Fantastisch, atemberaubend, gefährlich

Fantastisch, atemberaubend, gefährlich

Ein riesiges Ei steht mitten auf der Bühne im Zentralpavillon von Romexpo in Bukarest. Die Lichter werden gedämmt, das Ei fällt zusammen, die Show beginnt. Ein glänzend blauer Käfer schleppt ein großes Ei auf seinem Rücken. Es ist offensichtlich sehr schwer, der Käfer ist erschöpft und legt eine Pause ein. Während er schläft, nähern sich ihm vorsichtig zahlreiche Insekten einer Kolonie, bestaunen ihn und sein „komisches“ Gepäck. Der Käfer wacht auf und erblickt ein Marienkäfer-Weibchen. Es ist Liebe auf den ersten Blick – für beide. Ihre wundersame Liebesgeschichte wird jedoch unterbrochen: auf Befehl ihres Anführers, einem herrlich bunten Blatthornkäfer, stehlen die Insekten das Ei. So beginnt die Show „Ovo“ des berühmtesten Zirkus der Welt, dem in Montreal basierenden Cirque du Soleil (Zirkus der Sonne).

Mitte Februar (vom 15. bis zum 18.) haben rund 50 Künstler das Publikum in der rumänischen Hauptstadt in das zauberhafte Universum der Insekten eingeführt. In ein farbiges Ökosystem voller Leben, in dem zappelige Insekten fressen, schlafen, kriechen, hüpfen, flattern, spielen, streiten, kämpfen … und sich verlieben.

Ehemalige Profisportler, Akrobaten, Tänzer, Musiker und Clowns haben in „Ovo” eine kohärente Geschichte verkörpert, die Kinder und Erwachsene fast zwei Stunden lang zum Staunen gebracht hat und garantiert in Erinnerung bleibt. Die Nummern, die Farben, die Musik, die Beleuchtung und das Videomapping waren alle bestens aufeinander abgestimmt und boten eine richtige Sensation.

Während der blaue Käfer auf der Suche nach seinem Ei und seiner Liebe ist und das Marienkäfer-Weibchen auf das nächste Treffen mit seinem Herzallerliebsten wartet, entfaltet sich der Alltag in der Siedlung: Schmetterlinge fliegen graziös durch die Lüfte, Libellen wagen anmutige Balanceakte in und auf den schlanken Stängeln einer Pflanze, Mücken überschlagen sich in spektakulären Drehungen, energische Grillen amüsieren sich bei minutenlangen Trampolinsprüngen. Begeisternd!

Adrenalinkick garantiert!

Zuschauer, denen bei einer Akrobatiknummer der Mund offensteht, sieht man nicht nur in Filmen. Bei den Shows des Zirkus der Sonne hat das Publikum die Präsentation mit Leib und Seele verfolgt. „Oooh!” war immer wieder zu hören, als hoch oben in der Luft Wesen geworfen wurden oder auf senkrechten Flächen hochliefen. Erstaunen und Angst, Nervenkitzel und Bewunderung – das fühlt man als Zuschauer im Saal. Manche Kunststücke waren derart gewagt, dass man unwillkürlich an die Gefahr denkt, der sich diese Menschen in ihrem Job aussetzen. Ihr Leben hängt an einem Riemen, an einem Seil, an der Aufmerksamkeit, Kraft und Disziplin eines Kollegen.

Angst ist gut, um fokussiert auf die Nummern zu bleiben, die man vorführt, erklärt ein Akrobat bei der Pressetour, die rumänischen Journalisten vor dem ersten Auftritt in der Hauptstadt angeboten wurde. „Wir haben Angst, aber wir lieben das Fliegen”, lächelt der junge Mann. In Interviews und Dokumentationen sagen Vertreter des Zirkus, dass Sicherheit das Wichtigste für alle ist. Daher wird sehr hart trainiert.

Strenge Auswahl

Jedes Jahr versuchen hunderte Sportler, Athleten, Akrobaten, Musiker, Gaukler, Jongleure und weitere Artisten ihr Glück bei den Castings der Agentur des Zirkusses. Für die meisten ist es ein Traum, unter dem berühmten Namen des Cirque du Soleil aufzutreten. Doch nur die allerbesten werden aufgenommen. Sie brauchen eine tadellose physische Kondition, gute Reaktion auf Stress und Müdigkeit, Teamgeist und Kreativität, wie auch die Bereitschaft und das Talent, zum Performer zu werden. Das heißt, sowohl durch die Bewegungen wie auch durch übertriebene Gesichtsausdrücke oder ein Augenzwinkern das Publikum zu begeistern.

