Ausbeutung mit System: In Hamburg baut der Tod mit

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Sie werden erschlagen, zerquetscht, stürzen in den Tod: Alle drei bis vier Tage stirbt in Deutschland ein Mensch bei einem Baustellen-Unfall. Besonders gefährdet: Arbeiter, die auf Dächern oder Gerüsten im Einsatz sind. Das zeigt sich auch in Hamburg: Im Oktober 2023 starben fünf Arbeiter auf der Baustelle des Überseequartiers. Recherchen zeigen die ausbeuterischen Umstände, die auf der Baustelle herrschten: Männer, die das Milliardenprojekt bauten, verdienten teils weit unter Mindestlohn, waren nicht versichert, hatten gefälschte Dokumente, ihre Familien stehen vor dem Nichts. Einen Experten für Arbeitsschutz überrascht das nicht: Kriminelle Ausbeutung, Betrug und gravierende Sicherheitsmängel – auch auf Hamburger Baustellen ist das trauriger Alltag. Dabei gäbe es Möglichkeiten, für mehr Schutz zu sorgen.

Die Zahl der schweren Unfälle auf Hamburger Baustellen ist im vergangenen halben Jahr dramatisch gestiegen. Einige Monate nach dem Unfall am Überseequartier in der HafenCity stürzte ein Arbeiter sieben Meter tief vom Feldstraßenbunker (St. Pauli) und verletzte sich schwer. Nur eine Woche danach starb ein Arbeiter, als er 15 Meter tief durch das Oberlicht eines Hallendachs in Wilhelmsburg stürzte, sein Kollege wurde ebenfalls schwer verletzt.

Auf der Baustelle in der HafenCity soll das Gerüst nicht verankert gewesen sein. Schwere Steine, die darauf lagen, sorgten für weitere Instabilität. Das alles ist allerdings noch nicht gesichert und Teil der Ermittlungen. Aber am Ende stürzten fünf Männer in die Tiefe und wurden unter dem Gerüst begraben. Wer der Auftraggeber der Arbeiter war, ist ebenfalls Teil der Ermittlungen. Das Immobilien- und Investmentunternehmen Unibail Rodamco Westfield, dem das Überseequartier gehört, war es nicht. Der Unternehmer, bei dem die Männer beschäftigt waren, soll sich sofort nach dem Unfall abgesetzt haben.

Tödliche Baustellen-Unfälle in Hamburg: Fehler im System

Nicht einmal die Herkunft der Arbeiter war leicht zu ermitteln. Ursprünglich hieß es, die Männer stammten aus Rumänien. Dann stellte sich heraus, dass sie aus Albanien kamen. Sie waren weder krankenversichert, noch bei der Berufsgenossenschaft gemeldet, sodass ihre Familien nun keinerlei finanzielle Ansprüche haben. Niemand kam für den Transport der Särge in die Heimat auf, niemand unterstützt die Hinterbliebenen. Über eine Spendenaktion kamen 25.000 Euro zusammen, das Geld wurde auf die mühsam ermittelten fünf Familien verteilt. Albanische Medien berichteten, dass einer der Männer für etwas mehr als drei Euro die Stunde gearbeitet hätte.

„Solche großen Baustellen haben hohe Sicherheitsstandards“, sagt Gerhard Citrich, Arbeitsschutzexperte bei der IG Bau. „Wenn die Arbeiter durch die Eingangskontrolle gekommen sind, müssen sie gefälschte Pässe gehabt haben.“

Auch ihre Zugangskarten müssen laut Citrich gefälscht gewesen sein. Wie die „Zeit“ berichtet, gab es auf der Westfield-Baustelle noch weitere Unfälle. Dabei kam auch ein ukrainischer Arbeiter zu Schaden, der umgerechnet für etwas mehr als drei Euro die Stunde gearbeitet haben soll. Ein klarer Verstoß gegen den Mindestlohn, der bei über zwölf Euro liegt.

„Wo anständig gezahlt wird, gibt es auch Arbeitsschutz“

„Solche Unfälle passieren nicht bei großen Firmen“, sagt Citrich. „Aber auf dem Bau haben die meisten Firmen weniger als zehn Beschäftigte. Da ist der Unternehmer oft nicht klüger als der Arbeiter.“ Es werde halt viel improvisiert und es fehle an Arbeitsmaterial.

Eigentlich ist der Arbeitgeber sogar verpflichtet, eine Gefährdungsanalyse zu machen und die Mitarbeiter zu unterweisen. Eigentlich. „Wo die Leute anständig bezahlt werden, da gibt es auch Arbeitsschutz“, so Citrich. Aber wo die Ausbeutung groß ist, die Kette der Subunternehmen lang, da bleibe unterm Strich wenig übrig.

Insgesamt werde auch zu wenig kontrolliert und zu wenig auf Einhaltung der Sicherheitsstandards geachtet. Doch der staatliche Arbeitsschutz habe zu wenig Mitarbeiter. „Rein rechnerisch könnte jede Baustelle alle drei bis vier Jahre kontrolliert werden.“ Und die Gewerkschaften könnten die staatlichen Stellen nicht ersetzen.

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Die Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt (IG BAU) ruft alle Beschäftigten dazu auf, der Menschen zu gedenken, die bei der Arbeit schwer erkrankt oder gar ums Leben gekommen sind – am internationalen Workers’ Memorial Day am Sonntag. Um 12 Uhr wird darum gebeten, eine Gedenkminute einzulegen.

Im Jahr 1984 rief die kanadische Gewerkschaft für Angestellte im öffentlichen Dienst erstmals dazu auf, der im Arbeitsleben verstorbenen Kolleginnen und Kollegen zu gedenken. Seither wird am 28. April dieser Gedenktag in vielen Ländern weltweit begangen. Auch in Hamburg: Hier wird am Sonntag im Michel der Opfer solcher Unfälle gedacht.

Ausbeutung mit System: In Hamburg baut der Tod mit wurde gefunden bei mopo.de

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