„Ey du Wichser, hör mal auf damit“: Was eine Hamburger Busfahrerin auf Strecke erlebt

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„Moin, steigen Sie rein!“ Gut gelaunt begrüßt Elisabeth Ulbricht an jeder Haltestelle die Fahrgäste, die bei ihr vorn im Bus einsteigen. Die 51-Jährige aus St. Pauli hat vor einem Jahr ihr komplettes Leben umgekrempelt und noch einmal ganz von vorne angefangen. Seitdem ist sie für die Hochbahn im Einsatz und kurvt die Busse sicher durch den Hamburger Stadtverkehr. Mit der MOPO hat sie darüber gesprochen, was sie zu diesem radikalen Schritt bewogen hat, wie sie die vielen Strecken auswendig im Kopf behält und wie sie in extremen Situationen reagiert – zum Beispiel, als ein Mann in ihrem Bus masturbierte.

„Der steht mit seinem Wagen aber wirklich sehr weit rechts auf der Spur“, sagt Ulbricht, während sie versucht, ihren Bus noch daran vorbeizumanövrieren – und dann doch lieber wartet. „Viele Autofahrer unterschätzen, wie viel Platz ich mit dem Ding hier tatsächlich brauche.“ Sie lacht dabei. Allgemein lacht die 51-Jährige sehr oft, am liebsten macht sie Witze über sich selbst.

Quereinstieg: Warum die Hamburgerin zur Busfahrerin wurde

Zum ersten Mal seit vielen Jahren arbeitet Ulbricht wieder festangestellt in Vollzeit. Sie ist gelernte Fotografin und machte sich schon früh selbständig. „In dem Beruf musst du das in der Regel“, sagt sie. Unter anderem begleitete die Hamburgerin fotografisch den Umbau des Gefängnisses in die heutige KZ-Gedenkstätte Neuengamme und veröffentlichte ein Buch über die Nicht-Anerkennung von NS-Opfergruppen mit.

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„Wie so viele Kreative habe ich aber auch einen Nebenjob angenommen.“ 17 Jahre lang war Ulbricht halbtags Lebensassistentin von Hannelore Witkofski, die sich für Menschen mit Behinderungen einsetzte und aktiv im Auschwitz-Komitee engagierte. Witkofski selbst war kleinwüchsig, saß im Rollstuhl und wurde blind. „Wir hatten eine gute Beziehung zueinander“, erinnert sich Ulbricht. 2022 starb Witkofski im Alter von 72 Jahren.

Ulbricht schrieb sich daraufhin eine Liste mit möglichen Jobs: Ganz weit oben stand Busfahrerin. „Ich brauche eine sinnstiftende Tätigkeit“, erklärt sie. „Alle reden über Verkehrspolitik und Klima – so, dachte ich, kann ich meinen Teil dazu beitragen.“ Außerdem sei sie „keine Büro-Maus“, sagt sie und lacht wieder dabei. Langweilig würde es trotz langer Schichten nie. „Als Busfahrerin musst du gedanklich immer voll da sein. Probleme aus meinem Privatleben könnte ich gar nicht im Kopf wälzen, sonst würde ich am Ende noch an der Haltestelle vorbeifahren.“

So lange dauert die Ausbildung zur Busfahrerin bei der Hochbahn

Am liebsten mag sie es, frühmorgens zu starten. „Erst schläft die Stadt noch – und dann geht’s los mit der Rush-Hour. Das ist wie ein Zirkeltraining, nur mit einem Sack Flöhe. Alle müssen irgendwo möglichst schnell hin.“

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Die Ausbildung zur Busfahrerin dauert als Quereinsteiger bei der Hochbahn circa vier Monate. Alleine fühlte sie sich dort mit ihren damals 50 Jahren nicht, schließlich steigen bei dem Unternehmen viele ein, die vorher andere Jobs gemacht haben.

„Danach bist du noch sechs Wochen mit einem Lehrfahrer unterwegs, der dir Tipps für die einzelnen Strecken gibt.“ Um die 20 Linien fährt Ulbricht abwechselnd, eine Navigationshilfe gibt es nicht. „Du bekommst am Anfang Zettel, wo die Strecke genau beschrieben ist und dann musst du die auswendig lernen. Ich arbeite viel über Visuelles, also zum Beispiel bestimmte Läden oder Schilder, an die ich mich erinnere. Aber ich hab mir den Weg auch immer wieder bei Google Maps angeschaut – und ganz analog über Stadtpläne.“

Das war bislang die extremste Situation als Busfahrerin

Seitdem sie täglich auf Hamburgs Straßen unterwegs ist, wurde sie schon mit einigen unvorhersehbaren Situationen konfrontiert. Als Extremste beschreibt sie den Abend, als eine junge Frau nach vorne gekommen sei und ihr sagte, da sitze einer hinten im Bus, der onaniere. „Ich meinte dann erst mal, sie solle vorne bei mir bleiben. Es war dunkel draußen und wir waren in einer einsamen Wohngegend. Da wollte ich unbedingt rauskommen.“ Im Affekt habe sie das Mikrofon genommen und laut durchgesagt: „Ey du Wichser da hinten, hör mal auf damit.“ Gleichzeitig informierte sie die Leitstelle, die die Polizei schickte. Die Beamten nahmen den Mann mit.

Ihre Entscheidung, Busfahrerin zu werden, bereut Ulbricht nicht. „Es war natürlich eine große Umstellung. Ich bin jetzt angestellt bei einer großen Firma, aber – und das ist für mich super wichtig – auf Strecke bin ich immer alleine und muss selbstverantwortlich meine Entscheidungen treffen.“

„Ey du Wichser, hör mal auf damit“: Was eine Hamburger Busfahrerin auf Strecke erlebt wurde gefunden bei mopo.de

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