Der gute Mensch von Reschitza

Der gute Mensch von Reschitza

Wer ihn nur aus der „Zeitung“ kennt, der mag sich denken, er sei ein Mensch, dem man sich so leicht nicht nähern kann. Stets kritisch in seinen Artikeln, immer wieder das Weltgeschehen ins Auge fassend, mit einem unheimlichen Allgemeinwissen, das einschüchternd auf sein Gegenüber wirken könnte, es aber nicht tut: Werner Kremm (72), Journalist bei der ADZ, weiß, wie er mit Menschen umzugehen hat. Was aus seinen Artikeln nicht rausschaut, ist, dass er einen sehr guten Kollegen und Freund abgibt – und ein sehr großes Herz hat, aber auch ein offenes Ohr für Menschen, die in Schwierigkeiten stecken. 

Nicht umsonst hat der Redakteur, der am Anfang seiner Karriere auch als Deutschlehrer aktiv war, diesen Weg gewählt. Das Schreiben hat ihm schon immer gut gefallen, bereits in der Zeit, als er mit der „Aktionsgruppe Banat“ die Kommunisten ärgern wollte. „Wir haben geglaubt, dass wir die Securitate-Leute an der Nase herumführen können, aber rückblickend würde ich sagen, dass wir das nicht geschafft haben, denn sie hatten doch mehr Macht als wir“, sagt Werner Kremm heute. Zu seiner Enttäuschung verschwand sein Securitate-Dossier Jahre später, sodass er keinen Einblick bekam. 

An seinem Schreibtisch in seiner Temeswarer (Übergangs-)Wohnung sitzend, übersetzt Werner Kremm gerade einen Text, den ihm ein Bekannter aus Klausenburg/Cluj-Napoca zugeschickt hat. Es ist ein Februarnachmittag und schon ein bisschen dunkel, obwohl es erst 17.30 Uhr ist. In der Einzimmerwohnung brennt Licht. Ana, Werner Kremms Ehefrau seit 1977, bietet mir grünen Tee mit Zitrone an – eines von Kremms Lieblingsgetränken, denn Kaffee trinkt er nicht. Wenn er nicht gerade in seinem Garten in seiner Geburtsstadt Großsanktnikolaus/Sânnicolau Mare arbeitet, dann sitzt Werner Kremm mit Sicherheit irgendwo am Computer und schreibt – sei es für die ADZ oder für eigene Buchprojekte. Wieder nach Großsanktnikolaus gezogen ist er, nachdem er in Rente getreten ist; doch auch nach Reschitza fährt er gelegentlich, denn er berichtet seit Jahren aus dem Banater Bergland.  

Nach Abschluss der Germanistik und Rumänistik in Temeswar wollte Werner Kremm direkt zum „Neuen Weg“. Bereits während seines Studiums war er ein fleißiger Mitarbeiter gewesen und verdiente sich ein schönes Taschengeld. „Ich habe damals das erste Interview mit Nicu Covaci (Anm.d. Red.: Lead-Sänger der legendären Rockband ‚Phoenix‘) gemacht“, erinnert er sich stolz. „Es erschien auf der Jugendseite des ‚Neuen Wegs‘“, sagt er lächelnd. Doch eine Anstellung war vorerst nicht möglich. 1974 hätte er einen für ihn bestimmten Posten beim „Neuen Weg“ antreten sollen, da wurde er informiert, dass er einen Abschluss im Journalismus brauche. Zwei Wochen vorher war ein neues Pressegesetz verabschiedet worden. Also wurde Werner Kremm zunächst Lehrer in Bokschan/Bocșa –  wo er sechs Jahre lang blieb. Davon unterrichtete er fünf Jahre lang Deutsch als Fremdsprache in den Klassen 2 bis 8.

