AfD und Kirche: Theologin über rechte Christen und die Unvereinbarkeit

AfD und Kirche: Theologin über rechte Christen und die Unvereinbarkeit

Immer mehr Christen sympathisierten mit der AfD. Im Interview erklärt die katholische Theologin Ursula Nothelle-Wildfeuer, wie die rechte Partei das Christentum für ihre Zwecke nutzt. Sowohl die katholische als auch die evangelische Kirche haben zu einem Boykott der AfD aufgerufen. Die Partei sei wegen ihrer menschenfeindlichen Ansichten für Christen nicht wählbar. In Thüringen, wo die AfD als gesichert rechtsextrem gilt, hat die evangelische Kirche einen Pfarrer vom Amt ausgeschlossen, weil er für die AfD kandidiert. Es handelt sich nicht um einen Einzelfall – in den Kirchen in Deutschland ist eine Polarisierung spürbar. Es gibt Christinnen und Christen, die mit der AfD sympathisieren, sie wählen oder sogar für sie kandidieren. Die katholische Theologin Ursula Nothelle-Wildfeuer erklärt im Interview mit t-online, wieso es AfD-nahe Christen gibt, wie gefährlich sie sind und inwiefern Rechtsradikale das Christentum für ihre Zwecke nutzen. t-online: Frau Nothelle-Wildfeuer, gibt es rechte Christen? Ursula Nothelle-Wildfeuer: Die Kirche ist ein Spiegelbild der Gesellschaft, insofern gibt es auch Christen, die politisch gesehen dem rechten Spektrum zuzurechnen sind. Von daher ist es nicht erstaunlich, dass sich schon länger eine Polarisierung auch unter Christinnen und Christen beobachten lässt. In Gemeinden sind es meist einzelne Mitglieder, die rechtspopulistisch oder -extrem sind. Es gibt aber auch Vereinigungen wie etwa die “Christen in der AfD”. Zudem gibt es digital gut aufgestellte christliche Medien, die aus neurechter Perspektive Politik erklären. Sie schreiben über Themen wie Familie, Tradition und Privateigentum – oft kommt erst bei näherem Hinschauen die rechtspopulistische beziehungsweise rechtsextreme Position zum Ausdruck. Beide Kirchen warnen in letzter Zeit regelmäßig vor der AfD. Im katholischen Anti-AfD-Papier macht die Kirche deutlich, dass völkischer Nationalismus und das Christentum nicht vereinbar seien. Halten Sie solche Empfehlungen für wirksam? Zunächst einmal ist die Erklärung der Deutschen Bischofskonferenz nicht einfach ein Anti-AfD-Papier, sondern eine Positionierung, die inhaltliche Punkte benennt, aufgrund derer völkischer Nationalismus und Extremismus nicht mit dem christlichen Glauben vereinbar sind. Erst der letzte Teil wendet das dann auf die AfD an und erläutert, dass eine AfD-Position nicht mit einer haupt- oder ehrenamtlichen Mitarbeit in der Kirche zusammenpasst. Sicher besteht die Gefahr, dass die AfD durch solche Erklärungen zu viel Aufmerksamkeit bekommt und Menschen sie als Reaktion darauf aus Trotz wählen. Ich halte es jedoch für gut und wichtig, dass die Kirchen sich klar gegen rechtspopulistische und rechtsextreme Positionen aussprechen. Das Hauptaugenmerk liegt dabei auf der inhaltlichen Unvereinbarkeit zwischen Christentum und AfD beziehungsweise vergleichbaren Positionen. Inwiefern sind Christentum und AfD inhaltlich nicht vereinbar? Die AfD will die Menschenrechte, die auf der für alle gleichen Menschenwürde basieren, begrenzen. Es geht ihr allein um die Deutschen, die durch Tradition, Kultur und Religion miteinander verbunden sind. Der Wert der Familie etwa, der auch im Christentum eine besondere Rolle spielt, wird auch im Wahlprogramm der AfD betont, gilt aber nur für die, die zum deutschen Volk gehören. Die Partei hat ein klares Verständnis davon, wer dazugehört und wer nicht. Solche Exklusion im Blick auf Würde, Freiheit und Rechte widerspricht der christlichen Botschaft. Auf der Grundlage der Bibel betont der christliche Glaube immer wieder, dass alle Menschen von der Würde her gleich sind. Ist es sinnvoll, AfD-nahes Kirchenpersonal aus dem Amt auszuschließen? Ich halte es für sinnvoll. So kann hoffentlich verhindert werden, dass die Kirchen in Deutschland wie etwa in Polen oder Ungarn rechtsnationale Parteien unterstützen. Vor allem Pfarrer beziehungsweise andere Menschen in kirchlichen Ämtern mit menschenverachtenden und demokratiefeindlichen Ansichten dürfen durch Predigten keine Bühne bekommen. Allerdings ist Nähe zu einer Partei oder Weltanschauung schwer festzustellen. Ein Ausschluss kann nur dann erfolgen, wenn eine Kandidatur, Parteimitgliedschaft oder eindeutige extremistische Aussagen vorliegen. Das muss für den Einzelfall geprüft werden. Wählen Christen eher die AfD als Nicht-Christen? Bei der Bundestagswahl 2021 etwa haben acht Prozent der Katholiken, neun Prozent der Protestanten und 14 Prozent der Konfessionslosen die AfD gewählt – tendenziell wählen Christinnen und Christen also seltener die AfD. Welche Christen wählen die AfD? Es