Royaler Besuch in Hamburg: Auf einmal stand ganz Hamburg kopf

Royaler Besuch in Hamburg: Auf einmal stand ganz Hamburg kopf

Wann immer gekrönte Häupter aus Großbritannien zu Gast sind, steht Hamburg kopf. Als Queen Elizabeth II. 1965 da war, flatterte überall in der Stadt der Union Jack im Wind. 1987 kletterten Leute sogar auf Bäume, um einen möglichst guten Blick auf Prinz Charles und Lady Di zu erhaschen. Auch strömender Regen hielt 5000 Schaulustige im März 2023 nicht davon ab, auf dem Rathausmarkt stundenlang auf Charles – inzwischen König – und seine Camilla zu warten. Und was war vor 120 Jahren los, im Juni 1904, als zum allerersten Mal ein britischer Herrscher Hamburg besuchte? Auch da befand sich die Stadt im Ausnahmezustand, wie teils unveröffentlichte Fotos beweisen.

Dabei handelte es sich nicht einmal um einen richtigen Staatsbesuch, eher um eine Stippvisite. Edward VII. (1841-1910), der älteste Sohn von Queen Victoria (1819-1901) und ihres deutschen Mannes Prinz Albert, war zur „Kieler Woche“ eingeladen. Dafür, dass sich „Bertie“, wie er genannt wurde, die Zeit nahm, bei dieser Gelegenheit Hamburg seine Aufwartung zu machen, hatte Albert Ballin gesorgt, der Generaldirektor der Reederei Hapag. Ballin, der mit London genauso gute Beziehungen pflegte wie mit Berlin, war ein Mann des Friedens und beobachtete mit großer Sorge das maritime Wettrüsten, das sich die beiden Großmächte lieferten. Die deutsch-britischen Beziehungen befanden sich auf einem Tiefpunkt, und Ballin hoffte, dass sich das durch persönliche Begegnungen ändern würde.

Edward VII. (1841-1910): Der älteste Sohn von Queen Victoria und ihrem Mann Prinz Albert wird 1901 englischer König. „Bertie“ ist der erste englische König, der Hamburg besucht.
Mary Evans Picture Library

Edward VII. (1841-1910): Der älteste Sohn von Queen Victoria und ihrem Mann Prinz Albert wird 1901 englischer König. „Bertie“ ist der erste englische König, der Hamburg besucht.

Die Fotos, die die MOPO ausgegraben hat, zeigen, dass Edward VII. (übrigens der Ururgroßvater des heutigen Königs) an jenem 28. Juni 1904 mit einem Sonderzug in Hamburg eintraf. Die Bürger bereiteten ihm einen begeisterten Empfang. Am Dammtorbahnhof hieß der Senat Ihre Majestät mit allen protokollarischen Ehren willkommen. Der König war gut gelaunt, bestieg gemeinsam mit Bürgermeister Gerhard Hachmann (1838-1904) eine vierspännige Kutsche und wurde von einer Ehrenformation der Wandsbeker Husaren, einem Kavallarieverband der Preußischen Armee, zu den Landungsbrücken eskortiert, wo der König zu einer Hafenrundfahrt auf dem Staatsdampfer „Johannes Dalmann“ eingeladen war. Danach besuchte er die Börse und traf schließlich im Rathaus ein: Der Senat gab ihm zu Ehren ein Frühstück.

Eskortiert von Wandsbeker Husaren fährt die Kutsche des Königs über den Dammtordamm. Am Straßenrand Tausende von Schaulustigen.
Staatsarchiv Hamburg

Eskortiert von Wandsbeker Husaren fährt die Kutsche des Königs über den Dammtordamm. Am Straßenrand Tausende von Schaulustigen.