Es war im April 1980, als Walter Jass, der damalige Leiter der Temeswarer Lokalredaktion des „Neuen Wegs“, nach Bokschan fuhr, um Werner Kremm direkt zu fragen: „Willst noch zur Zeitung kommen?“ Die Antwort fiel positiv aus – auch wenn er bereits verheiratet war und seine Tochter Andreea, heute eine erfolgreiche Unternehmerin, am 6. Mai zur Welt kommen sollte. Die Familie siedelte nach Reschitza um, wo er vom damaligen Chefredakteur des „Neuen Wegs“, Ernst Breitenstein, als Redakteur eingestellt wurde. Breitenstein hatte eine schriftliche Garantieerklärung für Werner Kremm vor der Presseabteilung des Zentralkomitees abgegeben, um ihn einstellen zu können. Werner Kremms Securitate-Dossier (er gehörte als Gründungsmitglied zwischen 1972 und 1975 dem Literaturkreis „Aktionsgruppe Banat“ an, einer Dissidentengruppe junger Schriftsteller aus mehreren Banater Ortschaften, die in Temeswar aktiv war) war der Grund, weshalb seine Einstellung problematisch war, soll er vom späteren ADZ-Chefredakteur Hans Frank erfahren. Das Reschitzaer Korrespondentenbüro war dem „Neuen Weg“ wichtig, weil der erste Chefredakteur, Anton Breitenhofer, von dort kam, und auch der Leiter der Wirtschaftsabteilung, Willy Potocsnik, und der Generalsekretär der Redaktion, Georg Hromadka, ebenfalls. Die guten Beziehungen zu der Chefetage in Bukarest und Breitensteins Vertrauen waren mit Gründe, weshalb Werner Kremm nicht auswandern wollte. Seine Frau hatte zwar mit diesem Gedanken gespielt, doch das letzte Wort hatte Tochter Andreea. „Ihr könnt gehen, aber mir lasst ihr den Schlüssel. Eu mă descurc“, soll sie gesagt haben. Die Eltern hörten auf das damals zehnjährige Kind und bereuen es nicht. 

1987-1988 besuchte Werner Kremm auch die berüchtigte Parteiakademie „Ștefan Gheorghiu“ in Bukarest und schloss in drei Wochen den zweijährigen Journalismus-Studiengang ab. „So gscheit bin ich“, sagt er und lacht laut. „Ernst Breitenstein hat mich angerufen und gesagt: Herr Kremm, ich kann dem Druck der Presseabteilung nicht mehr widerstehen, Sie müssen ein Diplom haben. Nächste Woche kommen Sie zur ‚Ștefan Gheorghiu‘, Sie haben Aufnahmeprüfung“, erzählt er amüsiert. Natürlich war alles dort bereits arrangiert. Seine Diplomarbeit wurde zuerst zurückgewiesen, weil sie kein einziges Ceaușescu-Zitat enthielt, doch der „Fehler“ wurde behoben. Kremm fügte fünf Zitate des Diktators ein und bestand (Anm.d.Red.: damals wurden Diplomarbeiten an der Schreibmaschine verfasst, man kann sich vorstellen, wie mühselig das war… ). 

„Breitenstein war ein besonderer Mensch. Er hat folgende Devise von sich gegeben: Ihr könnt schreiben, was ihr wollt, aber was veröffentlicht wird, das bestimme ich, denn ich verantworte. Was auch logisch war. Er hat eigentlich eine ziemlich breite Palette von Themen zugelassen“, erinnert sich Werner Kremm an seine Zeit beim „Neuen Weg“. Mindestens ein Mal im Jahr gab es in Bukarest ein Redakteuretreffen. „Ich war vielleicht der erste, der Umweltfragen behandelt oder der über kommunalwirtschaftliche Probleme geschrieben hat“, erzählt Kremm. Er behandelte eher selten Kulturthemen, ab und zu schrieb er Theaterkritiken für die rumänische Zeitung in Reschitza. „Bis einer von den Bühnenbildnern mir gedroht hat, er verprügelt mich“, sagt er lächelnd. Haben Sie viel kritisiert?, will ich wissen. „Ja, immer!“, fällt spontan die Antwort. „Ich hatte aber eine gewisse Kompetenz dazu. Ich habe ab der achten Klasse und bis zur Beendigung der Hochschule und sogar danach Theater gespielt und Theaterstücke inszeniert. Ich habe sogar einen Landespreis als Theaterregisseur gewonnen“, erinnert er sich. „Jeder spielt im Leben Theater, also Herrschaften, marsch auf die Bühne!“, hatte  seine Lehrerin Dorothea Götz in Großsanktnikolaus gesagt. Das Theater betrachtet er nach wie vor als wichtigen Aspekt der Bildung. „Es hat mir das Selbstvertrauen gegeben, jeder Zeit und vor jedem Publikum aufzutreten und frei zu sprechen.“ Als Student hat er sogar mal die studentische Theatergruppe in Temeswar geleitet. Was vielleicht auch, aber nicht nur, dem Schauspiel zu verdanken ist: Heute gehört Werner Kremm zu den wenigen sehr guten Dolmetschern in Temeswar.  

