„Die Menschen hier haben noch wirklich Zeit füreinander“

„Die Menschen hier haben noch wirklich Zeit füreinander“

Manchmal sieht man ihn auf den alten Gassen von Hermannstadt/Sibiu seine Hunde an der Leine spazieren führen, und er schaut wirklich immer freundlich entspannt. Gar nicht so selbstverständlich, wenn man bedenkt, was für ein Arbeitsleben Robert Bas in seiner Heimat, den Niederlanden, hinter sich hat. Als frischgebackener Pensionär zog er gleich nach Aufhebung des ersten pandemischen Lockdowns Mitte Mai 2020 mit seiner Frau Beatrice nach Hermannstadt. Sie ist Psychiaterin und in ihre Heimatstadt zurückgekehrt. Weil sie 30 Jahre in Holland gelebt hat, könne auch er 30 Jahre in Rumänien leben, sagt Robert Bas begeistert. Als er die Stadt 2003 zum ersten Mal sah, gab es „nur drei Restaurants. Und keine Menschen auf der Straße.“ Aber sie habe sich sehr stark verändert, und „die Rumänen hier in Hermannstadt wissen, dass sie anders als die Rumänen im Süden sind.“

Auch mit Musik beschäftigt sich Robert Bas, der in einer ganz anderen Domäne ausgebildet wurde und als Quereinsteiger in einem sehr wichtigen wie schwierigen Feld Karriere gemacht hat, gerne. Das Appartement im Brukenthal-Palais in der Hermannstädter Reispergasse/Avram Iancu, das er 2006 gekauft und als Musik-Raum genutzt hat, verkauft er gerade. Das Loswerden jedoch hat mit „sehr viel Bürokratie“ zu tun – einer von wenigen, aber sehr harten Punkten der Kritik von Robert Bas an seiner Wahlheimat. „Unbedingt behalten“ werden müsse dafür „das habsburgische Erbe Hermannstadts“, wogegen ihm das orthodox-konservative Rumänien noch zu viel Wert auf die Meinung von Priestern legt. Eine Sichtweise, die im katholischen Holland seit 50 Jahren nicht mehr gelte. Klaus Philippi hat Robert Bas zu seiner Biografie und seinem Vergleichsblick auf Rumänien und die Niederlande befragt.

Herr Robert Bas, wann, wo und wie verlief Ihre Erstbegegnung mit Rumänien?

Im Dezember 1989 in Temeswar. Die Revolution war ausgebrochen, und eben noch zwei Monate zuvor war meine Frau aus Rumänien zu mir nach Holland umgezogen. Da ich als Journalist manchmal auch in die DDR gereist bin, bekam ich nicht nur die Aufregungen um den Mauerfall in Lebensechtzeit mit, sondern über Mundfunk auch ungefähre Informationen über das, was gerade in Rumänien passierte. Mit einem Presseagentur-Kollegen bin ich auf der Stelle nach Österreich gefahren, wo wir darauf warteten, dass uns gesagt würde, wann wir uns nach Rumänien vorwagen könnten. Und mit Kollegen von der BBC bin ich am 20. Dezember 1989 in Temeswar angekommen. Geblieben sind wir bis Weihnachten und nach der Erschießung von Ceau{escu gleich wieder abgereist, weil damals auch ich als Fotograf aktiv war und wir alle von unterwegs unsere Fotos nicht per Post in den Westen schicken konnten. Besonders Diapositive in Schwarzweiß und Farbe haben wir entwickelt, und unsere Fotos sind von Zeitungen in Österreich, Deutschland und Holland gedruckt worden.

Die Grenze nach Rumänien habe ich in einer mehrheitlich britisch besetzten Gruppe passiert, der auch je ein Reporter aus Italien und Australien angehörten. Wir sind als Kolonne durch Arad bis nach Temeswar in ein von Soldaten bewachtes Hotel begleitet worden, das nachts den Schüssen ausgeliefert war. Also kann ich behaupten, gleich während meines ersten Aufenthalts in Rumänien beschossen worden zu sein, toll!

Und wie haben Sie das postrevolutionäre Rumänien zum ersten Mal erlebt?

Monate später wollte meine Frau ihre Eltern in Bukarest besuchen, wo wir kurze Zeit nach der ersten gewaltsamen Niederschlagung einer bürgerlich oppositionellen Demonstrationsbewegung durch Bergarbeiter aus dem Schiltal/Valea Jiului eintrafen. Diese erste von mehreren „Mineriaden“ bestimmte das Gesamtbild, mit dem wir uns konfrontiert sahen.

Woraus hat sich Ihre Karriere in der Presse ergeben?

