Zwei Engel für Siebenbürgen

Zwei Engel für Siebenbürgen

Sie fahren in die siebenbürgischen Dörfer und besuchen die Mitglieder der Deutschen Gemeinschaft. Heidrun Meyndt betreut seit neun Monaten die Region Reps/Rupea – Fogarasch/Făgăraș; Hildrun Schneider ist seit drei Jahren für den Kirchenbezirk Hermannstadt/Sibiu zuständig. Bis zu fünf Orte besuchen sie täglich, hören zu, übernehmen Fahrdienste, überbringen Lebensmittel- und Kleidungspakete, organisieren Arztbesuche und psychologische Hilfe. Über die nicht immer einfache Aufgabe, Menschen aus der Einsamkeit zu holen, haben die beiden Frauen mit ADZ-Redakteurin Aurelia Brecht gesprochen.

Was würden Sie sagen – wie fühlen sich die Menschen, die Sie besuchen?

Hildrun Schneider (HS): Vielen geht es nicht so gut, aber sie meistern ihren Alltag irgendwie. Manche sind vereinsamt, manche arm oder krank. Wenn man zu ihnen kommt und hilft, ist das eine Abwechslung, ein Lichtblick in ihrem Leben, und nachher fühlen sie sich auf jeden Fall besser. Das ist mein Eindruck.

Heidrun Meyndt (HM): Ich denke, das verändert sich – am Anfang sind sie skeptisch gewesen, weil sie uns nicht kannten. Mittlerweile freuen sich die Leute, wenn man wieder kommt.

In welcher Situation befinden sich die Menschen? 

HM: Viele sind alleine. Manche sind auch ganz zufrieden mit ihrem Alleinsein und sind trotzdem dankbar, wenn jemand mit neuem Input aus dem aktiven Leben zu ihnen kommt. Die Einsamen freuen sich, wenn man da ist. Sie sind in einer Spirale, aus der sie manchmal nicht herauskommen – sei es bedingt durch Krankheit, Vereinsamung oder weil die soziale Interaktion fehlt. Da kann man ansetzen: Die Leute sind manchmal krank und wissen es gar nicht. Wenn wir uns dem Thema nähern und das Eis gebrochen ist, nehmen sie die angebotene Hilfe meistens in Anspruch. Das gelingt vielleicht nicht gleich beim ersten Treffen, aber dann beim folgenden. Die Bereitschaft, sich helfen zu lassen steigt, weil sie sehen, dass man etwas an der Situation ändern kann. Einfaches Beispiel zu Beginn: Sie gehen schlecht und ich bringe Krücken mit. Oder festes Schuhwerk.

HS: Die Leute sind zwar meist einsam, aber bei der Grundversorgung gibt es oft Unterstützung aus dem Dorf. Die eine Nachbarin kauft ein, die andere bringt mal eine warme Suppe vorbei…

Was fehlt den Menschen am meisten?

HM: Das Gespräch, der Austausch, auf andere Gedanken zu kommen – damit sie nicht in ihrem schweren Alltag alleine hängen. Es kommt sehr gut an, wenn wir die Menschen im sächsischen Dialekt ansprechen. Man merkt dann, wie sie regelrecht aufblühen.

HS: Das kann ich auch bestätigen. Wenn man mit ihnen Sächsisch spricht, ist sofort eine Vertrauensbasis da. Und am meisten fehlt ihnen tatsächlich die Begegnung, der Austausch mit anderen Menschen.

Was erzählen die Leute von früher aus der Zeit, als es die Dorfgemeinschaften noch gab?

HS: Sie bedauern sehr, dass die Dorfgemeinschaft nicht mehr da ist. Viele leiden darunter und sind richtig traumatisiert von dieser Zeit, in der alle Familien um sie herum ausgewandert sind und sie immer wieder Abschied nehmen mussten. Das hängt ihnen sehr nach.

HM: Klar trauern die Menschen dem nach und freuen sich, wenn die Leute zu Besuch kommen. Sie vergleichen doch noch sehr mit der Situation, wie sie früher war. Bei vielen ist das Trauma auch verdrängt. Je öfter man die Leute besucht, desto mehr erzählen sie von ihrer Geschichte.

Wie kam es zur Einrichtung Ihrer Stellen?

