Atze Schröder zeigt uns sein Hamburg – ein ganz besonderer Roadtrip

Atze Schröder zeigt uns sein Hamburg – ein ganz besonderer Roadtrip

„Stell dir mal vor, du liegst da. Und deinem Freund wird neben dir die Birne weggeschossen. Wie weit wir als Typen von so was weg sind.“ Draußen am Fenster des Bullis ziehen die Pylone der Köhlbrandbrücke vorbei. Der Himmel ist grau und Atze redet vom Krieg. Wir sind auf dem MOPO-Roadtrip durch die Stadt – und im Auto liegt Melancholie in der Luft. 

Nur für einen kurzen Moment. Denn eigentlich ist dieser Trip eher wie ein Angelausflug mit einem amüsanten Freund. Atze Schröder, der 59-jährige Comedy-Veteran. Berufsmäßig Ruhrpott-Original. Im Herzen längst Hamburger. Seit vier Jahren wohnt er hier, will nie mehr weg: „Ich bin noch in der Phase, da gefällt mir alles. Außer der Hauptbahnhof. Ich bin kein ängstlicher Typ, aber da musste echt alle Lampen anhaben.“ Wir fahren durch die Stadt und waren zwei Stunden vorher an einer kleinen Landzunge an der Alster unter einer Weide gestartet. Das Wasser lag bleiern und reglos da und Atze sang den Rollmops-Song, den sein Musiker-Vater in den 50ern als Werbe-Lied komponiert hat. 

Die Alster ein Spiegel: Die kleine Landzunge ist nicht weit entfernt von Atzes Zuhause und einer der Lieblingsplätze. Kein Wunder …
Florian Quandt

Die Alster ein Spiegel: Die kleine Landzunge ist nicht weit entfernt von Atzes Zuhause und einer der Lieblingsplätze. Kein Wunder …

Atze Schröder ist freundlich und unkompliziert

Es könnte sein, dass ich noch nie einen Prominenten getroffen habe, der es einem leichter macht als Atze. Man findet auch so schnell niemanden, der ein schlechtes Wort über ihn verliert. Der Mann ist so freundlich und unkompliziert – man kommt sich selbst vor wie die Diva. Wir hatten uns vor der Tür seines schicken Wohnhauses in Harvestehude getroffen. „Frisch heute! Komm erst mal rein und wärm dich auf, bis der Fotograf kommt“, sagt er, als er mich sieht. Im Treppenhaus zwar nur, aber immerhin. Der Typ ist seit 30 Jahren im Geschäft und schätzt seine Privatsphäre.


MOPO

Dieser Text stammt aus der neuen WochenMOPO – jetzt jeden Freitag am Kiosk!
Diese Woche u.a. mit diesen Themen:
Tschentscher im Interview: Was er zum Verkehrs-Chaos sagt
Crack: Die Droge, die den Hauptbahnhof ins Elend stürzt
Hamburger Top-Köche: Das sind ihre Lieblingsimbisse
20 Seiten Sport: HSV-Coach Baumgart und St. Paulis Hauke Wahl im Interview
28 Seiten Plan7: Die besten Tipps für jeden Tag der Woche

„Die Locken. Sitzen die?“ Eiserne Regel: Atzes echter Name: tabu. Auftritte in der Öffentlichkeit: nur mit Perücke und Alpina-Brille. Es soll niemand sehen, wie der Mann hinter Atze genau aussieht. Aber reden kann man mit ihm kurioserweise: über alles. Oder fast. Hattet ihr zu Hause eigentlich Geld?, frage ich, als wir an den dicken Schlitten der Nachbarschaft vorbeilatschen. „Nee, aber immer gute Laune.“ Drei Steppkes stehen plötzlich vor uns, fragen Atze: „Wie heißen Sie?“ „Äh, Thomas.“ „Dürfen wir ein Autogramm?“. Sie dürfen. Atze unterschreibt mit Atze.

