Stiller Luxus

Es war ein gelungenes Begräbnis. Als ihr Ehemann in der Nachwendezeit verstorben war, kamen zahlreiche Trauergäste aus Hermannstadt, den Nachbargemeinden und dem Ausland. Es war eine schöne Gemeinschaft und viele halfen bei den Vorbereitungen mit. Eine Ehe war zu Ende gegangen, die den Weltkrieg, Deportation, Enteignung und Mangeljahre überdauert hat. Auch der Pfarrer sprach der Witwe sein Beileid aus. Darauf erwiderte sie: „Ist gut. Ich bin nun endlich aus Russland zu Hause angekommen.“

Selbst wenn die Wohnungstüre eine schallfeste Käfigmauer wäre, über die hinaus keine Klagen des Ehelebens dringen, das keines war, selbst dann kann es nicht sein, dass jahrzehntelang niemand von jenem beschwerlichen Leben etwas mitbekommen haben mag. Doch darüber spricht man nicht – egal um wen es in diesem bereits Jahre zurückliegenden Fall geht. Heute noch wirkt die Wohnungstüre im Privaten oder die Bürotüre im Beruf wie ein Grenzpflock für Tabus. Er wird verbal von den Betroffenen nicht überschritten und wird von anderen ohne zu fragen respektiert.

In einem solchen Umfeld kann selbst eine Brandrede von prominenter Stelle ohne Echo verklingen. Unangenehmen Gesprächen aus dem Weg zu gehen ist bequem. Doch diese luxuriöse Komfortzone kann drei Jahrzehnte nach der Wende eine sedierende Wirkung entfalten, aus der es kein Erwachen gibt – auch kein böses, hat man die Signale doch längst erkannt.

Dass innerhalb der evangelischen Gemeinschaft Rumäniens viel geleistet worden ist, schließt Versäumnisse nicht aus. Je länger sie nicht offen angesprochen werden, um so schwieriger wird es, das zu tun. Dazu zählt, dass sich jene Gemeinschaft öffnen sollte – im Geiste und in der Praxis. Es glich einem Paradigmenwechsel, als Bischof Reinhart Guib beim Sachsentreffen in Keisd 2023 von einer Öffnung gegenüber wohlwollenden Unterstützern von außen, NGO’s und Partnern aus der Wirtschaft sprach, um das Kulturerbe besser bewahren zu können und das Zusammenleben zu erleichtern. Auch kündigte er schlankere Entscheidungswege an. Inzwischen ist Bischof Reinhart Guib schwer erkrankt.

In Abwesenheit des anwaltlichen Leiters der Kanzlei ergriff Landeskirchenkuratorin Carmen Schuster beim Neujahrsempfang der EKR das Wort. Es sollte eine Brandrede werden. In Anlehnung an Luthers Apfelbäumchen-Zitat forderte sie: „Heute noch die persönliche Komfortzone verlassen, aufstehen und mutig neue Wege beschreiten.“

Anders gesagt: Die Hieschhämlich-Fraktion (sächsich: schön langsam) sollte sich endlich bewegen, nicht länger unmutig auf tradierten Gleisen bleiben, um im kleinen und kleiner werdenden Kreis krampfhaft große und größer werdende Baustellen zu bearbeiten. Eher verwittert oder gar verfällt Bausubstanz, eher werden bewegliche Kulturgüter beschädigt oder gar gestohlen, als dass man mit neuer/weiterer professioneller Unterstützung von außen Alternativen zu bisher nicht auskömmlichen  Wegen findet. Wo bleibt das unternehmerische Handeln, wie es die Siebenbürger Sachsen vor rund hundert Jahren praktiziert haben?

Carmen Schuster fordert, „über die Mauern unserer Kirchenburgen zu sehen!“ Engagierte Menschen mögen „mit offenem Geist“ aufgenommen werden.  Es gelte nun „wirtschaftlich mit dem Vermögen unserer Gemeinschaft“ ganz im Sinne der Kirche zu handeln. Nur mit dieser Einstellung gebe es eine Zukunft. Man müsse „alte Rivalitäten abbauen, Kleingeisterei und Irrwege erkennen und neue Möglichkeiten erkunden.“ So klingt nicht nur ein Weckruf, sondern ein Befreiungsschlag gegen selbstauferlegte Einschränkungen in Kanzlei und Konsistorien. Die Rede macht deutlich: dieses Jahr muss effizient genutzt werden. Den Luxus von Tabus kann man sich nicht mehr leisten.

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