Dixi-Prämie, Bahn-Chaos, Strafanzeigen, kein Krawall – Rostock-Bilanz mit Rätseln

Dixi-Prämie, Bahn-Chaos, Strafanzeigen, kein Krawall – Rostock-Bilanz mit Rätseln

Das Allerbeste am Nordduell zwischen dem FC St. Pauli und Hansa Rostock? Es wurde nach dem Abpfiff und auch am Tag danach vor allem über das Spiel gesprochen. Über den 1:0-Sieg der Kiezkicker, über Kopfball-Monster Jackson Irvine, den Riesenschritt in Richtung Bundesliga und über das historische Überflügeln des HSV in dieser Saison. Kurz: Über Fußball, nicht über Krawall. Warum das Duell der Erzrivalen und Aufeinandertreffen der verfeindeten Fanszenen so ruhig verlaufen ist – darüber wird noch immer gerätselt. Es gibt zwei Theorien: Panne oder Plan.  

Die wichtigste Nachricht zuerst: Den 40 Dixi-Klos, die für die Gästefans aufgestellt worden waren, geht es gut. Sie sind noch intakt, ganz – wenngleich bei dem ein oder anderen Exemplar der Zustand durchaus mit „beschissen“ beschrieben werden kann, was aber zum Job-Profil gehört. In vier der mobilen Kunststoff-Toiletten wurde brennbares Material gefunden, das jedoch nicht entzündet worden war.

Dixi-Klos für Hansa-Fans – Firma will jetzt Prämien zahlen

Da die Firma, die die Dixi-Klos im Gästebereich der Nordtribüne des Millerntorstadions aufgestellt hat, vor dem Spiel werbewirksam für jede unzerstörte Toilette 100 Euro Spende für den Nachwuchs von Hansa Rostock in Aussicht gestellt hatte, darf sich dieser jetzt über 4000 Euro freuen – wenn der Verein das Geld überhaupt annehmen will. Das käme überraschend.

Nicht minder überraschend war das Verhalten der Gästefans im Stadion. Kein Pyro, keine Choreo, kein Klamotten-Motto, keine Gesichtsmasken, keine schlimmen verbalen oder schriftlichen Entgleisungen – und keine Randale.

Die befürchtete Eskalation, wie zuletzt im Februar 2023, blieb aus. Zum Glück.

St. Pauli nach Duell ohne Eskalation „erleichtert“

„So soll es sein, so soll ein Derby sein“, fand St. Pauli-Trainer Fabian Hürzeler, der seine Mannschaft mit Vorfeld auf mögliche Szenarien mit Spielunterbrechungen eingestellt hatte. „Der Schwerpunkt soll auf dem Platz liegen.“

St. Pauli-Sprecher Patrick Gensing sagte am Tag nach dem Spiel gegenüber der MOPO: „Wir sind froh und erleichtert, dass unser Konzept aufgegangen und es im Stadion friedlich geblieben ist.“

Aber viele fragen sich: Was war das los im Hansa-Block? Besser: Was war da nicht los? Und warum nicht?

Der Rostocker Gästeblock am Millerntor
WITTERS

Der Rostocker Gästeblock am Millerntor

Warum waren die Hansa-Fans am Millerntor so brav?

Es war laut, sehr laut sogar. Das Feuerwerk war verbaler Natur. Ein durchaus eindrucksvoller Support der eigenen Mannschaft. Die obligatorischen „Scheiß St. Pauli!“-Sprechchöre gehören zur Nordderby-Folklore und wurden aus der Südkurve entsprechend beantwortet. Normal.

Dennoch war die sogenannte „Performance“ des Hansa-Anhangs in einem solchen Spiel und angesichts der enormen Rivalität nach Ultra-Maßstäben dürftig.

Panne oder Plan?

Hauptbahnhof-Chaos: Kamen viele Rostocker gar nicht ins Stadion?

Eine mögliche Erklärung, die schon kurz vor Spielbeginn die Runde machte und sich weiter hält: Aufgrund des Zugunfalls und der stundenlangen Sperrung des Hamburger Hauptbahnhofes war die Anreise (und später auch die Abreise) der Fans beider Vereine zum Stadion massiv beeinträchtigt worden. Nicht alle der 2616 Rostock-Fans mit Ticket (die Zahl kommt vom FC Hansa) schafften es ins Stadion. Eine mit der Bahn anreisende Gruppe von rund 200 Fans soll festgesessen haben – und bei diesen Personen soll es sich um den harten Kern, darunter die schlimmsten Krawallmacher, gehandelt haben. Sie hatten, so eine Vermutung, auch die Pyrotechnik und anderes Material dabei, die dann auch nicht den Weg ins Stadion fanden.

Auffällig war, dass der Hansa-Anhang nicht in einer großen Gruppe anreiste, sondern mehreren Hundertschaften anreiste. So parkte eine Schar von rund 200 Personen auf dem Gelände von Blohm & Voss am südlichen Elbufer und marschierte durch den Alten Elbtunnel zu den Landungsbrücken und von dort zum Stadion. Eine andere Fangruppe etwa reiste mit dem Zug über Ahrensburg an und von dort mit der U-Bahn weiter nach Hamburg. Wiederum andere nahmen die Südroute.