Atze ist so was wie ein Volksheld

Jeder kennt Atze. Atze ist so was wie ein Volksheld. Ewig da. Irgendwie lustig, das ahnt man schon immer, auch wenn man ihn nur vom Vorbeischauen kennt. Sehr stimmig im Paket aus Locken-Look und Stimme, dem freundlich brummigen Ruhrpott-Singsang („Erkennen tut mich kaum einer, aber wenn ich an der Bahn ans Telefon gehe, gucken die Leute …“). Fernsehstar, lange. Buch-Autor. Podcaster. Bald Gast-Auftritt auf dem „Traumschiff“. Große Tourneen durch riesige Hallen. Gerade wieder 9000 Leute in Hamburg. Ticket: 55 Euro. „Wahnsinn“, sagt er leise und man glaubt ihm, dass er staunt. Und meint, er hätte schon auf der vorvorletzten Tour beim Soundcheck in den großen Hallen gedacht: Guck dir das noch mal gut an, könnte das letzte Mal sein.“ Die Comedy hat Atze zu einem wohlhabenden Mann gemacht. „Ich hab’ aber bis heute Angst vor Armut.“

Fahren und sabbeln: Bücher-Tipps, Politik, Grusel-Alkoholika – der Mann beherrscht alle Themen.
Florian Quandt

Fahren und sabbeln: Bücher-Tipps, Politik, Grusel-Alkoholika – der Mann beherrscht alle Themen.

Und warum nun auch abseits der Bühne das Versteckspiel mit Brille und Perücke? „Das Ding ist: Wenn du auf der Bühne so der Typ bist, mit dem jeder ein Bier trinken will …“ Dann will auch jeder mit dir ein Bier trinken? „So!“, sagt er und lacht. Und nicht, dass Atze nicht gesellig wäre, aber irgendwann früher, da feierten Fans vor seiner Tür Partys, „auch manchmal mit ’ner Kiste Bier und so. Und der Hund bellte sich die Seele aus dem Leib.“ Das war dann doch zu viel. Seitdem: Lektion gelernt.

Menschen mag er aber. Der Eindruck drängt sich auf. Einmal im Monat trifft er alte Kumpels am Münsteraner Stammtisch. „Altes Gasthaus Leve, auf dem Tisch steht ein Wimpel mit unserem Namen: Los Krokettos. Paragraf 1 der Stammtisch-Satzung: Immer ’ne Schüssel Kroketten auf dem Tisch. Dann schlaf ich bei ’nem Kumpel. Das ist toll und hält die Verbindung zur Heimat.“

Feuerwehrmann zeigte ihm Wilhelmsburg

Wir fahren nach Wilhelmsburg. Bunthäuser Spitze. Atze hatte mal abschätzige Witze über die Elbinsel gemacht. Ein Wilhelmsburger Feuerwehrmann schrieb ihm daraufhin auf Instagram und bot ihm an, ihm die schönen Seiten der Insel zu zeigen. Atze antwortete: „Schick mal deine Nummer, ich lass mich vom Gegenteil überzeugen! Der war von den Socken …“ Atze kam vorbei auf Kaffee und Kuchen – und lernte. 

Drei Typen und ein Mini-Leuchtturm. MOPO-Verleger Artist von Harpe (v.l.), Atze Schröder und MOPO-Chefredakteur Maik Koltermann am 1914 erbauten Leuchtfeuer Bunthaus.
Florian Quandt

Drei Typen und ein Mini-Leuchtturm. MOPO-Verleger Artist von Harpe (v.l.), Atze Schröder und MOPO-Chefredakteur Maik Koltermann am 1914 erbauten Leuchtfeuer Bunthaus.

Vorhin ließ er uns von seinem Fan übers Telefon zur Wache lotsen. Doch der Feuerwehrmann kann gerade nicht kommen – zu viel Arbeit. Als wir später am Leuchtfeuer Bunthaus stehen, zeigt Atze über die Elbe: „Und daaa drüben hat Inge Meysel gewohnt. Die soll ja ein richtiger Drache gewesen sein …“, sagt er und lacht.