1992 war Werner Kremm etwa drei Monate lang beim „Banater Generalanzeiger“ aktiv, der Nachfolgezeitung der „Neuen Banater Zeitung“, die durch den Tod des Herausgebers eingestellt wurde. 1993 ging er zur neu gegründeten ADZ über. Zwischen 1998 und 2017 war er verantwortlicher Redakteur der „Banater Zeitung“ – ein Chef, der stets durch das eigene Beispiel inspirierte und seine Mitarbeiter motivierte, das Beste zu geben, ohne zu tadeln, mit viel Verständnis für seine Leute. Ein „Leader“, aber kein „Boss“. 

Seit über zehn Jahren verfasst Werner Kremm wöchentliche Kommentare, zuerst in der BZ, dann in der ADZ als Rubrik „Randbemerkungen“. Es kam dazu, nachdem Aktionsgruppe-Gründungsmitglied und Werner Kremms Freund Richard Wagner von heute auf morgen aufs Schreiben der BZ-Kommentare verzichten musste, weil es ihm sein Gesundheitszustand nicht mehr erlaubte. „Ich muss mich nun auf genau 3688 Zeichen bei den Randbemerkungen beschränken“, verrät der Journalist, der immer am Wochenende den Kommentar für den darauffolgenden Donnerstag verfasst. „Ich schreibe zuerst darauf los und dann beginnt das große Streichen. Nach dem Streichen bleiben mir ein paar Zeilen frei und ich muss mir etwas Gescheites ausdenken“, erklärt er, wie er vorgeht. „Das fasziniert mich“, fügt er an. Die meisten seiner Kommentare wurden in zwei Büchern gesammelt, die das Deutsche Forum herausgab – es gäbe schon wieder viel Buchmaterial, sagt Kremm. „Das schönste Feedback, das ich bekomme, ist eine Standard-Reaktion. Wenn ich irgendwohin komme und mich vorstelle, dann heißt es fast immer: Ach, Sie sind der!“, sagt Werner Kremm, der sich seiner Lesergemeinde bewusst ist, jedoch nicht unbedingt mit den „Fans“ im Hinterkopf schreibt. 

Zurzeit arbeitet Werner Kremm an einem Buch über die Flucht einiger Banater Schwaben Ende 1944 vor den anrückenden Russen. Zwei Bücher – von Kremm gesammelte Erlebnisgeschichten (auch Aktionsgruppe-Mitglieder Anton Sterbling und Albert Bohn sind im Projekt engagiert), sowie eine umfassende Studie des Historikers Josef Wolf – sollen noch in diesem Jahr erscheinen. Der von ihm und seiner Schwester Sigrid Kuhn ins Rumänische übertragene Band „Deportarea germanilor din Banat în Uniunea Sovietică. O prezentare a perspectivei copiilor lor prin relatări (re)povestite”, der 2022 erschienen ist und an dem fünf Aktionsgruppe-Mitglieder mitgearbeitet haben, erfreute sich großen Interesses seitens der Öffentlichkeit. 

Leave a Reply

Your email address will not be published. Required fields are marked *