„Man muss versuchen, auf der Höhe der Zeit zu denken und zu schreiben“

„Man muss versuchen, auf der Höhe der Zeit zu denken und zu schreiben“

Im Rahmen der 13. Ausgabe des Internationalen Poesiefestivals in Bukarest (FIPB) ist das Kulturhaus „Friedrich Schiller“ Gastgeber für einen Leseabend mit dem österreichischen Dichter Udo Kawasser gewesen. Anschließend erzählte der Lyriker mehr über seine Anfänge als Dichter und sein Werk im Gespräch mit ADZ-Redakteurin Cristiana Scărlătescu.

Udo Kawasser wurde 1965 in Vorarlberg am Bodensee geboren. Als Jugendlicher war er ein begeisterter Fußballspieler, entschied sich jedoch für ein Studium der deutschen, französischen und spanischen Literatur in Innsbruck und Wien. Außerdem wirkte er auch als Tänzer und Choreograf. 2007 erschien sein erstes Buch „Einbruch der Landschaft. Zürich – Havanna“, das lyrische Prosa enthält. Er hat fünf Gedichtbände veröffentlicht, von denen einige das Ergebnis seiner häufigen Reisen nach Kuba sind, wie etwa „kleine kubanische grammmatik“ (2012). Seine Naturgedichte sind gesammelt im Band „das moll in den mollusken“ (2018). Seine „Wassertrilogie“ (zwischen 2016 und 2019), bestehend aus den Bänden „Unterm Faulbaum“, „Ache“ und „Ried“, bildet den Fluss Ache mit  Mitteln der Lyrik nach. Nicht zuletzt veröffentlichte er 2020 im Verlag Limbus Lyrik „die blaue reise. donau – bosporus“.

Heute wirkt Udo Kawasser als Deutschlehrer, Übersetzer spanischer Literatur, Lyriker und gilt als der Gründer der „Poesiegalerie“, der wichtigsten Online-Plattform für österreichische Lyrik, und des gleichnamigen Literaturfestivals in Österreich. Für seine literarische Errungenschaft wurden Kawasser 2020 der Alfred-Kolleritsch-Preis und 2021 der Sacher-Masoch-Preis  verliehen.

Herr Kawasser, wann begannen Sie zu dichten und wie haben Sie Ihre Begabung für das Tanzen entdeckt?

Das eine hat mit dem anderen nichts zu tun. Das Tanzen kam spät, ich war früher Fußballer. Bis 20, und dann hatte ich eine Knieoperation. Es hat geheißen, ich darf nicht mehr spielen. Dann habe ich ein Jahr  Pause gemacht und danach mit dem Tanzen begonnen, denn ich brauchte eine Art Bewegung, die weniger brutal als Fußball war. Das Schreiben kam langsam, während des Studiums. Ich bin ein später Dichter (lacht). 2001 habe ich mit 36 an einem Literaturwettbewerb in meiner Gegend, dem Vorarlberger Literaturpreis, teilgenommen und gewonnen. Damit hat es begonnen. Dann hat es noch  sieben Jahre gedauert bis mein erstes Buch veröffentlicht worden ist.

Wie schaffen Sie ein Gleichgewicht zwischen Ihrer dualen Karriere als Tänzer, Choreograf und Lyriker? Verbinden Sie die beiden Kunstbereiche miteinander? Übertragen Sie etwa die Dynamik und Ausdruckskraft des Tanzes auf Ihre Gedichte?
Die Frage hat sich biografisch ein bisschen erledigt, weil ich mit zunehmendem Alter fast nicht mehr tanze. Aber als ich noch wirklich aktiv war, habe ich versucht, Performances zu machen, wo ich dann im Vortrag der Gedichte Teile getanzt, beziehungsweise richtig mit Bewegung gearbeitet habe. Ich bin auch Übersetzer und vor zwei Jahren war ich bei der Latinale – das ist ein Festival der lateinamerikanischen Poesie in Berlin. Von zehn Gedichten der kubanischen Lyrikerin Lena Rodriguez Iglesias, die ich übersetzt habe, war eines getanzt von mir. Ohne Sprache, nur getanzt!

