„Es ist ein Geben und Nehmen“

„Es ist ein Geben und Nehmen“

Deutsche, die für ein Jahr einen Freiwilligendienst leisten, sind seit Jahrzehnten keine Seltenheit in Rumänien und eine willkommene Bereicherung in vielen sozialen und karitativen Einrichtungen. Doch seit der Pandemie nimmt die Zahl der Bewerbungen immer mehr ab. Hossein Saleh ist ein iranisch-stämmiger 69-jähriger Frankfurter, der momentan an einer Schule in Bukarest einen Freiwilligendienst leistet. 

Es ist kurz nach zwölf in einer Schule im zweiten Bezirk in Bukarest. Kinder sitzen in ihren Schulbänken, schreiben, schauen aus dem Fenster und beobachten die Frühlingssonne. Plötzlich geht die Tür auf und zwei Männer mit großen Kartons treten herein, eine leichte Unruhe kommt in der Klasse auf. „Domnul José! Ce mai faceți?” (Herr José, wie geht es Ihnen?), fragt eine Schülerin, während sie von ihrem Platz aufsteht und auf eben jenen José zuläuft. „Bine, bine” (gut, gut), lacht dieser ihr zu und packt währenddessen Brötchen und Suppe aus den Kartons aus, bevor beide Männer noch ein wenig mit den anderen Kindern plaudern und dann ins nächste Klassenzimmer verschwinden. 

Hinter dem freundlichen „domnul José“ steckt Hossein Saleh, der seit September 2023 in der Hauptschule 145 im Bukarester Nordosten arbeitet. Er gibt nicht nur das Essen aus, sondern hilft auch bei den Hausaufgaben, spielt mit den Kindern auf dem Hof oder im Sportraum Tischtennis oder zeigt ihnen, wie man ein Rad schlägt. „Bei den Rumänisch-Hausaufgaben kann ich noch nicht so gut helfen, aber Mathe und Zahlen, das klappt sehr gut”, erklärt der 69-jährige Frankfurter, der als Freiwilliger nach Rumänien gekommen ist. 

Als Ruheständler Freiwilligendienst in unbekanntem Land

Bevor er in den Ruhestand gegangen ist, war Hossein Saleh im Kreis Offenbach als Sozialarbeiter im sozialpsychiatrischen Dienst tätig, hat Menschen beraten und begleitet, Kontakte zu Kliniken und Ämtern hergestellt. 

Kurz nach seiner Pensionierung war schnell für ihn klar, dass er für ein Jahr „etwas Sinnvolles“ in einem anderen Land tun möchte, am liebsten in einem spanischsprachigen. Aber dann ist es Rumänien geworden. Nun ist er seit August letzten Jahres in Bukarest, hat eine Wohnung gefunden und erkundet langsam die Stadt. „Klar, meine Frau war nicht sehr begeistert und das Leben hier ist schwerer als es für mich in Deutschland war”, erklärt Saleh. „Trotzdem ist dieser Freiwilligendienst eine große Lebenserfahrung, die ich nicht missen möchte.”

Nachmittagsangebot für Kinder 

Das After-School-Programm, bei dem Saleh als Freiwilliger arbeitet, wird seit 2022 von der Organisation „Salva]i Copiii România“ (deutsch: Rettet die Kinder in Rumänien) ausgerichtet und vom Rathaus des zweiten Bezirks finanziert. Daniela Boloza, die das Programm in der Hauptschule 145 leitet, erklärt, dass rund 100 Kinder – von der Vorschule bis zur 8. Klasse – täglich davon profitieren. „Es geht hier vor allem um jene Kinder, die aus einem benachteiligten Elternhaus kommen, die vielleicht mit der gesamten Familie in einem Zimmer leben und einfach etwas mehr Hilfe brauchen”, erklärt Boloza. Konkret unterstützt das Programm neben Essen und Betreuung auch mit zwei psychologischen Beraterinnen, dem Ausgeben von Sachmitteln wie Stiften, Radiergummis oder auch Kleidung. Das Pilotprogramm läuft noch bis zum Ende diesen Jahres und könnte verstetigt werden, wenn es aus dem Rathaus grünes Licht dafür gibt. 

