das war natürlich ein Luxus, den ich mir nehmen musste. In der Regel hat man diese Zeit nicht. Aber ich habe mir einfach die Freiheit genommen, denn ich wollte Geschichten erzählen. Geschichten erzählen sich nicht an einem Tag mit einem Interview. Ich wollte wirklich zeigen, wie sich das in der Realität entwickelt, und dafür war es notwendig, sich die Zeit zu nehmen.

Natürlich könnte man diesen Film auch fortsetzen, man könnte eine zweite Episode machen. Das wäre sicherlich spannend. Wir haben einige Leute porträtiert, wie zum Beispiel den einen Protagonisten, der angekündigt hat, dass er sein Haus bauen will. Und ich habe immer gehofft, er baut es, damit ich das filmen kann. Bis zu dem Zeitpunkt hatte er es jedoch nicht getan, also musste ich mich damit zufriedengeben, dass er am Ende von seinen Plänen erzählt hat, wie er sein Haus bauen möchte. Hätte ich ein Jahr länger gewartet, hätte ich es vielleicht filmen können. Danach hat er sein Haus wirklich gebaut, sehr einfach, aber er hat es geschafft. Aber natürlich könnte man auch jetzt weiter filmen. Wer weiß, vielleicht mache ich das noch und filme weiter.

Die Menschen dort sind es gewohnt, dass Filmteams kommen. Es kommt einer und macht ein paar Interviews, da stehen sie freundlich zur Verfügung. Aber auf Dauer denken sie: „Habt ihr keine Arbeit? Wollt ihr die Gegend vermessen?“ Man sah uns oft am Wegesrand. „Hört das nie auf? Ihr seid schon wieder hier?“ Wir waren fünf oder sechs Mal dort. Einmal sehr lange, ich glaube drei Wochen, einmal nur für zwei Tage. Das war das kürzeste.

Wie ist das für eine Person, die aus dem Westen kommt, aus Mitteleuropa, die in Wien gelebt hat? Ist das ein Kulturschock?

Ah, Kulturschock, oh Gott. Schock ist etwas Negatives, oder? Ganz im Gegenteil, das ist schön. Da geht mein Herz auf, wenn ich solche Orte sehe. Natürlich gibt es auch schockierende Dinge zu sehen, wie Alkoholismus. Wenn man hinter die Fassade blickt, sieht man auch dramatische Ereignisse, die passieren, wie verwahrloste Kinder. Man bekommt alles Mögliche mit. Aber ich hatte keinen Kulturschock, ganz im Gegenteil.

Wie empfinden die Einheimischen es, dass ein Film über Königsfeld gedreht wird? 

Es gab bereits Berichte, glaube ich auf News.at, die vor mir gemacht wurden. Diese waren noch rustikaler. Das war einfach ein Bericht. Ein Team ist hingefahren, für zwei bis drei Tage, hat ein paar Interviews gemacht. Aber das ist nicht dasselbe. Hier handelt es sich um einen Kinofilm. Die Aufgabe hier ist es, zu fühlen, wie es ist. Das andere ist lediglich Wissensvermittlung. Hier hast du nach eineinhalb Stunden das Gefühl zu wissen, wie es ist, die Trauer, die Emotionen. Das ist eine andere Aufgabenstellung. Soweit ich weiß, war ich der erste, der einen Kinofilm über das Dorf gedreht hat.

Um auf die Frage zurückzukommen: Am Anfang waren die Einheimischen sehr dankbar, sie hatten so eine Art Dankbarkeitsgefühl gegenüber den Österrei-chern, weil sie sehr viel geholfen haben. Ich glaube, ohne die Hilfsorganisationen hätten die Hälfte der Haushalte kein fließendes Wasser gehabt. Da dachten sie, „Ah, die Österreicher, da stehen wir in der Pflicht, da müssen wir uns zur Verfügung stellen.“ Aber mehr dann nicht. Einige Protagonisten sind auch abgesprungen. Viele sind kamerascheu, manche Szenen konnten wir nicht umsetzen. Aber alle sind sehr glücklich darüber, dass es den Film gibt. Natürlich hat der Film sie auch ein Stück weit bekannt gemacht. Dass die Touristenzahlen gestiegen sind, denke ich jedoch nicht.

Haben Sie das Gefühl gehabt, dass diese österreichische Identität weiterlebt?

Die ist am Aussterben. Das sagen auch die Leute selbst. Es ist ein einziges Wehklagen. Viele erzählen, wie schön im Frühling der Almabtrieb war und wie sie gesungen und getanzt haben, aber jetzt ist alles weg. Alles verschwindet. Ich denke, es war eine sehr, sehr reiche Kultur, mit Liedgut, und jetzt ist alles weg.

Dennoch tragen solche Filme zur Sichtbarkeit bei. Würden Sie sagen, dass ein solcher Film helfen kann, dass eine Minderheit für längere Zeit erhalten bleibt, vielleicht als visuelles Archiv?

Ja, definitiv als Archiv. Ich denke, das ist ein Dokument. Ich habe mir gedacht, ich will ein Denkmal setzen, damit sich die Sprachgruppe vor Ort erhält. Ich glaube jedoch nicht, dass dies in der Macht eines Films liegt. Manche Filmemacher, die sich das anmaßen, wollen die Welt verändern, da schätzen sie sich ein wenig zu wichtig ein. Was für eine Familie ein Fotoalbum ist, ist für eine Sprachgruppe ein Film.

Wird es einen zweiten Teil geben?

Ja, mal schauen. Es ist schon sehr mühsam, so etwas zu machen. Man kann auch nicht sein ganzes Leben von einer Sprachinsel zur anderen gehen. Irgendwann ist auch der kreative Anspruch nicht mehr gegeben. Ich muss auch sagen, bei so einem Film kann man auch kaum kostendeckend arbeiten. Das macht man einmal, wenn man das Herzblut hat.

Der Film wurde zu verschiedenen Events und Festivals in vielen Ländern gezeigt, darunter Italien, Schweiz, Deutschland, Ukraine, Rumänien und Serbien. Auch gab es für den Film Auszeichnungen. Was mögen Menschen an Filmen wie diesen?

Es waren sogar noch mehr Länder, ich glaube, es waren an die 25. Wir waren in Japan, in Indien, in Israel, in der Moldau, Griechenland. Preise waren es vier. Nicht so viele.

Das ist eine gute Frage. Ich denke, jeder wählt das aus, was ihn persönlich anspricht. Wenn man ein Katzenliebhaber ist, dann schaut man sich vielleicht das süße Katzenvideo an. Wenn man ein Sprachforscher ist, dann interessiert man sich vielleicht mehr für die Sprache. Ich denke, der Zuschauer bestimmt das, weniger das Medium.

Vielleicht ist es auch ein wenig die Wehmut. Dass man an die Kindheit früher erinnert wird, die es heute so nicht mehr gibt.

Vielen Dank für das Gespräch. 

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