Rostock-Ultras und Verein mauerten bei Anreise-Plänen

Das hatte offensichtlich System. Weder der FC St. Pauli noch die Hamburger Polizei sollen im Vorfeld über die Anreisepläne der Gästefans in Kenntnis gesetzt oder gar in die Planungen einbezogen worden sein. Auf das Angebot der Hamburger Polizei für einen großen und von Sicherheitskräften begleiteten Rostocker Fanmarsch wurde nach MOPO-Informationen gar nicht reagiert. Anders als in den vergangenen Jahren gab es diesmal auch keinen Austausch zwischen den Fanprojekten beider Vereine und die Kommunikation zwischen den Klubs war nach MOPO-Informationen ebenfalls auf ein Minimum beschränkt. Man könnte sagen: Hansa mauerte auf allen Ebenen.

Auf der Homepage der „Suptras Rostock“, größte und dominierende Ultra-Gruppierung, fand sich im Vorfeld keine der sonst obligatorischen Infos zu einem anstehenden Auswärts- oder Heimspiel, kein Aufruf zu besonderen Aktionen für dieses besondere Spiel. Nichts. Ein klares Zeichen. Null-Informations-Politik. Fast ein Versteckspiel.

Hansa-Ultras: Zurückhaltung als gezielte Aktion?

War es also vielmehr der Plan der Hansa-Fans, nicht nur so unauffällig wie möglich nach Hamburg zu reisen, sondern sich auch im Stadion „ganz normal“ wie Fußballfans zu verhalten? Weil niemand damit rechnete?

Das ist die zweite Theorie, die einer, der beide Fanszenen gut kennt, für durchaus möglich hält. Das bewusste Gegenteil von dem zu tun, was alle denken und erwarten. Damit für Irritationen zu sorgen – und sich genau darüber zu freuen. Dazu würde passen, dass die Hansa-Ultras im Vorfeld über ihre Fanbetreuung gar keine größere Choreo beim gastgebenden Verein St. Pauli angemeldet hatten, was das übliche Prozedere ist. Dass „Suptra Rostock“ im Block war, zeigten Zaunfahnen.

Was auch immer der Grund für den untypischen Auftritt des Hansa-Anhangs war: das Resultat ist erfreulich.

Acht Strafanzeigen, aber Polizei zieht positive Bilanz

Die Hamburger Polizei zieht eine „positive Bilanz“, berichtet von einem Zwischenfall nach dem Spiel. Demnach hätten beim Abmarsch von 200 Hansa-Fans in Richtung Alter Elbtunnel „circa 300 in Teilen vermummte Personen“ versucht, den Gästefanmarsch über das Heiligengeistfeld zu erreichen, was durch schnelles Einschreiten der Polizeikräfte verhindert wurde“. Insgesamt aber sei die Fantrennung und Sicherheit aller Stadion-Besuchenden „sehr erfolgreich gewährleistet“ worden.

Auf MOPO-Anfrage bestätigte die Polizei Hamburg acht Strafanzeigen im Zusammenhang mit dem Spiel. Die Delikte betreffen das Abbrennen von Pyrotechnik (viermal), Beleidigung (zweimal), sowie Widerstand gegen Beamte und Körperverletzung (jeweils einmal).

Klare Ansage auf der Anzeigetafel am Millerntor
IMAGO/Steinbrenner

Klare Ansage auf der Anzeigetafel am Millerntor

Für Gesprächsstoff sorgte am Rande des Spiels und im Nachgang auch der „Dixi-Rock“, ein Punkrocksong, der eine halbe Stunde vor Anpfiff über die Stadionanlage abgespielt worden war, mit St. Pauli den Gäste-Anhang auf die Schippe nahm („für Hansa-Fans nur Dixi-Klo“).

So lief die Nummer mit dem „Dixi-Rock“-Song im Stadion

Für das Lied verantwortlich ist Tommy Molotow, bürgerlich Thomas Koeppe, Sänger der früheren Deutschpunk-Band Molotow Soda, langjähriges St. Pauli-Mitglied und im Verein tätig. Koeppe soll den Song zunächst „just for fun“ komponiert haben, nachdem klar war, dass der Verein 40 Dixi-Klos für die Fans aus Rostock aufstellen würde, weil diese beim letzten Gastspiel am Millerntor die sanitären Anlagen zerstört hatten.

„Tommy Molotow“ Koeppe ließ die fertige Version des Songs Personen im Verein zukommen und es gab dem Vernehmen nach die Idee, den Song im Rahmen des Heimspiels gegen Rostock im Stadion zu spielen. Diese stieß nicht bei allen auf Begeisterung, aber nach einigen internen Diskussionen wurde entschieden: machen.

Den meisten St. Pauli-Fans gefiel das. Das war im Stadion nicht zu überhören. Große Ausnahme: der Gästeblock. Die Reaktion: ebenfalls akustisch.

Dixi-Prämie, Bahn-Chaos, Strafanzeigen, kein Krawall – Rostock-Bilanz mit Rätseln wurde gefunden bei mopo.de

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