„Der König sprach die deutsche Sprache ohne den leisesten englischen Akzent und zeigte sich über unsere hamburgischen Verhältnisse und Beziehungen sehr genau orientiert“, erinnerte sich Dr. Carl August Schröder (1855-1945), ein späterer Hamburger Bürgermeister. „So redete er mich auf meinen Vetter Baron Henry von Schröder in London an und sagte mir, er entsinne sich, mich vor langer Zeit einmal bei ihm gesehen zu haben.“

König Edward war begeistert von den Weinkannen

Während des Senatsfrühstücks war die Tafel mit erlesenen Stücken aus dem Hamburger Ratssilber geschmückt, darunter zwei Weinkannen. Von diesen beiden – der Elbe- und der Alsterkanne – war Edward VII. sehr angetan. Der englische König fragte Bürgermeister Hachmann, der neben ihm an der Tafel saß, wer denn der Hersteller sei, und betonte mehrfach, dass er noch nie so geschmackvolle Kannen gesehen habe. 

Der König auf dem Weg ins Rathaus, wo ein Senatsfrühstück auf ihn wartet. Neben ihm mit Zylinder: Bürgermeister Gerhard Hachmann.
Staatsarchiv Hamburg

Der König auf dem Weg ins Rathaus, wo ein Senatsfrühstück auf ihn wartet. Neben ihm mit Zylinder: Bürgermeister Gerhard Hachmann.

Nach Ende des Senatsfrühstücks besprach sich Hachmann kurz mit zwei Senatskollegen. Dabei fiel die Entscheidung, die beiden Kannen dem Monarchen als Abschiedsgeschenk zu überreichen. Carl August Schröder: „Als die Zeit seines Aufenthaltes zu Ende ging, und der König sich in sehr liebenswürdiger Weise von uns verabschiedete, bedankte er sich nochmals ganz besonders für die Kannen und sagte: ,Heute Abend isst Willy bei mir. Da will ich sie ihm zeigen. Der wird sich schön ärgern über die Erfolge, die ich in Hamburg erzielt habe.‘“

Edward VII. in der vierspännigen Kutsche neben Bürgermeister Gerhard Hachmann (r.)
Staatsarchiv Hamburg

Edward VII. in der vierspännigen Kutsche neben Bürgermeister Gerhard Hachmann (r.)

Mit „Willy“ war Wilhelm II. gemeint, der deutsche Kaiser, ein Neffe von Edward VII. Obwohl eng verwandt – oder gerade deshalb? – war das Verhältnis der beiden äußerst schwierig. Grund für das Zerwürfnis war vor allem die unberechenbare Außenpolitik des deutschen Monarchen.

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Reichskanzler Otto von Bismarck (1815-1898) hatte durch ein ausgeklügeltes Bündnissystem alles dafür getan, erstens den „Erbfeind“ Frankreich zu isolieren und zweitens einen Krieg in Europa zu verhindern. So geschickt Bismarck war, so ungeschickt stellte sich der Kaiser auf diplomatischem Parkett an. Nachdem Wilhelm II. den Eisernen Kanzler 1890 in den Ruhestand geschickt hatte, verhielt er sich wie ein Elefant im Porzellanladen, rasselte mit dem Säbel und beanspruchte für Deutschland polternd einen „Platz an der Sonne“. Damit brüskierte er alle.

Hatten ein schwieriges Verhältnis: der deutsche Kaiser Wilhelm II. (l.) und sein Onkel, der britische Herrscher Edward VII.
dpa

Hatten ein schwieriges Verhältnis: der deutsche Kaiser Wilhelm II. (l.) und sein Onkel, der britische Herrscher Edward VII.

An Peinlichkeit kaum zu überbieten war die Rede, die der Kaiser im Juli 1900 hielt, als er in Bremerhaven die Soldaten verabschiedete, die in China den Boxeraufstand niederschlagen sollten. „Kommt ihr vor den Feind, so wird derselbe geschlagen! Pardon wird nicht gegeben! Gefangene werden nicht gemacht! Wie vor tausend Jahren die Hunnen sich einen Namen gemacht, der sie noch jetzt in Überlieferung und Märchen gewaltig erscheinen lässt, so möge der Name Deutscher in China auf 1000 Jahre durch euch in einer Weise bestätigt werden, dass es niemals wieder ein Chinese wagt, einen Deutschen scheel anzusehen!“

Die Worte gingen als „Hunnenrede“ in die Geschichte ein

Als „Hunnenrede“ sind diese Worte in die Geschichte eingegangen – und sie haben das Bild Deutschlands in der Welt für lange Zeit geprägt.

