Auto-Paradox: Hamburger wünschen sich’s autofrei – doch bei vielen gibt es ein „Aber“

Auto-Paradox: Hamburger wünschen sich’s autofrei – doch bei vielen gibt es ein „Aber“

In der Theorie scheinen sich alle einig: Das Auto muss Platz machen, in Teilen aus den Städten zurückgedrängt werden. Das fordern nicht nur Wissenschaftler und Politiker – selbst Lobbyverbände wie der Automobilclub ADAC pflichten bei, genauso wie laut einer aktuellen Umfrage die große Mehrheit der Hamburger. Doch so einfach ist es nicht: Denn gleichzeitig lieben die Hamburger ihr Auto, im vergangenen Jahr stieg die Zahl der Kfz-Neuzulassungen sogar. Neue Verkehrskonzepte wie autoarme Quartiere sorgen außerdem für Wut und Frust – oder scheitern gleich vor Gericht. Verkehrspolitisch steckt Hamburg hier in der Sackgasse. Die große Frage: Wie kommen wir da raus?

Tischtennis mitten auf der Straße, spielende Kinder, Menschen, die picknicken: Die Bilder vom „autofreien Ottensen“ gingen im Jahr 2019 durch die Republik. Lebensfreude statt Blechlawinen. Doch der Dämpfer folgte prompt: Das Hamburger Verwaltungsgericht gab Anfang 2020 Eilanträgen von zwei Geschäftsinhabern statt, die geklagt hatten. Der Traum vom autofreien Großstadtbullerbü war Geschichte.

Bei dem Pilotprojekt „Ottensen Macht Platz“ verwandelte sich die Ottenser Hauptstraße in eine Spielwiese. Der Versuch wurde gerichtlich gestoppt. Das ist kein Einzelfall.
picture alliance/dpa/Bodo Marks

Bei dem Pilotprojekt „Ottensen Macht Platz“ verwandelte sich die Ottenser Hauptstraße in eine Spielwiese. Der Versuch wurde gerichtlich gestoppt. Das ist kein Einzelfall.

Nicht weit vom Ottenser Zentrum entfernt – im benachbarten Stadtteil Altona-Nord – entstand währenddessen eines der ersten autoarmen Quartiere Hamburgs: die „Neue Mitte Altona“. Dauerparken können die Bewohner hier nur in den Tiefgaragen, doch längst nicht jede Wohnung hat einen eigenen Stellplatz. Wer in die Neue Mitte zieht, weiß das. In der autoarmen Realität angekommen, scheint so mancher den Parkplatzkomfort dann aber doch zu vermissen. Ein Anwohner ohne Tiefgaragenstellplatz zog im vergangenen Jahr sogar vor Gericht: Er hatte immer wieder falsch geparkt und eine ganze Reihe an Knöllchen kassiert. Seine Einsicht: null – schließlich fehlten ja die Parkplätze. Zahlen musste der Knöllchen-Dickkopf am Ende trotzdem. Dieser Fall zeigt, dass es mit der Verkehrswende in der Praxis gar nicht so einfach ist – der gesellschaftlichen Aufbruchstimmung steht teils eine große persönliche Bequemlichkeit gegenüber.

Wie passt die Wut in autoarmen Quartieren zum Wunsch nach weniger Autos?

Auch im autoarmen „Pergolenviertel“ in Winterhude kochten die Emotionen kürzlich wegen der wenigen Parkplätze hoch. „Es kann nicht sein, dass sich Konzepte ausgedacht werden, die mit der gelebten Realität so schwer vereinbar sind“, beklagen die Anwohner und starteten eine Petition.

Ein kollektiver Wutausbruch, der auf den ersten Blick gar nicht zu den Ergebnissen der aktuellen HUK-Mobilitätsstudie passen will: Demnach wünschen sich 75 Prozent der Hamburger weniger Autoverkehr in ihrer Stadt – ein bundesweiter Spitzenwert.