Macht er das öfter, Fans so einfach kontaktieren? „Nee, aber meine Perle ist schon öfter genervt, weil ich so kontaktfreudig bin. Ich lerne immer Leute kennen.“ Atzes Perle – das ist die Frau, die er offenbar sehr liebt. Denn was er über sie sagt, klingt meist ehrfürchtig: beinharter St. Pauli-Fan. Tätowiert. Mädchen aus Heide. „Ich kann kaum glauben, dass das geklappt hat.“

Früher war er kein Kostverächter, sagt er

Die Perle trinkt nicht mehr. Das passt ganz gut. Weil Atze auch weniger trinken will. Die Blutwerte, das Alter und so. Früher war er kein Kostverächter, sagt er. Erzählt von Jan Fedder, der häufig bei seinen Shows vorbeigekommen ist. Man ging dann in „Erikas Eck“. „Und in den Logen bei St. Pauli sind ja auch alle schweinebreit. Da biste dann irgendwann nüchtern der Einzige, der sich das Spiel anguckt“, sagt er und lacht wieder. Bei den alten Geschichten über die  Hotelbar lacht er nicht. „Klar, biste gefährdet. Erst stehst du allein auf der Bühne, totaler Adrenalinschub. Dann im Hotel zwei, drei Drinks und oft auch mehr. Hab’ ich lange zelebriert.“ Nach den vielen Gastspielen im St. Pauli-Theater und in den „Fliegenden Bauten“ vor 15 Jahren ging’s ins Dollhouse. „Und die Tänzerinnen kamen in die Show.“

Wir sind auf dem Weg nach Niendorf. Atze hat mal nach einer gut besuchten Show in der Barclays Arena viele Bäume für eine Aktion namens „Fame Forest“ pflanzen lassen. Nun sind allerhand fröhliche Menschen auf die Wiese im Nichts gekommen, auch der Macher Jan Schierhorn. Es geht um Blühwiesen, Nisthilfen für Insekten, Honigbienen. Die sind zwar nicht vor Ort, aber Atze setzt die Imkerhaube auf und sieht witzig aus.

Faxen für den „Fame Forest“: Jan Schierhorn (r.) verhaftet Atze als Botschafter für das Bienenprojekt.
Florian Quandt

Faxen für den „Fame Forest“: Jan Schierhorn (r.) verhaftet Atze als Botschafter für das Bienenprojekt.

Über wen kann Atze eigentlich lachen? „Teddy!“, sagt er. Bei Teddy Teclebrhan (40) war er vor einem Jahr in der Barclays. „Das Beste, was ich seit 20 Jahren gesehen habe. Wahnsinns-Ausstrahlung. Sauwitzig. Hab’ mich gebogen vor Lachen. Und dann ist der so musikalisch! Plötzlich ist da ’ne zwölfköpfige Band – und dann geht das ab!“

Atze Schröder kennt sich aus mit Gott und der Welt

Wir brausen wieder weiter, Richtung Kiez. Ich denke bei mir, dass viele Atze bestimmt unterschätzen. Der Mann kennt sich aus mit Gott und der Welt. Ist Literatur-besessen. Ist nachrichtenfest. Interessiert sich für Politik. Regt die ihn auf? „Ne. Wegen dem Stärkerwerden der AfD macht man sich schon Sorgen. Ansonsten ist uns ja aber schon zigmal der Untergang versprochen worden und der kam ja nie. Da wird man lässiger. Bei Beckmann hab’ ich mal Münte kennengelernt. Du weißt schon: ,Das Fleisch ist verteilt, nu geht’s an die Kartoffeln.‘“

Der stand damals als SPD-Chef und Fraktionsvorsitzender stark unter Beschuss. Atze fragte ihn: Wie hält man das aus? Er habe geantwortet: „Och, wissen Sie, Herr Schröder, es gab einen Punkt in meinem Leben und da hab’ ich beschlossen: Wann ich mich ärgere, bestimme ich jetzt selbst!“

Kriegt er das auch hin? Da sind wir wieder bei seinem Vater und dem Krieg: „Der war auch so ein Typ: Geht immer weiter! Mit 17 ist er zur Wehrmacht, das war für ihn eine Erleichterung, weil es zu Hause so brutal war. Sechs Jahre Krieg, sechseinhalb Jahre Gefangenschaft, Russland, im Bergwerk. Danach hat mein Vater beschlossen: Ich führe jetzt ein glückliches, friedliches, liebevolles Leben. Und das hat er geschafft. Das war seine Lebensleistung. Und das hat er an seine Kinder weitergeben können.“ Jau, das wirkt so.

Atze Schröder zeigt uns sein Hamburg – ein ganz besonderer Roadtrip wurde gefunden bei mopo.de

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