Mit seinem leidenschaftlich betriebenen Flottenausbau und einer aggressiven Kolonialpolitik brüskierte Wilhelm II. vor allem die Briten. Wilhelm II. glaubte, sich das leisten zu können. Er war überzeugt, das Vereinigte Königreich sei wegen der scheinbar unüberbrückbaren kolonialpolitischen Konflikte mit Russland und Frankreich auf ein Bündnis mit dem Deutschen Reich angewiesen.

Die Kutsche des Königs erreicht das Hamburger Rathaus. Die Straßen sind gesäumt von Schaulustigen.
Staatsarchiv Hamburg

Die Kutsche des Königs erreicht das Hamburger Rathaus. Die Straßen sind gesäumt von Schaulustigen.

Wilhelm II. sollte sich – wieder mal – irren. Selbstüberschätzung war sein großes Problem. Zwar gab es tatsächlich Verhandlungen zwischen England und Deutschland, aber weil sich der Kaiser weigerte, beim Flottenbauprogramm Abstriche zu machen, kam es nicht zum angestrebten Bündnis. So war der Weg geebnet für eine britisch-französische Annäherung. Am 8. April 1904, also wenige Wochen bevor Edward VII. Kiel und Hamburg besuchte, schlossen Großbritannien und Frankreich die „Entente cordiale“, ein Abkommen, das die Einflussgebiete beider Nationen in Afrika regelte.

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Die Hoffnung von Hapag-Chef Albert Ballin, der Besuch des englischen Königs in Deutschland werde die deutsch-britischen Beziehungen auf eine neue Grundlage stellen, erfüllte sich nicht. Im Gegenteil. Das Misstrauen gegenüber Wilhelm II. wuchs noch – und umso mehr rückten die anderen europäischen Großmächte zusammen: 1907 wurde die „Entente cordiale“ durch den russisch-britischen Interessenausgleich zur „Triple Entente“ erweitert.   

Eine Postkarte zur Erinnerung an den Besuch des Königs. Es gab sie damals in Hamburg zu kaufen.
MOPO-Archiv

Eine Postkarte zur Erinnerung an den Besuch des Königs. Es gab sie damals in Hamburg zu kaufen.

Nun hatte Deutschland alle gegen sich, England, Frankreich und Russland, und fühlte sich von feindlichen Mächten regelrecht „eingekreist“. Schuld gab Wilhelm II. natürlich den anderen, vor allem den Briten. Europa war zum Pulverfass geworden – es musste nur noch jemand die Lunte in Brand stecken. Dafür sorgte am 18. Juni 1914, zehn Jahre nach Edwards Besuch in Hamburg, ein serbischer Nationalist, als er in Sarajewo den österreichischen Thronfolger Franz Ferdinand erschoss.

Für die silbernen Kannen revanchierte sich Edward VII. auf großzügige Weise

Diesen wertvollen Pokal schenkte der englische König 1904 dem Hamburger Senat.
Patrick Sun

Diesen wertvollen Pokal schenkte der englische König 1904 dem Hamburger Senat.

Übrigens: Für die beiden Weinkannen, die er 1904 bei seinem Abschied von Hamburg erhielt, hat sich Edward VII. noch im selben Jahr großzügig revanchiert. Der britische Generalkonsul brachte das Gegengeschenk ins Rathaus: einen vergoldeten, mit Edelsteinen besetzten Pokal aus der Schatzkammer des Buckingham Palace mit einer Widmung des Königs. Er gilt heute als wertvollstes Geschenk, das jemals ein ausländischer Staatsgast dem Senat überreicht hat. Jedes Jahr beim Matthiae-Mahl wird der „Holbein-Pokal“ so platziert, dass der Bürgermeister und die Ehrengäste ihn immer gut im Blick haben.

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