Randbemerkungen: Von der „Macht der Machtlosen“

Vaclav Havel hat bereits 1985 in einem berühmten Essay von der „Macht der Machtlosen“ und der Notwendigkeit gesprochen, diese Macht in Anspruch zu nehmen und umzusetzen. Irgendwie stand er dabei in dem Denksog von Mahatma Ghandi, aber rund 50 Jahre später und in ganz anderer sozio-politischer und räumlicher Umgebung. Doch die Entwicklungen der letzten Jahre wecken zunehmend das Gefühl der Vergänglichkeit dieses zutiefst humanistischen Konzepts und Prozesses – bevor er noch richtig in Fahrt kam. Das „Wir-sind-das-Volk!“-Gefühl wird zunehmend durch die Dispersion der Inhalte der öffentlichen Diskurse – gleichermaßen der Massen wie der Eliten – verdünnt, diffuser bis an den Rand der Auflösung. Nicht zufällig weckte der osteuropäische Slogan von 1989, jüngst an den Kühler eines Traktors der protestierenden Landwirte gebunden, ein inneres Schulterzucken.

Grundsätzlich wird davon ausgegangen, dass Demokratie etwas Dynamisches ist, nichts im Vorgefassten Steckendes, sondern eine Korrektivkraft, etwas Anpassungsfähiges ans Bessere und Druckausübendes in diese Richtung – fußend auf dem Handlungs- und Einflusspotenzial des Bürgers, der die „Macht des Volkes“ ausübt. Daher zurrt sich der demokratisch bewusste Bürger auch so leicht fest an jedem Politiker, der Hoffnungen aufkommen lässt oder stimuliert/simuliert, dass er den Massen, dem „Volk“ („…der große Lümmel“ – heißt es bei H. Heine) öffentliche Sichtbarkeit und eine Stimme gewährt. Nur: das ist die Wurzel dessen, wovor sich die Politologen zunehmend hüten, es zu benennen (weil die Definition des Inhalts nicht klar ist): des Populismus.

Rasch gelangt man so in die andere Ecke: Wem ist noch zu glauben? Auf wen kann man heute noch hören? Wie wählt man das kleinste Übel? – Wenn letztendlich alle Übel gleich groß sind. Man darf an dieser Stelle ruhig ans politische Lügenreich Rumänien denken.

Fakt ist aber, dass auch international der Spagat zwischen „denen dort oben“ und „denen da unten“ bereits überstrapaziert wird, dass dieser „Höhenunterschied“ sich zunehmend als unüberwindbar, unvereinbarer und unversöhnlicher herausstellt. Einerseits sind die globalen Probleme immer bedrohlicher, erscheinen Lösungsansätze immer dringlicher: Klimakrise, glimmende Kriegsherde rund um den Erdball, Terrorismus, religiöser Radikalismus, Armut, Krankheiten, die zu Pandemien wurden/werden können, Migrationsströme usw.

Andererseits haben „wir, das Volk“ kein anderes Mittel, einzugreifen, außer das persönliche Beispiel und die Wahlurne. Mit dem „persönlichen Beispiel“ fühlt man sich rasch als Sandkorn im Sturm oder als Schilfblatt im Wind (um nicht zu sagen: als Trottel des Umfelds) und die zunehmende Politikmüdigkeit, die sich auch im Vermeiden des Gangs zu den Wahlurnen äußert, kommt wohl daher, dass dem Bürger durch die Mittel der heutigen Kommunikation sämtliche Probleme voll bewusst sind/detailreich bewusstgemacht werden, vor denen die Menschheit steht, dass er aber genauso genau sich dessen bewusst ist, dass sein Wort, seine Meinung kein reales Gewicht hat. Die Methoden, die Probleme der Welt zu lösen, kann er nicht (mit)bestimmen. Daher das Gefühl der Ohnmacht beim Delegieren der Macht an der Wahlurne. Und wenn von ihm Gewählte ihn, den Wähler, durch Umschwenken und Wendehalsigkeit oder einfach durchs Tagwerk der „Politik“ verraten.   

Alldas sind schließlich Schwachpunkte der Demokratie, die den Illiberalismus begünstigen, die den „Populisten“ Breschen zum Vorpreschen schaffen, die Radikalismen hochspülen, die alles fördern, was als „leicht“, „empathisch“, „zugänglich“ und „machbar“ dargestellt wird – und letztendlich von den Mühen des Denkens und der Arbeit zu entheben vorgeben. Energien werden bewusst falsch gebündelt.

Populismus heißt, so gesehen, die Illusion der Teilnahme aller zu schaffen. Vaclav Havel auf den Kopf stellen.

 

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