Wie sind Sie auf die Idee gekommen, die Donau und deren Mündung als Inspirationsquelle für mehrere Bände, angefangen mit „kein mund. Mündung“ bis hin zu Ihrer Wassertrilogie „Unterm Faulbaum“, „Ache“ und „Ried“ zu wählen?

Es ist nicht die Donau primär, sondern das Wasser. Ich bin am Ufer des Bodensees geboren, die Geburtsklinik war am Bodensee. Und ich bin gewachsen neben der Ache, das war 100 Meter entfernt von Zuhause und einen Kilometer vom Bodensee. Wasser war von Anfang an in meinem Leben. Außerdem ist mein Name KaWASSER und ich habe am Brunnenweg gewohnt, in Lauterach. Egal wo ich reise, gehe ich immer zum Wasser. Als ich nach Wien gekommen bin, war mein Lieblingsort an der Donau und in den Donauauen. Seit fünf Jahren habe ich auch ein kleines Haus an der Donau, eine halbe Stunde außerhalb von Wien. Mein Traum wäre es, einmal mit meinem Kanu von Wien bis ins Donau-Delta hinunter zu fahren. Für meine Lyrik ist es wichtig, dass ich von einem Standpunkt der Immersion schreibe. Ich schreibe nicht einfach von außen, sondern ich versuche, von innen zu erleben. So war es bei dem Band „Ried“. Als ich das Buch „Ache“ geschrieben habe, über den gleichnamigen österreichischen Fluss, war eine Rezension erschienen, betitelt „Der Autor als Forelle“. Das war wunderbar, das war genau für mich der Punkt!

Rumänien ist Ihnen anscheinend schon vertraut, oder mindestens das Donau-Delta. Erzählen Sie uns ein wenig über Ihre Rumänien-Erfahrung.

Zu Rumänien habe ich drei Bezüge. Vor sechs Jahren war ich zum Poesiefestival in Temeswar eingeladen. Das war meine erste Rumänien-Erfahrung gewesen. Der zweite ist: ich habe eine Gesangslehrerin, die aus Rumänien stammt und mein dritter Bezug ist natürlich zu meiner Freundin, der Dichterin Corina Oproiu.

Wollen Sie ein wenig auf die Formelemente Ihrer Lyrik eingehen?

Ich reime keine Gedichte, aber sie müssen Rhythmus haben. Sie müssen lautlich so gestaltet sein, dass sie in sich stimmig sind, aber ich schreibe selten ein Sonett oder irgendeine festgefügte Form. Ich verwende freie Formen, die aber sehr stark rhythmisiert sind und hoffentlich auch phonetisch verdichtet sind und von der Bedeutung her.

Wie kann man seine Leidenschaft für Lyrik zu einer Karriere entwickeln? Was waren die konkreten Schritte in Ihrem Fall?

Es gibt keine Karriere, aber es gibt ein Leben mit Lyrik. Vom Lyrik Schreiben kann, glaube ich, fast niemand leben. Ich habe Deutsch unterrichtet, parallel dazu, und vor sechs Jahren habe ich die Poesiegalerie gegründet. Diese ist nicht nur die größte Plattform für Lyrik in Österreich, sondern auch das größte Poesiefestival. Wir haben also jeden Herbst drei Tage lang ein Festival mit 50 Dichterinnen und Dichtern, die lesen. Die Neuerscheinungen, was in Österreich in einem Jahr geschrieben und veröffentlicht worden ist, das wird vor Ort vorgestellt.

Können Sie aufstrebenden Lyrikerinnen und Lyrikern einige Tipps geben, bezüglich des berühmt Werdens und der Veröffentlichung ihrer Werke?