Ich habe Geschichte in Leiden studiert und dort zeitgleich für eine Zeitung gearbeitet, um mein Studium bezahlen zu können. Es war am lohnendsten, in der Presse zu bleiben, denn für Historiker war der Jobmangel das Problem schlechthin. Aber ich hatte Glück vom Start weg. Angefangen habe somit ich bei einer Lokalzeitung, dann schaffte ich es zu einer Nationalzeitung, es folgte die Beschäftigung bei einer Presse-Agentur und zuletzt die spannende Arbeit für die NOS (Nederlandse Omroep Stichting), die holländische BBC, bei der ich ganz freie Hand als Investigativ-Journalist hatte. Das habe ich gemeinsam mit einem Kollegen auch voll ausgenützt und mich auf organisierte Kriminalität, Mafia, Terrorismus und Extremismus im Islam und des politisch rechten Spektrums spezialisiert.

Als studierter Historiker können Sie das, was in Rumänien nach 1989 falsch verstanden worden ist, bestimmt genau beschreiben.

Anfangs in Temeswar war die Revolution wirklich eine Revolution, denke ich. Aber die Leute hinter Ceau{escu haben sie missbraucht, um die Macht an sich zu reißen. Leider sind die kommunistischen Nachfolgeparteien  nicht zu übersehen. In der rumänischen Politik geht es um nichts anderes als Macht statt um all das, was getan werden könnte, um dem Land auf die Sprünge zu helfen. Sehr schlecht, dass die PSD und PNL mit der USR nichts zu tun haben wollen!

Was wären Fehlentwicklungen im Westen, die Rumänien nicht kopieren oder sich zumindest darauf einstellen sollte, wenn sie unvermeidbar sind?

Holland, Deutschland und selbstverständlich auch andere Staaten erleben aktuell sehr viele Spannungen wegen der demografischen Neuerungen. Die letzten fünf Jahre meiner journalistisch aktiven Zeit habe ich in Rotterdam recherchiert, wo die Bevölkerung sich zur Hälfte aus nicht-gebürtigen Niederländern zusammenrechnet. Dort leben beson-ders viele Türken und Marokkaner, und insgesamt stehen mehr als 100 Nationalitäten zu Buche, was viele Großstädte der Niederlande genauso kennzeichnet. Das führt zu Problemen, weil die zugewanderten Leute sich nicht gut integrieren. Jüngst bei den letzten Parlamentswahlen Hollands haben die Populisten und Rechtsextremen deswegen auch stärkere Ergebnisse eingefahren, weil die Menschen sich in den Städten nicht mehr heimisch fühlen. Das könnte so auch in Rumänien geschehen. Es herrscht Mangel an unqualifizierten Arbeitern, und so kommen sie eben von weit weg aus anderen Ländern auch nach Rumänien. Aber niemand hat ein Konzept für ihre gesellschaftliche Integration parat. Bei denen, die nur ein paar Jahre bleiben und mit angespartem Geld in der Tasche zurück in ihre Heimat gehen, spielt ihre Integration keine wichtige Rolle. Doch wer hier dauerhaft sesshaft werden will, müsste zuerst einmal Rumänisch lernen und sich nebenher noch um viele andere Sachen kümmern. Wobei ich noch nicht beobachte, dass Rumänien solchen Personen hilft. Gutgehende Integration von alleine ist nicht selbstverständlich.
Ein ganz anderes Thema ist Landwirtschaft, aber auch die bereitet in Holland Probleme. Kleinbauern sind immer größer und größer geworden, haben Fabriken gegründet und die Umwelt beschädigt. In Rumänien dagegen leben noch sehr viele Kleinbauern, was sehr gut ist, weil die vielen Tierzucht-Fabriken die Natur einfach mit zu viel Antibiotika und Stickstoff belasten. Holland steckt gerade im Versuch, Großbauern für das Reduzieren auf Bio zu begeistern. Ich wäre sehr froh, wenn Rumänien an seinen vielen Kleinbauern, die es hat, festhält. Das ist die Zukunft.

Welche Gewichtung negativer und positiver Nachrichten im Verhältnis zueinander war und ist Ihrer Meinung nach noch immer die beste, die gesündeste Mischung?

Schwierig, ja. Eine Tagesschau im Fernsehen oder Rundfunk bringt zwar Neuigkeiten aus der ganzen Welt, nur ist sehr viel Schlechtes darunter. In Redaktionen dafür, wo ich beteiligt gewesen bin, war es üblich, eine Nachricht aus der künstlerischen Sparte oder einen glücklichen Wetterbericht an den Schluss der Tagesschau zu setzen. Ich finde das wichtig, um kollektiver Depression unter Zuschauern vorzubeugen. Nicht einfach in Zeiten wie heute, wo ein Krieg in der Ukraine und ein anderer in Israel geführt wird. Man sollte trotzdem oder genau deswegen Bescheid wissen und sich in 15 bis höchstens 20 Minuten darüber informieren können. Das ist der Grund, warum Positives in Rekordzeit gemeldet wird. Aber auch schlechte News können positiv sein, weil sie Probleme anzeigen, die gelöst gehören. Über die Klimakrise zum Beispiel wollen sehr viele Menschen nicht mehr informiert werden, weil sie nicht mehr glauben, dass sie sich noch stoppen lässt, doch von den Initiativen zu ihrer Kontrolle, die es gibt, muss unbedingt auch weiterhin medial berichtet werden.