HS: Heinz Hermann, Vorsitzender der HOG Heltau, hatte bereits im Jahr 2018 sein Konzept für ein flächendeckendes Betreuungsnetzwerk für ganz Siebenbürgen vorgestellt. Es soll nach der weitestgehenden Auflösung der sächsischen und landlerischen Dorfgemeinschaften den Menschen zugutekommen, die vereinsamt, arm, krank oder hochbetagt sind. Die erste Stelle, die pandemiebedingt erst 2021 zur Ausschreibung kam, war die für den Kirchenbezirk Hermannstadt; im Jahr 2023 wurde die Stelle für das Repser und Fogarascher Land eingerichtet, die Heidrun jetzt innehat. Das Projekt ist eine Kooperation zwischen dem Siebenbürgenforum und der Evangelischen Kirche A.B. in Rumänien.

Wie sieht Ihr Tätigkeitsbereich aus?

HS: Wir besuchen die Leute, lernen sie kennen, verschaffen uns ein Bild über die Gesamtsituation und schauen, woran es fehlt. Manche Dinge kann man von Anfang an gut einschätzen. Mit der Zeit öffnen sich die Leute immer mehr und trauen sich zu sagen, was sie brauchen können, zum Beispiel Lebensmittel oder Zuschüsse für hohe Energiekosten. Das ist sehr hilfreich, weil man gezielter helfen kann.

HM: Wenn man die Leute kennt, weiß man, wo Bedarf ist. Da ist jeder Einzelne und jede Familie sehr individuell. Manche sind gut situiert und suchen nur das Gespräch: Ein paar schöne Stunden verbringen, erzählen oder mir etwas in ihrem Dorf zeigen. Da gehe ich sehr individuell auf die Leute ein – das ist das Schöne an der Stelle. Andere formulieren das, woran es ihnen fehlt, kurz und prägnant. Wenn Leute krank sind, versuche ich, die Infrastruktur zu stellen und mit Arztbesuchen, psychologischer Unterstützung, Fahrdiensten, finanzieller Unterstützung sowie in administrativen Angelegenheiten zu helfen.

Was hat Sie dazu bewogen, diese Tätigkeit auszuüben?

HM: Derzeit mache ich ein Sabbatical von meiner Arbeit in Deutschland. Ich genieße das Privileg, mich in zwei Ländern „Zu Hause“ zu fühlen. Die Pandemiezeit war für mich berufsbedingt sehr herausfordernd – ich brauchte einen Cut. In der Siebenbürgischen Zeitung habe ich von der Stelle erfahren. Familienpolitisch konnte ich mir die Auszeit jetzt erlauben, und ich bin aus dem deutschen Alltag raus und in den siebenbürgischen Alltag rein. Genau was ich suchte.

HS: Bei mir war es so, dass ich mich beruflich verändern wollte. Meine drei Kinder waren erwachsen. Seit ich 40 war, hatte ich wieder intensiveren Kontakt zur Heimat. Dann habe ich die Stellenanzeige gesehen und dachte: Das ist genau meins!

Sie sind beide in Siebenbürgen geboren: Wie fühlt es sich für Sie an, zurück zu gehen?

HS: Ich kann sagen, dass ich mittlerweile wieder hier zu Hause bin. An jeder Ecke schlummern Erinnerungen. Vieles ist vertraut, einiges neu und anders als früher. Am besten ist es, nicht zu vergleichen. Vieles hat sich heute in Rumänien zum Positiven gewandelt.

HM: Für mich ist es nicht mehr das Siebenbürgen, das ich kannte, aber das habe ich auch nicht gesucht. Ich habe die Menschen gesucht, die mutig hier geblieben sind – und die habe ich gefunden. Für mich fühlt es sich normal an, hin- und her zu fliegen. Ich sehe, es hat sich vieles zum Positiven entwickelt – ich meine nicht den Abgang der Sachsen, das ist ein ganz eigenes Thema. Aber das Land selber ist in Europa angekommen. Wer hätte vor 30 Jahren gedacht, dass Rumänien so weit kommt? 

Dass wir uns als Minderheit an der Entwicklung und der Integration Rumäniens in Europa nicht beteiligt haben, ist ganz alleine unser kollektives Verschulden. Ich trauere dem was war nicht nach, denn ich bin Teil dieser Entwicklung und versuche, Schadensbegrenzung zu machen.

Wie haben Sie die erste Zeit auf der Stelle erlebt?

HM: Es war ein Sprung ins kalte Wasser. Am Anfang war es schwierig, weil die Leute erst einmal realisieren mussten, dass ich ihnen wohlwollend begegne ohne Gegenleistung ihrerseits.

HS: Die Leute haben sich gewundert, dass jetzt jemand bei ihnen vorbei kommt – nach 30 Jahren. Dann haben sie sich gefreut, dass ich tatsächlich immer wieder komme.