gibt Gläubige mit traditionalistischen Positionen, die meinen, das Wertesystem der AfD sei deckungsgleich mit dem des Christentums, weil die AfD sich auch Themen wie Familie, Nation, Volk und Tradition auf die Fahne schreibt. Gesamtgesellschaftlich werden in Bezug auf diese Themen immer wieder polarisierende Diskussionen wie etwa aktuell die Abtreibungsdebatte geführt. Einige Gläubige sehen in dem einen oder anderen Feld ihre Position durch die AfD vertreten, ohne zu schauen, welche Begründungen hier angeführt werden und welche Positionen zu anderen Fragen man dabei notgedrungen auch noch unterstützt. Wie unterscheiden sich sehr konservative von extrem rechten Christen? Konservative haben bei Themen wie Gendern oder Migration zwar teilweise eine enge Perspektive, lassen aber andere Überzeugungen zu. Auch wenn sie eine strengere Migrationspolitik befürworteten, würden sie niemals bestimmte Menschengruppen als weniger wertvoll erachten. Bei Rechtsextremen ist das anders. Sie sprechen Geflüchteten per se Menschenrechte wie eine menschenwürdige Unterkunft ab. Muslimen würden einige rechte Christen am liebsten das Recht auf Religionsfreiheit in Deutschland absprechen. Beide Kirchen haben mit Mitgliederschwund zu kämpfen. Verstärkt das die Polarisierung unter Christen? Die Missbrauchsskandale in beiden Kirchen führen zu einem gravierenden Verlust von Glaubwürdigkeit. Es kommen Fragen auf wie: Wie gehen wir damit um? Wer hat Schuld? Und wie lässt sich das in Zukunft vermeiden? Das spaltet die Kirchen auf in die, die systemische Reformen wollen, und die, die das allein als Versagen einzelner Menschen ansehen. Ganz ähnlich verlaufende Fronten gibt es bei Fragen zu Themen wie Asyl, Flucht und Gender oder auch zu Fragen der Sexualmoral oder Familie. Nutzen Rechtsextreme das Christentum, um politische Ziele durchzusetzen? Auf Demonstrationen sind immer wieder Schilder zu sehen, auf denen ein Kreuz abgebildet ist als Zeichen für deutsche Tradition. Das Kreuz wird als Synonym für das deutsche Volk verwendet. Die AfD und auch andere rechtsextreme Bewegungen wie Pegida beziehen sich auf vermeintliche deutsche Tradition und Kultur im Zusammenhang mit der christlichen Prägung des Landes. Auch in Italien gibt es das “Dignitatis Humanae Institut”, das unter der Schirmherrschaft von Donald Trumps ehemaligem Berater Steve Bannon, einem erzkonservativen Christen, eine Akademie für künftige nationalistisch ausgerichtete Politiker einrichten wollte. Die Akademie wurde aufgelöst, weil die Pachtgenehmigung für das dafür vorgesehene Kloster entzogen wurde. Das Institut existiert immer noch und vertritt antisemitische, antimuslimische und rechtskatholische Positionen. Wie gefährlich sind solche christlich motivierten politischen Positionen? Sie nehmen für sich in Anspruch, allein die Wahrheit des Evangeliums zu besitzen, und vertreten damit Positionen, die dem eigentlichen Inhalt der Bibel widersprechen. Indem rechts-christliche Organisationen und Medien solche Positionen propagieren, üben sie Einfluss auf andere Christinnen und Christen aus – Menschen, die sich möglicherweise darauf verlassen, dass das, was mit christlichen Symbolen versehen wird, schon richtig ist. Sie können dadurch in eine rechtsextreme Richtung geführt werden. Sollte die Kirche mit Rechten reden? Oft wählen Menschen mit Ängsten und großer Unzufriedenheit rechtsextreme Parteien. Gerade in den ostdeutschen Bundesländern gibt es, auch mehr als 30 Jahre nach der Wiedervereinigung, noch die Erfahrung und das Gefühl, nicht richtig gehört zu werden mit ihren Sorgen und Nöten um die eigene Existenz und Sicherheit. Kirchen sollten zuhören und das Signal geben: Eure Geschichte interessiert uns, ihr seid uns wichtig. Außerdem sollten sie Raum für den Austausch bereitstellen. Vor allem der evangelischen Kirche, inzwischen aber auch der katholischen Kirche, wird immer wieder vorgeworfen, zu links und grün zu sein. Gibt es auch linksradikale Tendenzen im Christentum? Vor allem in den sozialen Medien wird diskutiert, ob die Kirche, wenn sie sich um soziale und ökologische Fragen bemüht, den Kern ihrer Botschaft verfehlt. Dem würde ich aber entgegensetzen: Es geht immer um den Menschen, er steht im Mittelpunkt, auch und gerade da, wo soziale und ökologische Fragen behandelt werden. Die Botschaft des Evangeliums hat nun einmal eine zentrale soziale Dimension, und deshalb wird die Kirche, die danach versucht zu handeln, oft als links bezeichnet. Es gibt aber auch linke Ränder und extremistische Positionen, von denen die Kirche sich klar abgrenzen sollte, weil sie nicht mit dem Evangelium vereinbar sind. Vielen Dank, Frau Nothelle-Wildfeuer, für das Gespräch!

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