Was wusste man in Holland vom kommunistischen Rumänien?

Sehr wenig. Eigentlich glaubte man nur zu wissen, dass Rumänien das etwas andere Land im kommunistischen Block war. Ceau{escu hatte die Königin der Niederlande und die Königin von England besucht, also lohnt es sich, die Freundschaft zu ihm zu pflegen, da er nicht an den Mann aus Moskau glaubt. Ein Bild, das lange Zeit nicht durchschaut wurde. Überhaupt wusste man in Holland fast gar nichts von Ungarn und Rumänien. Gelegentlich fuhren Leute aus den Niederlanden ans Schwarze Meer, aber das war auch alles. In den letzten kommunistischen Jahren Rumäniens allerdings gab es christlich motivierte Kontakte aus Holland zu Reformierten in Ungarn, die von den sehr schlechten Zuständen im Nachbarland erzählten, von der Zerstörung von Dörfern. Viel Veränderung am breiten Bild von Rumänien in Holland brachte es trotzdem nicht.

Und wie erklärt es sich, dass immer mehr Leute aus dem Westen wie auch Sie Rumänien seit einigen Jahren auf einmal spannend finden und ihren Lebensraum hierher verschieben?

Das Leben hier geht langsamer. Mein Beruf im Westen hat mir 50 Wochenstunden abverlangt. Als Medien-Experte für Terrorismus musste ich täglich 24 Stunden telefonisch erreichbar sein können. Meine Frau hatte es als Psychiaterin auch nicht viel einfacher. Das Leben im Westen ist kompliziert und mit sehr hohem Arbeitsdruck verbunden. In Rumänien ist der öffentliche Lebensraum noch sehr viel weniger dicht besiedelt, und die Menschen haben wirklich Zeit füreinander. Die man nicht hat, wenn man 50 Stunden pro Woche arbeitet.

Als Sie vor etwa zwei Jahren zum ersten Mal in einer Probe des Hermannstädter Bachchors mitgesungen und sich in der Pause als pensionierter Journalist mit Erfahrung im Recherchieren von Korruption vorgestellt haben, ging ein leises Raunen durch die Stuhlreihen. Was, Korruption im wohlhabenden und korrekten Holland, das gerne über den Osten der EU nörgelt? Erzählen Sie vom Gegenteil des Klischees!

Auch in den Niederlanden gibt es Korruption, aber anders als in Rumänien. Hollands Korruption hat vor allem mit organisierter Kriminalität zu tun; Rotterdam ist ein Umschlagplatz für Kokain aus Südamerika. Alles Kokain auf dem Schwarzmarkt Europas kommt über Rotterdam auf den Kontinenten, und dabei geht es um sehr, sehr, sehr viel Geld. Ich habe berechnet, dass im berüchtigten Südviertel Rotterdams jährlich drei Milliarden US-Dollar über den Drogenhandel kriminell erwirtschaftet werden. Genau das war das Thema meiner Untersuchungen während meiner letzten fünf Jahre Arbeit vor Eintritt in den Ruhestand. Ich habe viel herausgefunden und doch nur die Spitze des Eisbergs entdeckt. In Rumänien ist die Korruption noch etwas Alltägliches, doch in Holland, Deutschland, Frankreich und England ist sie von der Kriminalität nicht mehr zu trennen.

Einmal habe ich im Haus eines Mannes recherchieren können, der vom Kokain-Handel profitiert hatte. Er wusste gar nicht mehr, was er mit dem unglaublich vielen Geld anfangen soll. Auf den Straßen Hollands sind 18 bis 19 Jahre alte Leute zu sehen, die Maserati fahren. Ich fürchte, so weit könnte es wegen der Drogen auch in Rumänien kommen. Für mich besteht das Problem darin, dass die Polizei Hollands nicht über die nötigen Mittel zur Recherche aus eigenen Kräften verfügt. Seit 2009 ist in Rotterdam ein Marokkaner Bürgermeister, mit dem ich sehr gut kooperiert habe. Alle ein bis zwei Wochen beobachtete er im Südviertel inkognito, was vor sich geht, und lieferte mir Informationen. Sämtliche Cafés dort gehören Albanern, und der Bürgermeister hat in den Stockwerken der Cafés viele Casinos entdeckt. Die Casinos wurden geschlossen, doch der Schwarzmarkt ist enorm gewachsen. In Rumänien ist das noch kein Problem und die Kriminalität klein. In der Hafenstadt Konstanza mag sie etwas größer sein, aber mit den Schwierigkeiten in den Niederlanden ist das in seiner Breite nicht gleichzusetzen.

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