Bukarest: Schulen als Treffpunkt von Kulturen und Sprachen

„Hossein ist eine tolle Ergänzung für unsere Arbeit”, erklärt Boloza. Für Saleh selbst ist es wichtig, dass er als Freiwilliger auch oft eine beobachtende, unterstützende, aber nie essenzielle Rolle einnimmt: „Wenn ich nicht da bin, wird auch niemand anderes eingestellt, ich bin nicht hierher gekommen, weil ich denke, dass ich irgendwas beweisen muss oder besser kann.”

Vielmehr sei seine Arbeit ein Geben und Nehmen: „Das Spannende ist, dass die Kinder keine Scheu haben, mir die Sprache zu vermitteln. Ich lerne jeden Tag etwas Neues von ihnen.” Besonders sei die Beziehung, die er zu den Kindern hat, da er schon eine gewisse Autorität genießt, aber auch kein Lehrer sei. „Manchmal sagen die Kinder zu mir: ‚Du bist mein Bruder’, aber ich könnte doch ihr Opa sein”, fügt er grinsend hinzu. 

Angesprochen auf seine deutsch-iranische Identität, erklärt er, dass es immer mal wieder komische Blicke oder Fragen gebe: Ob er nun Muslim sei, ob er kein Schweinefleisch esse. „Aber sowas fragen nur die Erwachsenen, den Kindern ist das egal. Die schauen darauf, ob du nett bist, ob du dich auf sie einlässt.” 

Auch in rumänischen Schulen ist Integration und Multikulturalismus ein Thema, nicht nur seit dem Krieg in der Ukraine. Einige Kinder haben Eltern, die aus der Türkei, aus Bulgarien oder von noch weiter weg kommen.

„Vor einigen Wochen ist mir ein Junge besonders aufgefallen, der sehr, sehr gutes Englisch spricht. Ich hatte die Gelegenheit, mit seinem Vater zu reden, mit dem ich mich auf Farsi unterhalten habe: Er war vor über 25 Jahren nach Rumänien gekommen, da er als irakischer Christ im Ersten Golfkrieg in den Achtzigern fast zehn Jahre lang in verschiedenen Gefängnissen im Iran inhaftiert war. Das hat mich sehr berührt”, erklärt Saleh, der vor 45 Jahren den Iran in Richtung Deutschland verlassen hat. 

Bewerbungen für soziales Auslandsjahr nehmen ab

Hossein Saleh ist einer von insgesamt zwei Freiwilligen, die vom in Neuwied bei Koblenz ansässigen Verein „Eirene – Internationaler christlicher Friedensdienst e.V.“ nach Rumänien entsandt wurden. Die andere Stelle befindet sich in Hermannstadt/Sibiu. Bis vor einigen Jahren konnte der Verein pro Jahr noch rund zehn überwiegend 18- bis 20-jährige Freiwillige entsenden, hatte Stellen in sozialen Projekten in Neumarkt am Mieresch/Târgu Mureș, Klausenburg/Cluj-Napoca oder in Reußdörfchen/Rusciori im Kreis Hermannstadt. Mittlerweile bewerben sich aber immer weniger Menschen für einen Freiwilligendienst, nicht nur in Rumänien.

Insgesamt nehme man eine Veränderung nach der Pandemie, insbesondere bei jungen Menschen wahr, was auch zu abnehmenden Bewerbungen führt. „Es gibt auf jeden Fall eine größere Unsicherheit und Unentschlossenheit”, erklärt Iris Bildhauer, die als Länderreferentin bei Eirene für Rumänien zuständig ist. Auch andere Einrichtungen, die Freiwillige nach Rumänien entsenden, hätten demnach einen Interessenrückgang zu verzeichnen. Das führt dazu, das immer mehr Stellen geschlossen werden.