Manche schaffen es nach jahrelangen Versuchen bei Cirque du Soleil, angestellt zu werden oder projektgebunden zu arbeiten. So auch die rumänische Musikerin Ada Milea, die im Jahr 2002 mit dem Unternehmen zusammengearbeitet hat.

Catherine Andy ist seit zehn Jahren bei der berühmten Gesellschaft dabei. Davor hat sie schon zehn Jahre im Zirkus gearbeitet. „Bei Cirque du Soleil dabei zu sein, ist für mich die Erfüllung eines Traums. Ich habe mir das schon immer gewünscht, weil es die größte Zirkusgesellschaft der Welt ist”, sagte Andy bei der Pressetour in Bukarest.

Riesige Kostümabteilung

Die Kostüme sind prächtig und wurden extra für jeden Artisten von Hand und mit der Nähmaschine angefertigt. Das sei ein schwieriger Prozess gewesen, erklärte eine der Zuständigen für die Garderobe bei der Pressetour. „Sie müssen schön sein, naturgetreu, aber auch sehr bequem, damit sich die Künstler darin frei bewegen können”. Die gepunkteten, gestreiften, glänzenden, gepanzerten Kleidungsstücke wurden im Hauptquartier in Montreal (Kanada) hergestellt.

„Beim Cirque du Soleil ist es wie bei der Fashion Week, eine richtige Modeschau”, lacht jemand im Team. Die Abteilung für Kostüme, wo für jede neue Show Neues entworfen wird, ist sehr groß – das Hauptquartier erstreckt sich über eine Fläche von etwa fünf Fußballfeldern. Die Anfertigung eines einzigen Stücks kann bis zu mehrere Tage dauern. Für „Ovo“ wurden rund 800 Kleidungsstücke (einschließlich Schuhwerk und Kopfbedeckungen) nach Rumänien mitgebracht. Näherinnen sind immer dabei und vergewissern sich, dass vor jeder Darbietung alles in bestem Zustand ist.

Ein Zirkus ganz ohne Tiere

Der Zirkus der Sonne blickt auf eine mehr als 40-jährige Geschichte zurück, als eine Gauklertruppe auf Stelzen durch die Straßen von Québec City lief und Kunststücke zeigte. 1984 führte die Gruppe anlässlich des 450. Jahrestags der Entdeckung Kanadas ein erfolgreiches Spektakel auf, in dem keine Tiere auftraten. Das ist zum Spezifikum dieses Zirkusses geworden! Ende der 80er Jahre tourte er bereits in den Vereinigten Staaten von Amerika, ab 1990 in Asien und Europa. Heutzutage ist er eine Institution, deren Jahresumsatz laut Forbes-Magazin (2018) auf rund einer Milliarde Dollar geschätzt wird. Er beschäftigt rund 1400 Artisten mit 50 Nationalitäten. Rund ein Drittel davon sind ehemalige Profisportler, ein weiteres Drittel kommt aus der Zirkuswelt, die anderen sind Tänzer, Turner, Sänger oder Musiker.

Die über 20 Spektakel, die der Zirkus konzipierte, wurden von mehr als 180.000 Millionen Menschen in zahlreichen Ländern der Welt gesehen. 

Eine Show seit 15 Jahren

„Ovo” hat seit seiner Premiere im Jahr 2009 über sieben Millionen Zuschauer in 160 Städten aus 30 Ländern der Welt beeindruckt. 2022 wurde die Show neu lanciert und teilweise geändert, drei Darsteller kamen neu dazu.

Rund hundert Team-Mitglieder des Cirque du Soleil sind nach Bukarest gekommen, sie stammen aus 25 Ländern. Etwa die Hälfte davon sind auf der Bühne zu sehen, die restlichen sind für Kostüme, Make-Up, Dekor, Technik und weitere Dinge zuständig. Für den Aufbau der Bühne waren auch hundert einheimische Techniker im Einsatz. 

Am Tag nach der letzten Darbietung begann das Team, die 23 LKWs des Cirque du Soleil zu beladen. Die nächste Show wird im März in Belgien zu sehen sein.  

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