„Ohne Auto bist du verloren“: Stadtteil wird immer weiter vom Verkehr abgeschnitten

„Ohne Auto bist du verloren“: Stadtteil wird immer weiter vom Verkehr abgeschnitten

Verschoben, verdrängt, vergessen – mittendrin und trotzdem nicht dabei: Steilshoop liegt ja eigentlich ziemlich zentral – im Nordosten Hamburgs. Aber trotzdem gibt es dort weder eine S-Bahn noch eine U-Bahn. Das soll sich jetzt ändern, doch die Bauarbeiten für die U5 haben die Großwohnsiedlung fast neun Jahre lang in eine Baustelle verwandelt. Resultat: Die Erreichbarkeit des Stadtteils ist zwischenzeitlich sogar noch schlechter geworden. Doch im Gegensatz zum gut betuchten Groß Flottbek, wo eine viel kleinere Baustelle hamburgweite Aufmerksamkeit bekommt, hört man aus Steilshoop kaum Beschwerden. Erst bei einem Besuch vor Ort wird das ganze Ausmaß des Frusts der Bewohner und Geschäftsleute sichtbar.

„Da müssen wir wohl durch”, sagt Monika Staack mit Blick auf die riesige Baustelle in der Gründgensstraße und zuckt dabei mit den Schultern. Die 73-Jährige wohnt schon seit 24 Jahren in Steilshoop, aus ihrer Sicht ist es mit dem Stadtteil in all der Zeit immer weiter bergab gegangen.

Aus Sicht von Monika Staack (73) ging es mit Steilshoop bereits seit Jahren nur noch bergab.
Marius Roeer

Aus Sicht von Monika Staack (73) geht es mit Steilshoop bereits seit Jahren nur noch bergab.

„Den Wochenmarkt gibt es zum Beispiel schon lange nicht mehr“, erinnert sie sich. Zum Einkaufen fahren sie und ihr Mann immer mit dem Auto nach Bramfeld. „Mit den öffentlichen Verkehrsmitteln ist das viel zu umständlich.“

Steilshoop: Hier halten (noch) keine U- und S-Bahnen

Denn obwohl in Steilshoop rund 20.000 Menschen leben, gibt es dort weder eine S- noch eine U-Bahnhaltestelle. Das will die Politik jetzt endlich nachholen: Die neue U-Bahnlinie U5, die derzeit von der Hochbahn gebaut wird, soll auch in Steilshoop halten – genauer gesagt direkt am Einkaufszentrum in der Gründgensstraße.

Im Jahr 2033 sollen Fahrgäste mit der U5 nach Steilshoop fahren können. Hier in der Visualisierung zu sehen: Die Gründgensstraße mit zwei U5-Aufgängen.
Hochbahn

Im Jahr 2033 sollen Fahrgäste mit der U5 nach Steilshoop fahren können. Hier in der Visualisierung zu sehen: Die Gründgensstraße mit zwei U5-Aufgängen.

Doch bis es soweit ist, wird die Erreichbarkeit des Stadtteils weiterhin schlechter. Die einzige Stadtrad-Station in Steilshoop wurde bereits für die U5-Bauarbeiten abgebaut und es gibt (noch) keine konkrete Alternative. Busse fahren durch die betroffene Straße überhaupt nicht mehr und die verwaisten Haltestellen direkt vor dem Einkaufszentrum bieten einen trostlosen Anblick – und das für die nächsten knapp neun Jahre.

Steilshoop: U5-Baustelle bis 2033

„Ohne Auto bist du am Arsch“, fasst die 54-jährige Jeanette Wehler die Situation zusammen. „Ich habe viele Nachbarn, die im Hafen im Schichtdienst arbeiten. Mit den Bussen sind die echt aufgeschmissen – jetzt noch mehr als vorher.“ Sie wohnt seit ihrem zweiten Lebensjahr in Steilshoop, während des Gesprächs redet sie sich immer weiter in Rage. „Das wurde hier alles heruntergewirtschaftet. So viele Ärzte sind weggezogen, so viele Läden haben dicht gemacht. Aber es war einfach allen egal.“

Jeanette Wehler (54) wohnt seit ihrem 2. Lebensjahr in Steilshoop. Sie findet es schade, dass der Stadtteil so vernachlässigt wurde.
Marius Roeer

Jeanette Wehler (54) wohnt seit ihrem zweiten Lebensjahr in Steilshoop. Sie findet es schade, dass der Stadtteil so vernachlässigt wurde.

Die Busse werden nun über den Gustav-Seitz-Weg, die Steilshooper Allee und den Alfred-Mahlau-Weg umgeleitet. Das bedeutet für viele einen längeren Fußweg. „Gerade für die vielen älteren und gehbehinderten Anwohner ist das eine Zumutung“, sagt der 76-jährige Kemal Kurt. Ihm gehört seit 40 Jahren der Schuh- und Schlüsseldienst im heruntergekommenen Einkaufszentrum, das einen gespenstischen Anblick bietet. Kurt ist einer der letzten Ladeninhaber, außer ihm halten sich nur noch ein kleiner Supermarkt und ein Nagelstudio, der Rest steht leer.

Kemal Kurt (76) betreibt bereits seit 40 Jahren seinen Schuh- und Schlüsseldienst im Einkaufszentrum Steilshoop. Er ist einer der letzten Ladeninhaber.
Marius Roeer

Kemal Kurt (76) betreibt bereits seit 40 Jahren seinen Schuh- und Schlüsseldienst im Einkaufszentrum Steilshoop. Er ist einer der letzten Ladeninhaber.

„Die Kunden, die auf dem Weg zum Bus einmal durch das Zentrum gelaufen sind, fallen jetzt auch noch weg“, sagt er frustriert. Der 76-Jährige will trotzdem weiterhin hier bleiben. Er hofft, dass die Versprechungen für Steilshoop dieses Mal wirklich wahr werden.

Einkaufszentrum Steilshoop soll sich ebenfalls verändern

Denn wenn die U5 hier erst im Jahr 2033 halten wird, soll alles schöner, bunter und besser werden. Die aktuelle Baustelle, auf der ab nächstem Sommer ein riesiges 20 Meter tiefes Loch in die Straße gegraben wird, lässt das jedoch noch lange nicht erahnen. Für das marode Einkaufszentrum läuft währenddessen ein Architekturwettbewerb, auch hier stehen große Veränderungen an.

„Die Zielsetzung ist, dass das nach neun Jahren ein super Stadtteil wird“, sagt Sandro Kappe, CDU-Abgeordneter aus Steilshoop. „Wir müssen allerdings aufpassen, dass der Stadtteil bis dahin nicht zusammenbricht.“

Ismail Zincidi (49) weiß bald nicht mehr, wie er die Miete für seinen Bäckerladen bezahlen soll.
Marius Roeer

Ismail Zincidi (49) weiß bald nicht mehr, wie er die Miete für seinen Bäckerladen bezahlen soll.

Das hofft auch Ismail Zincidi, Inhaber eines türkischen Bäckers. Er kann von seinem Laden aus direkt auf die verlassenen Bushaltestellen schauen. „Mittags ist es inzwischen tot hier.“ Wie er seine Miete bezahlen solle, weiß der 49-Jährige bald auch nicht mehr. „Mit meinen Nachbarn spiele ich das Spiel: Wer gibt zuerst auf?“, sagt er mit einem bitteren Lachen.

„Ohne Auto bist du verloren“: Stadtteil wird immer weiter vom Verkehr abgeschnitten wurde gefunden bei mopo.de

Leave a Reply

Your email address will not be published. Required fields are marked *