Was ist der „Not in my backyard“-Effekt?

Experten sprechen bei diesem Phänomen vom sogenannten „Not in my backyard“ („Nicht in meinem Hinterhof!“)-Effekt: Weniger Autos, ja bitte! Aber doch nicht, wenn es meinen eigenen Hinterhof beziehungsweise meine Straße betrifft. „Fragt man Bürger, ob ihre eigene Straße verkehrsberuhigt sein soll, sagen fast alle immer ,ja’“, sagt Verkehrsforscher Wolfgang Maennig von der Uni Hamburg. Wenn es aber darum gehe, nicht mehr überall mit dem Auto hinfahren zu können, sieht es plötzlich ganz anders aus.

Denn die Hamburger lieben ihr eigenes Auto: Im Jahr 2023 gab es 94.200 Pkw-Neuzulassungen in der Stadt. Das sind elf Prozent mehr als noch 2022. Ein drastischer Anstieg, nachdem die Zahl jahrelang rückläufig war. Insgesamt waren laut Bundes-Kraftfahrtamt im Januar 2024 insgesamt 813.109 Autos in Hamburg gemeldet – 9000 mehr als Anfang 2020.

Selbst die jüngere Generation wählt oft noch das Auto

Selbst die umweltbewusstere jüngere Generation setzt oft noch aufs Auto. „Wenn sich Einstellungen ändern, dann ändert sich nicht immer das Verhalten“, sagte Verkehrswissenschaftler Tobias Kuhnimhof von der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule Aachen (RWTH) dem „Spiegel“. „Ein junger Mann in den Neunzigerjahren ist viel eher Auto gefahren um des Autos willen, einfach, weil ihm Autos wichtig waren.“ Das sei heute weniger der Fall – trotzdem steche das Auto andere Verkehrsmittel eben immer noch oft aus. Vor allem in schlechter angebundenen Hamburger Stadtteilen, wie Steilshoop oder Rahlstedt, ist das gelebte Realität.

Die Mehrheit der Hamburger wünscht sich laut einer Umfrage weniger Autos in der Stadt.
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Die Mehrheit der Hamburger wünscht sich laut einer Umfrage weniger Autos in der Stadt.

Aber selbst in den autoarmen, gut erreichbaren Quartieren scheint der Umstieg auf andere Verkehrsmittel einiges an Überwindung zu kosten. „Viele Autofahrer identifizieren sich mit ihrem Auto und es ist für sie ein starker Einschnitt“, weiß ADAC-Sprecher Christian Hieff. Es gebe aber noch weitere Gründe: „Zum Beispiel ziehe ich mit dem festen Willen dorthin, kein Auto mehr zu fahren. Dann ändern sich aber die Lebensumstände, ich gründe eine Familie oder bekomme einen weiter entfernten Job und bin dann eben doch wieder aufs Auto angewiesen.“

Trotz vieler Widerstände: Haben autoarme Quartiere eine Chance?

Unsicherheiten, Widerstände, Bequemlichkeit – Verkehrsexpertin Philine Gaffron von der TU Hamburg bleibt trotzdem optimistisch. „Bei der Gestaltung von Straßenraum und Stadtquartieren sind selten alle einer Meinung“, sagt sie. Trotzdem spreche sich eben eine klare Mehrheit für Veränderung aus. Es sei wichtig, Sorgen ernst zu nehmen, aber ohne dabei einen nicht zukunftsfähigen Zustand zu zementieren – also alles beim Alten, beziehungsweise Auto zu belassen.

Altonas Bezirkschefin Stefanie von Berg (Grüne) will am Nachfolge-Projekt von „Ottensen macht Platz“, das in „freiRaum Ottensen“ umbenannt wurde, festhalten – trotz aller Widerstände. Anfang März wurden die überarbeiteten Pläne vorgestellt, jetzt steht noch eine weitere Behörden-Schleife an. Dann wäre der Weg frei, um Ottensens Gesicht dauerhaft zu verändern.

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