Das ist eine schwierige Frage…Ich glaube, wer schreibt, sollte schreiben, weil er oder sie schreiben muss, und ob sie dann bekannt werden, hängt viel von Zufälligkeiten ab. Aber wichtig ist, viel zu lesen und zu wissen, was für Poesie geschrieben wird. Man muss versuchen, auf der Höhe der Zeit zu denken und zu schreiben.

Mit welchem Thema werden Sie sich als nächstes poetisch auseinandersetzen und wann kann Ihre treue Leserschaft mit einem neuen Gedichtband rechnen?

Das Projekt, das ich gerade am Fertigstellen bin, mein nächster Gedichtband, heißt „Taquinia. Gespräche mit Schatten“. Er wird wahrscheinlich dieses Jahr – wieder in der Reihe „Limbus Lyrik“ – erscheinen, der wichtigsten Reihe für Poesie in Österreich im Moment.

Taquinia ist ein Ort in Italien, wo die Etrusker gelebt haben. Da gibt es Ausgrabungen und das Interessante ist, dass die Etrusker in den Boden Grabstätten gemacht haben. Die sind wie Häuser im Stein, mit Fresken. In diesen Fresken sind Alltagsszenen dargestellt, wie die Leute miteinander essen, feiern, wie sie jagen oder Liebe machen. Und das ist überraschend für jemand wie wir, die aus dem christlichen Bereich mit der Vorstellung kommen, der Tod ist etwas Schreckliches wie der Sensenmann. Bei den Etruskern ist das gute Leben eben diesseits, in diesem Leben. Das ist abgebildet auf den Wänden. Dann war für mich die Frage „Na ja, wie sehen wir in unserer modernen Konsumgesellschaft den Tod?“ und habe mir das als Thema gestellt und verbunden mit dem römischen Dichter-Gelehrten Lukrez, der war Epikureer. Er hat die Lehre Epikurs vertreten, der sagt, es gäbe kein Leben nach dem Tod, man müsse diesseits das Leben führen und nicht auf ein späteres Leben hoffen. Und so leben wir unser Leben eigentlich auch als moderne Gesellschaft.

Ein anderes Projekt, an dem ich schon länger arbeite, ist eine Serie von Gedichten, die heißen „Trailer“. Die grundlegende Idee dabei ist, dass unsere Erinnerung wie ein Kinotrailer funktioniert. Wenn Sie später an diesen Poesieabend denken, dann bekommen Sie nicht eine Aufzeichnung, wo eine Sache nach der anderen folgt, sondern Sie sehen ein Gesicht, eine Geste, Sie hören ein Wort – und nicht immer chronologisch, sondern durcheinander. Die Gedichte versuchen, Erinnerungen, die für mich wichtig sind, zu erzählen, ohne sie eigentlich zu erzählen.

Wir bedanken uns für das angenehme Gespräch und wünschen Ihnen auch weiterhin viel Erfolg!

erklär mir wien

erklär mir
wien den regen
unter den dächern und in den gesichtern
der menschen an welche geschichten
halten sie sich unter dem druck der mauern
ich sehe überall fassaden
muss rückwärts leben hier

sag mir wo beginnt
diese stadt wo endet sie
in dir welche aussicht
hast du vom kahlenberg
die donau legt sich jetzt wie ein band zwischen uns
das blau ist eine lüge
rufst du in ihre braune flut

verloren
     verlassen
          vergessen   

ich lerne wörter mit ver
ich klammere mich
an die linden deiner gasse
sag wer spricht wenn die straßen
am morgen zu sprechen beginnen
ich stütze meine ellbogen
auf die brüstung ich sehe
zum fenster hinaus

aber ich kann mein alleinsein
nicht nutzen noch immer
regnet es unter den dächern
erklär mir wien oder der regen
spült mich fort von hier

Gedicht aus „die blaue reise. donau-bosporus“ von Udo Kawasser. Lymbus Verlag: Innsbruck-Wien 2020, ISBN 978-3-99039-190-7

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