Ein sogenannter Internationaler Jugendfreiwilligendienst (IJFD) wird mit Mitteln des deutschen Familienministeriums bezuschusst und dauert in der Regel ein Jahr. Die Freiwilligen bekommen ein Taschengeld für Unterkunft und Verpflegung und sind versichert. Darüberhinaus wird eine Betreuung durch Partner- und Entsendeorganisationen angeboten, sowie ein insgesamt 30-tägiges Seminarprogramm über den Freiwilligenzeitraum verteilt, welches eine länderspezifische Vorbereitung, Coachings und Sprachkurse vorsieht. 

Freiwilligendienst hilft, eigene Privilegien zu reflektieren

Für Lasse Funck und Jule Havekost war der Freiwilligendienst in Rumänien eine prägende Lebenserfahrung. Die beiden 27-jährigen Deutschen waren von August 2015 bis September 2016 in Siebenbürgen und sind seitdem immer wieder nach Rumänien gekommen, um Bekannte zu besuchen, Projekte zu organisieren oder auch Urlaub zu machen. Gerade sind sie mit dem Nachtzug von Wien nach Bukarest gefahren; wollen dann später in die Dobrudscha weiter. 

Havekost hat in Klausenburg während ihrer Dienstzeit in einem Kindergarten gearbeitet und nachmittags bei einer Umweltorganisation ausgeholfen, die sich unter anderem für ökologische Landwirtschaft einsetzt. „In dieser Zeit war ich sehr auf mich allein gestellt, frisch mit der Schule fertig und bin sofort in eine komplett fremde Umgebung. Ich war auch ziemlich überfordert. Das war eine Herausforderung an der ich gewachsen bin ”, erklärt die studierte Grundschullehrerin, die in einem landwirtschaftlichen Betrieb arbeitet. Auch sei ihr in diesem Jahr die „Hierarchie, die zwischen Ost und West herrscht” erstmals bewusst geworden und habe sie mit den Privilegien konfrontiert, die sie als Deutsche genießt. „Das war nicht immer leicht auszuhalten, aber so wertvoll”, erkannte sie.

Dieser Perspektivwechsel sei auch für Lasse Funck sehr wichtig gewesen, der in seiner Zeit als Freiwilliger ältere Menschen betreute und in einer Einrichtung für autistische Kinder arbeitete. Er ist froh, oft in rumänischsprachigem Kontext unterwegs gewesen zu sein. Als Angestellter beim Winterquartier für Wohnungslose in Wien arbeitet er in einem multikulturellen Team und kommt auch viel mit rumänischsprachigen Klienten in Berührung, nebenbei studiert der gebürtige Lüneburger noch „Internationale Beziehungen“ im Master.

Auch Hossein Saleh freut sich, im Sommer noch etwas länger im Land zu bleiben und herumzureisen und Rumänien zu entdecken. Ob in den Karpaten oder am Schwarzen Meer weiß er allerdings noch nicht so genau. Sicher ist aber: Er wird einer der vorerst letzten Freiwilligen im Rumänien-Programm von Eirene sein. Der Verein stellt seine Entsendungen aufgrund von rückläufigen Bewerbungen für die nächsten drei Jahre ein. 

EIRENE – Internationaler christlicher Friedensdienst e.V.

Auf der Webseite eirene.org berichten auch andere Teilnehmer und ihre Familien von den positiven Auswirkungen eines Freiwilligeneinsatzes im Ausland:

Christine Bals, Lehrerin: „Nachdem unsere Tochter als EIRENE-Freiwillige in Uganda war, war es wunderschön, im Jahr darauf eine junge Frau aus Uganda in unsere Familie aufzunehmen. Das war sehr bereichernd für unsere Familie. Denn gegenseitiges Verständnis braucht Begegnungen.“

Tobias Schwab, Journalist: „Weltwärts mit EIRENE in Marokko – für unsere Tochter Thekla ein Jahr mit vielen Herausforderungen, vor allem aber mit Gewinn für ihre spätere berufliche Orientierung.“
 

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