Welche Bilanz ziehen Sie zum jetzigen Zeitpunkt?

HS: Es ist nach wie vor wichtig, diese Besuche zu machen. Die Hilfe wird vielseitiger – sie besteht nicht mehr nur aus materiellen Dingen wie Lebensmitteln, Schuhen und Kleidung, sondern hat sich dahingehend gewandelt, dass ich die Menschen zum Arzt begleite oder wir ihnen bei der Beantragung einer Behindertenrente helfen. Besonders schön finde ich unsere Treffen, bei denen Menschen aus verschiedenen Orten zusammenkommen und einander kennenlernen. Was nach wie vor gebraucht wird, ist die finanzielle Unterstützung. Die Armut ist groß!

HM: Ich bin sehr zufrieden. Ich habe den Fokus auf die Leute gelegt, die ärztliche Hilfe brauchen. Manchen konnte ich nicht helfen, denn der Besuch beim Arzt ist sehr zeitintensiv für die Betroffenen. Der Besuch beim Psychiater oder Psychologen ist in Rumänien unheimlich schwer in die Wege zu leiten. Mittlerweile habe ich mir ein solides Netzwerk aufgebaut, auf das ich nun zurückgreife. Unsere Begegnungen mit den Menschen über Dorfgrenzen hinweg in der gemütlichen Atmosphäre der Pfarrhäuser sowie die Zusammenarbeit mit den Pfarrern und Kuratoren vor Ort sind definitiv mein Highlight. 

Was würde Ihnen bei Ihrer Arbeit helfen?

HM: Ich würde mir wünschen – das habe ich auch in Deutschland auf der HOG-Sitzung geäußert –, dass die Siebenbürger Sachsen, die im Sommer in ihre Dörfer kommen, die Menschen, die dageblieben sind, wieder wahrnehmen und mit ihnen Zeit verbringen. Vielleicht, indem man einen Kaffee oder ein Bier zusammen trinkt. So wären die Dagebliebenen eben nicht nur in diese Infrastruktur eingebettet, die wir momentan haben, in Gemeinden und Kirchenbezirke, sondern es würde wieder dörfliche Gemeinschaft stattfinden. Das emotionale Statement und eine Portion Empathie von denen, die aus dem Westen kommen, würde den Dagebliebenen sehr gut tun. 

HS: Ja, offene Kommunikation der ausgewanderten und der hier gebliebenen Sachsen, gegenseitiges Vertrauen, einander zuhören bei unterschiedlichen Blickwinkeln auf die zu lösenden Probleme – das würde das Konfliktpotential minimieren.

Wo liegt das Konfliktpotenzial?

HS: Das rührt daher, dass verschiedene Erwartungshaltungen aufeinander stoßen. Die Leute, die hier leben, können Probleme nur so lösen, wie es der gesetzte Rahmen eben zulässt: Ihnen sind oft die Hände gebunden, z. B. durch Gesetze oder durch fehlende qualifizierte Handwerker. Die Ausgewanderten haben oft nicht den Gesamtüberblick darüber, wie die Dinge hier vor Ort laufen, bringen aber wiederum ihr Wissen mit, das von den hier lebenden Mitgliedern der deutschen Gemeinschaft als etwas Bereicherndes aufgenommen werden könnte. Wenn beide Seiten bereit sind, aufeinander zuzugehen und voneinander zu lernen, kann sich viel Positives für die Zukunft entwickeln. Denn uns verbinden die gemeinsamen Wurzeln, unsere Heimat, unsere Geschichte.

HM: Diejenigen, die ausgewandert sind, wollen oft das Siebenbürgen von früher zurück. Und die Menschen, die hier geblieben sind, agieren mit den Möglichkeiten, die ihnen zur Verfügung stehen. Dazu müsste man sich viel mehr gemeinsam an einen Tisch setzen und den Dialog suchen bzw. Kompromissbereitschaft leben.

Gibt es so etwas wie ein Trauma der Dagebliebenen,  vielleicht das Trauma der verlorenen Gemeinschaft?

Beide: Ja.

Lässt sich dieses Trauma lindern?

HM: Durch den Austausch und das Verständnis zwischen denjenigen, die in den Dörfern leben und den Ausgewanderten, die zu Besuch kommen, ist eine leichte Linderung möglich. Ein Versuch wäre es wert.

HS: Ja, mehr Gemeinschaft von Hüben und Drüben würde es sicher lindern, aber ich glaube, ganz heilen kann es nicht.

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